Von: mk
Rom – Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte hat einen zweiten Lockdown in Italien ausgeschlossen. Trotzdem wirkt es beunruhigend, wenn immer wieder neue Infektionsherde ausbrechen. In Schulen kommt es wiederholt zu Ansteckungen und in manchen Fällen müssen ganze Klassen in Quarantäne – auch bei uns in Südtirol. Im Vergleich zeigt sich allerdings: Italien scheint derzeit die Krise besser zu meistern als andere und hat deutlich weniger Neuinfektionen als beispielsweise Spanien oder Frankreich. Eine zweite Welle scheint in Italien momentan eher unwahrscheinlich, wie Medien berichten.
Zu Beginn der Corona-Krise war in Europa vor allem der Stiefelstaat von der Pandemie betroffen. Italien war das erste westliche Land, in dem sich am Jahresanfang das Virus ausbreitete. Die Schock-Bilder von überfüllten Krankenhäusern und gestapelten Särgen, die das Militär forttransportierte, gingen um die Welt.
Doch nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben: Während andere Länder in Europa mit einer zweiten Welle kämpfen, melden die italienischen Behörden seit Wochen stets weniger als 2.000 neue Corona-Infektionen pro Tag. In Frankreich und Spanien sind es hingegen täglich mehr als 10.000.
Dass Italien mit rund 120.000 Tests am Tag im Vergleich zu 180.000 in Frankreich etwas weniger testet, erklärt nicht den großen Unterschied. Experten vermuten eher den strengen und langen Lockdown sowie das kollektive Trauma in Italien als Gründe für die mittlerweile bessere Entwicklung.
Regeln werden gewissenhaft eingehalten
Italienern wird oft Disziplinlosigkeit vorgeworfen. Mit der Erinnerung an die vielen Toten im Frühling würden sich den Experten zufolge Italiener jedoch gewissenhaft an die Hygiene-Regeln halten und oft Masken in Situationen tragen, in denen sie gar nicht vorgeschrieben sind.
“Die Epidemie hat Italien früher getroffen und es hat als erstes europäisches Land harte Ausgangssperren verhängt. Davon profitieren wir jetzt noch”, erklärt der Infektiologe Massimo Andreoni vom renommierten Krankenhaus Tor Vergata in Rom. Die Öffnung sei sehr langsam und nur schrittweise erfolgt. Außerdem sei sie noch nicht gänzlich abgeschlossen.
Das fällt auch Touristen, etwa aus New York oder Schweden auf. Die Leute würden öfter Masken tragen und die Polizei sei wachsam, erklären Urlauber in Rom.
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Italien mittlerweile zum Vorbild im Umgang mit der Pandemie avanciert. Das betrifft sowohl das Vorgehen der Regierung als auch die Umsicht der Bevölkerung.
Der römische Flughafen Fiumicino wurde als erster weltweit von der Luftfahrt-Bewertungsagentur Skytrax für sein Corona-Management mit fünf Sternen ausgezeichnet. Dort herrschen klare Abstandsregeln, außerdem gibt es Fieberkontrollen, Masken und ausreichend Desinfektionsmittel. Zwischen Rom und Mailand werden zudem “Covid-freie” Flüge angeboten, die negativ getesteten Passagiere vorbehalten sind.
Großbritanniens Premier Boris Johnson versuchte die im Vergleich zu Italien und Deutschland hohen Infektionszahlen in seinem Land mit der “Freiheitsliebe” der Briten zu erklären. Die Italiener würden ihre Freiheit ebenso lieben. Aber die Italiener verhielten sich auch verantwortungsvoll, konterte der italienische Präsident Sergio Mattarella.
Die Schattenseite
Das vorbildliche Verhalten hat allerdings auch seine Kehrseite: Die vergleichsweise geringen Infektionen in Italien könnten auch auf eine Zunahme von Depressionen und anderen psychischen Störungen in den vergangenen Monaten zurückzuführen sein. “Die Angst vor dem anderen” nehme zu, erklärt die Psychologin Gloria Volpato gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur AGI. Sie stammt aus der am stärksten von der Pandemie betroffenen Provinz Bergamo.
Kontakte würden plötzlich als Risiko empfunden. Auf diese Weise hat es auch das Coronavirus schwerer, sich auszubreiten.