Wegweisendes Urteil des römischen Kassationsgerichtshofs

„Extremer Geiz gilt als Misshandlung“

Mittwoch, 22. Februar 2023 | 06:55 Uhr

Bologna – Ein wegweisendes Urteil, das vom römischen Kassationsgerichtshof gefällt worden ist, sorgt in Italien für Aufsehen. Die Höchstrichter in Rom bestätigten den Richterspruch des Gerichts von Bologna, das den extremen Geiz eines Ehemanns als gegen seine Frau gerichtete Misshandlungen bewertet hatte.

Der Mann hatte unter anderem seine Frau jahrelang dazu gezwungen, nur in den billigsten Läden einzukaufen und sogar ihre Intimhygiene stark einzuschränken. Er hatte der Frau erlaubt, nur einmal die Woche zu duschen und auf der Toilette nur zwei Blatt Toilettenpapier zu gebrauchen. Laut dem am 17. Februar 2023 veröffentlichten Urteil 6937/23 wurde der Mann der Misshandlung für schuldig befunden. Mit ihrem Urteil setzten die Richter einen Schlusspunkt unter den langen Leidensweg einer Ehefrau aus Bologna.

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Mit dieser für das Eherecht wegweisenden Entscheidung stellt der römische Kassationsgerichtshof die psychische Misshandlung mit der körperlichen gleich. Das Urteil betrifft eine in Bologna lebende Frau, die jahrelang Opfer ihres geizigen Ehemannes war. Der Mann bürdete seiner Frau über Jahre hinweg einen „unerträglichen, demütigenden und ungerechtfertigten Lebensstil voller Schikanen des übersteigerten Geizes“ auf.

Der Mann schränkte nicht nur viele persönlichen Freiheiten seiner Frau ein, sondern misshandelte sie auch, indem er sie im Namen seines „persönlichen Kampfes gegen die Verschwendung“ dazu zwang, nur einmal die Woche zu duschen, auf der Toilette nur zwei Blatt Toilettenpapier zu verwenden, nur Discounter aufzusuchen und dort nur die im Angebot befindlichen Produkte zu kaufen. Zudem wurde die Frau dazu genötigt, beim Waschen ihres Gesichts das Wasser in einer Schüssel aufzufangen, um es wiederverwenden zu können.

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Bei Tisch hingegen durfte sie für jede Mahlzeit nur ein Besteck und einen Teller verwenden. Eine gebrauchte Papierserviette, die von der Frau weggeworfen worden war, wurde vom Mann mit dem Hinweis, dass sie noch zu gebrauchen sei, aus dem Abfalleimer zurückgeholt. Nach Ansicht der Richter handelte es sich dabei um ein „Verhalten, das mit besonders quälenden Kontrollmethoden einherging“.

Im Laufe der Jahre wurde das Verhalten des Mannes immer unerträglicher. Die Frau lebte dermaßen in Angst, dass sie begann, Kassenbons wegzuwerfen und für sie bestimmte Einkäufe bei ihren Eltern zu verstecken. Außerdem bat sie ihre Freundinnen, für sie zu lügen und zu sagen, dass sie ihr etwas geschenkt hätten, was in Wirklichkeit sie für sich selbst gekauft hatte.

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Da beide Ehepartner arbeiteten und es keine besonderen finanziellen Probleme gab, bestand von der Einkommens- und Vermögensseite her keine Notwendigkeit, die Familienausgaben dermaßen stark einzuschränken. Vielmehr – so das Gericht – diente die „Sparsucht“ des Mannes allein dem Zweck, seiner Frau den eigenen Lebensstil aufzuzwingen, wodurch ein Klima des Missbrauchs entstand. Der extreme Geiz des Mannes und die ständigen Schikanen, denen die Frau ausgesetzt war, hatten zur Folge, dass sie sich zunehmend zurückzog und sich von ihren Angehörigen, Freundinnen und Arbeitskollegen isolierte. Hinzugezogene Ärzte diagnostizierten bei ihr später eine posttraumatische Belastungsstörung.

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Anwälte und viele Experten begrüßen den Urteilsspruch der Höchstrichter. „Man darf nicht vergessen, dass die wirtschaftliche Tyrannei eine der heimtückischsten Formen der Kontrolle und der Gewalt darstellt. Psychische Misshandlungen kommen den physischen gleich. Diejenigen, die sie erleiden, werden Tag für Tag gedemütigt. Sie können auch zum Nährboden werden, auf dem andere Formen der Gewalt gedeihen“, kommentiert Marco Meliti, Rechtsanwalt und Präsident der italienischen Vereinigung für Familienrecht und Psychologie, das Urteil des Kassationsgerichtshofs.

Mit Blick auf den jahrelangen Leidensweg der Frau ist diesen Worten nichts hinzuzufügen.

Von: ka