Unzählige Bücher und Flugtickets in Messina Denaros Versteck – VIDEO

„Der Pate“, Putin und Hitler als „Vorbilder“?

Montag, 23. Januar 2023 | 08:10 Uhr

Castelvetrano/Campobello di Mazara – Die laufenden Durchsuchungen der Verstecke, in denen sich Matteo Messina Denaro monate- und jahrelang aufhielt, bringen Bücher und Gegenstände ans Tageslicht, die nicht aufhören, die Aufmerksamkeit der italienischen Öffentlichkeit zu wecken.

Neben Flugtickets mit verschiedenen Zielorten und einer Vielzahl von „Fanartikeln“ wie Tassen und Magnetstickern des Films „Der Pate“ kamen auch Dutzende von Büchern zum Vorschein. Unter der Vielzahl von Büchern, die den Boss aller Bosse als sehr belesenen fast schon intellektuellen Mann ausweisen, befanden sich nicht nur zahlreiche Werke antiker Staatsmänner und Philosophen, von Xenophon bis Platon, sondern auch eine Biografie des russischen Staatschefs Wladimir Putin sowie ein Buch über den Führer des Dritten Reichs Adolf Hitler.

ANSA/CARABINIERI

Bei den Carabinieri großes Interesse erregten insbesondere die im ersten Versteck gefundenen Flugquittungen und Flugtickets. Nach Berichten der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano betrafen die sichergestellten Tickets und Quittungen Flüge nach England und Südamerika, wobei es sich im letzten Fall wahrscheinlich um Flüge nach Venezuela handeln dürfte. Alle Tickets und Quittungen waren auf den Namen „Andrea Bonafede“, dessen Identität Matteo Messina Denaro angenommen hatte, ausgestellt. Da es sich beim echten Andrea Bonafede um einen teilweise arbeitslosen Mann mit geringen finanziellen Mitteln handelte, gehen die Ermittler davon aus, dass der Capo tatsächlich mit der Identität seines vielleicht wichtigsten Helfers um die halbe Welt reiste.

Calamite, belve e pizzini, ritratto di boss in un interno

Calamite, belve e pizzini, ritratto di boss in un internoUna calamita da frigorifero con la scritta "il Padrino sono io", foto di animali feroci sulle pareti e, soprattutto, pizzini, documenti e carte. L'ultimo covo di Matteo Messina Denaro a Campobello di Mazara racconta molto sulla personalità del boss e sulla sua latitanza.L'inviato Riccardo Porcù per il Tg3 delle 14:15 del 22 gennaio 2023

Posted by Tg3 on Sunday, January 22, 2023

Das vermutete Reiseziel Venezuela lässt die Ermittler aufhorchen. Bereits der Vater von Matteo, der Mafiaboss von Castelvetrano Francesco „Don Ciccio“ Messina Denaro, hatte in den Fünfzigerjahren mit den Cosa Nostra-Familien der Cuntrera und Caruana aus Agrigent enge Kontakte geknüpft. Mitglieder dieser Familien waren kurz darauf nach Venezuela ausgewandert, um dort groß ins Kokaingeschäft einzusteigen. In Zusammenarbeit mit den großen kolumbianischen Kartellen, von Pablo Escobar bis Calì, war die Mafia innerhalb kürzester Zeit zu den größten Drogenhändlern der Welt aufgestiegen. Einer Schätzung zufolge hatte rund 80 Prozent der in Kolumbien produzierten Drogen Südamerika über die venezolanische Hauptstadt Caracas verlassen. In den frühen Achtzigerjahren hatte dieses Geschäftsmodell seinen Höhepunkt erreicht. Laut der US-amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA hatte die Cosa Nostra von Agrigent allein im Jahr 1983 rund drei Milliarden Dollar gewaschen.

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Die Verbindung zwischen Venezuela und den Messina Denaros geht auch aus anderen alten, heute fast vergessenen Dokumenten hervor. Ein reuiger Mafioso hatte bereits vor zwei Jahrzehnten berichtet, dass von Matteo Messina Denaro fünf Millionen Dollar in ein Geflügelunternehmen gesteckt worden waren. Vermutlich hatte es sich dabei aber um eine Investition ins Drogengeschäft gehandelt.

Das lateinamerikanische Land hatte den Messina Denaro aber auch als Rückzugsort gedient. Dem Mörder von Don Pino Puglisi, Salvatore Grigoli, hatte Matteo nach einem Attentat geraten, sich für eine Weile nach Venezuela zurückzuziehen. Experten halten es für möglich, dass der schwerkranke Boss aller Bosse vielleicht plante, sich nach Südamerika abzusetzen. Zumindest könnte er persönlich oder über Mittelsmänner in Venezuela seine umfangreichen „geschäftlichen Interessen“ wahrgenommen haben.

Matteo Messina Denaro galt unter Seinesgleichen fast als „Intellektueller“. „Matteo war uns voraus. Er hatte eine Eleganz, einen Stil, der für uns unerreichbar war. Er war ein kultivierter Mann. Er las Nietzsche, Bücher bedeutender Romanciers, südamerikanische Schriftsteller und Werke antiker Autoren. Wer weiß, wie viele Bücher er in 30 Jahren Einsamkeit gelesen haben muss“, so der Tenor seiner Jugendfreunde.

In der Tat gibt es viele Hinweise für den Wissensdurst des Capo. Insbesondere bedauerte er, aufgrund seiner „beruflichen Laufbahn“ nie Zeit für ein Studium gefunden zu haben. „Der größte Fehler meines Lebens war, nie studiert zu haben. Ich war ein guter und aufmerksamer Schüler“, schrieb Messina Denaro – der sich selbst Alessio nannte – an „Svetonio“ alias Antonino Vaccarino, den ehemaligen Bürgermeister von Castelvetrano.

Das hinderte den Mafiaboss aber nicht daran, Dutzende von Büchern zu lesen. Unter der Vielzahl von sichergestellten Büchern befanden sich nicht nur zahlreiche Werke antiker Staatsmänner und Philosophen, von Xenophon bis Platon, sondern auch eine Biografie des russischen Staatschefs Wladimir Putin sowie ein Buch über den Führer des Dritten Reichs Adolf Hitler. Auffallend ist auch, dass im dritten Versteck des Capo eine Vielzahl von „Fanartikeln“ wie Tassen und Magnetstickern des Films „Der Pate“ gefunden wurden. Zudem hing an der Wand neben Postern von Raubtieren auch ein Poster des Paten, Marlon Brando.

Alle Funde aus den Verstecken von Matteo Messina Denaro stoßen in der italienischen Öffentlichkeit auf reges Interesse. Das Interesse dreht sich vor allem um die Fragen, welche Persönlichkeit der Mann, der auch während seiner drei Jahrzehnte dauernden Flucht vor dem Gesetz eine fast unumschränkte kriminelle Macht besaß, war und wer seine Vorbilder waren.

Von: ka