Sechs Carabinieri festgenommen – VIDEO

Folter, Erpressung und Drogenhandel: Carabinieristation beschlagnahmt

Donnerstag, 23. Juli 2020 | 07:02 Uhr

Piacenza – Die Stadt Piacenza in der norditalienischen Region Emilia Romagna war Schauplatz einer Maßnahme, die in Italien das erste Mal getroffen werden musste: die Schließung und Beschlagnahme einer gesamten Carabinierikaserne durch die Staatsanwaltschaft.

Zugleich wurden fünf Carabinieri festgenommen und in die Haftanstalt der Stadt gebracht. Ein weiterer Carabiniere wurde unter Hausarrest gestellt. Insgesamt sind 23 Personen – darunter zehn Carabinieri – in den unglaublichen Kriminalfall verwickelt. Nur ein Carabiniere, der in dieser Kaserne Dienst tat, gilt laut den Ermittlern bisher als unbescholten.

Den verhafteten Carabinieri wird von der ermittelnden Staatsanwältin von Piacenza, Grazia Pradella, vorgeworfen, eine regelrechte Verbrechensorganisation im Stil von „Gomorrha“ errichtet zu haben. Die den Carabinieri zur Last gelegten Straftaten reichen bis in das Jahr 2017 zurück.

Um ihre Ziele, die in erster Linie daraus bestanden, sich die eigenen Taschen zu füllen, zu erreichen, sollen die Carabinieri auf unrechtmäßige Festnahmen, Folter und Erpressung zurückgegriffen haben. Die Opfer waren – so die Staatsanwaltschaft – zumeist Drogenhändler und Ausländer, aber auch einfache Bürger, die das Pech hatten, in die Fänge der „Organisation“ zu geraten.

Das „Hauptgeschäft“ der kriminellen Vereinigung, an deren Spitze laut den Ermittlungen ein „Appuntato“ der Carabinieri gestanden haben soll, war der Drogenhandel. Seine Macht als uniformierter Vertreter der Staatsgewalt ausnützend soll der Obergefreite mittels Drogenhändlern seines Vertrauens ein größeres Drogenhandelsnetzwerk errichtet und in Eigenregie betrieben haben. Im Gegenzug für einen finanziellen Anteil am Drogengeschäft soll der Carabinieri „seinen“ Händlern „Schutz“ gewährt und ihnen beim Ankauf großer Mengen von Drogen geholfen haben.

Zu diesen Ermittlungsergebnissen passt auch ein weiterer Vorwurf. Während des Corona-bedingten Lockdowns soll ein Carabiniere einem Drogenhändler einen Passierschein ausgestellt haben, der es dem Händler ermöglicht haben soll, Mailand zu erreichen und sich dort mit Drogen einzudecken.

ANSA/Pierpaolo Ferreri

In dem 300 Seiten starken Ermittlungsbericht ist auch von „unrechtmäßigen Festnahmen und willkürlichen Hausdurchsuchungen“ die Rede. „Es gab nicht nur das Ziel, Drogen zu erwerben, sondern auch besser als die anderen dazustehen“. Zu diesem Zweck sollen die Carabinieri, die alle zur gleichen Kaserne gehörten, eine Vielzahl von Festnahmen vorgenommen haben. „Schade nur, dass diese Festnahmen auf dem zuständigen Staatsanwalt mitgeteilten, erfundenen und gefälschten Begebenheiten gründeten“, so Staatsanwältin Grazia Pradella während der Pressekonferenz.

Das die verhafteten Carabinieri belastende Beweismaterial ist erdrückend. Im Laufe der minutiösen Ermittlungsarbeit wurden zwischen Telefonmitschnitten, Abhörmaßnahmen und Computerverbindungen insgesamt 75.000 einzelne Ermittlungsoperationen durchgeführt und deren Ergebnisse ausgewertet. Das veröffentlichte Material scheint keinen Platz für Zweifel zu lassen.

„Sieh, wenn du das Zeug verkaufen willst, musst du ab heute und in Zukunft dieses Zeug verkaufen, sonst arbeitest du nicht! Und das Zeug geben wir dir!“, so ein abgehörtes Gespräch. „Ich habe eine kriminelle Organisation, eine Pyramide, geschaffen: Oben stehen ich, du und er. Wir sind unerreichbar“, so ein in einem Auto der Verhafteten abgehörtes Gespräch.

Wie ihr Verhalten im Stil von Mitgliedern des Organisierten Verbrechens zeigt – es gibt Bilder der Festgenommenen mit Geldscheinen –, scheint den verhafteten Carabinieri, die sich den abgehörten Gesprächen zufolge offenbar für „unerreichbar“ hielten, ihr „krimineller Erfolg“ aber zu Kopf gestiegen zu sein. Dank eines Hinweises eines Carabinierioffiziers, der in Piacenza Dienst geleistet hatte, kamen die unter der Regie der Staatsanwaltschaft von Piacenza durchgeführten Ermittlungen der Finanzpolizei ins Rollen.

„Ich tue mich schwer, diese Leute Carabinieri zu nennen“, so Staatsanwältin Grazia Pradella während der Pressekonferenz. Im selben Atemzug unterstrich Grazia Pradella, dass ihr Vertrauen in die Carabinieri ungebrochen sei. „Das, was sich die Staatsanwaltschaft und die Einheit der Carabinieri aber fragen müssen, ist, wie es möglich war, dass ein „Appuntato“ der Carabinieri, der sich im „Gomorrha-Stil“ aufführt, dermaßen große Macht erlangen konnte“, meinte Grazia Pradella anlässlich der Pressekonferenz.

Diese Frage stellt sich mittlerweile auch die italienische Öffentlichkeit.

Von: ka