Hunderte von Ärzten und Pflegern zieht es nach Saudi-Arabien

Fürstliche Gehälter: „Monatlich 7.000 bis 20.000 Euro“

Montag, 11. September 2023 | 08:09 Uhr

Rom/Riad/Dubai – Gleich mehrere berühmte Fußballspieler und Trainer, die ihren Clubs und Nationalmannschaften adieu sagten, um in Saudi-Arabien oder in den Golfstaaten satte Millionengehälter zu verdienen, sorgten fast den ganzen Sommer lang für Schlagzeilen. Allerdings stellen diese sportlichen VIPs nur die Spitze des Eisbergs dar. Mit hohen Gehältern, steuerlichen Vergünstigungen und einem Rundumsorglospaket versuchen Saudi-Arabien und die Golfstaaten in Europa Ärzte- und Pflegepersonal anzuwerben.

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Insbesondere in Italien, wo gemessen an der Ausbildung und den Anforderungen die Gehälter niedrig sind und besonders nach der Pandemie der Frust in den Krankenhäusern groß ist, fällt die Werbung der Scheiche auf fruchtbaren Boden. Vor allem die Aussicht, am Golf monatlich mehr als das Dreifache verdienen zu können – 7.000 bis 20.000 Euro –, veranlasste bereits Hunderte von italienischen Ärzten und Krankenpflegern dazu, ihre Stelle zu kündigen und in den reichen Staaten des Nahen Ostens einen beruflichen Neuanfang zu wagen. Besonders in den bereits jetzt von Personalengpässen geplagten norditalienischen Regionen Venetien, Lombardei und in der Emilia-Romagna verschärft dieser nicht unbedeutende Aderlass die Lage in den Krankenhäusern.

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Erfolgreiche Fußballspieler und -Trainer wie Cristiano Ronaldo oder Roberto Mancini, die den Lockungen satter Millionengehälter folgten und nach Saudi-Arabien wechselten, mögen zwar die Schlagzeilen beherrschen, aber da fast weltweit Mangel an Gesundheitspersonal herrscht, werden Ärzte, Krankenpfleger, aber auch Physiotherapeuten und Techniker sanitärer Berufe heute fast umworben, als seien sie selbst Fußballstars. Da Saudi-Arabien und die benachbarten Golfstaaten aufgrund des Bevölkerungswachstums und der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung bis zum Jahr 2030 rund 44.000 Ärzte, 88.000 Krankenpfleger sowie weiteres Gesundheitspersonal benötigen werden, sind die staatlichen Gesundheitsbehörden dieser Länder dazu bereit, sehr tief in die Tasche zu greifen.

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Weil in Italien die Gehälter gemessen an den medizinischen Anforderungen und der Arbeitsbelastung recht niedrig sind, ist es insbesondere italienisches Gesundheitspersonal, das dem Werben der Scheiche nachgibt und sich dazu bereit erklärt, im Gegenzug für dreimal so hohe Gehälter wie in ihrer Heimat an den Persischen Golf zu wechseln. Schätzungen zufolge ließen sich bisher bereits mehr als 500 Fachkräfte des Gesundheitswesens aus Italien und 50 aus dem übrigen Europa – etwa 250 Fachärzte, 100 Allgemeinmediziner, 200 Angestellte von Pflegeberufen sowie Physiotherapeuten, Techniker sanitärer Berufe, Apotheker, Podologen und Diätassistenten – von den Saudis oder von den Behörden der Golfemirate dazu überzeugen, für sie zu arbeiten.

„Es handelt sich um ein Phänomen, das wir bereits seit acht Jahren beobachten und das leider den Mangel an medizinischen Fachkräften in Italien verschärft. Die von der Abwanderung am stärksten betroffenen Regionen sind die norditalienischen Regionen Venetien, Lombardei und die Emilia-Romagna. Da 85 Prozent des abgewanderten Personals im öffentlichen Gesundheitswesen tätig war, gerät vor allem dieses immer stärker unter Druck“, erklärt der Präsident der Vereinigung der ausländischen Ärzte in Italien, Amsi, und Vorstandsmitglied von Fnomceo, dem Verband der Ärztevereinigungen, Foad Aodi.

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„Die Gründe für den Wechsel in die reichen Staaten des Nahen Ostens sind kein Geheimnis. Während Ärzten Monatsgehälter von 14.000 bis 20.000 Euro geboten werden, können Krankenpfleger und Angestellte anderer Gesundheitsberufe je nach Spezialisierung und Erfahrung monatlich bis zu 7.000 Euro verdienen. Voraussetzung ist neben guten Englischkenntnissen nur, dass die Mediziner und die Pflegekräfte jeweils mindestens fünf und zwei Jahre Berufserfahrung vorweisen können. Hinzu kommt, dass die örtlichen Behörden den benötigten Wohnraum zur Verfügung stellen und sich um alle bürokratischen Notwendigkeiten kümmern“, fährt Foad Aodi fort.

Mit einem Rundumsorglospaket, das die Schulbildung für die Kinder, steuerliche Vergünstigungen sowie weitere geldwerte Dienstleistungen und Benefits miteinschließe – so Foad Aodi –, verfolge das Gesundheitswesen Saudi-Arabiens das Ziel, medizinische Fachkräfte zu gewinnen und für viele Jahre ans Land zu binden.

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Der Präsident der Vereinigung der ausländischen Ärzte vertritt aber die Meinung, dass es nicht nur um die doppelt bis dreifach so hohen Gehälter gehe. „In den italienischen Krankenhäusern sind die Arbeitsbelastung hoch, die Dienste häufig und der Frust groß, wobei auch das Ende der Pandemie keine wesentliche Besserung der Lage brachte. Neben der Aussicht, wesentlich mehr zu verdienen, ist bei vielen Angestellten der Gesundheitsberufe aber auch der Wunsch groß, im Ausland Arbeitserfahrung zu sammeln“, meint Foad Aodi.

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Der Präsident der Amsi ist tief besorgt. „Die Flucht ins Ausland verschlimmert den Mangel an medizinischen Fachkräften, insbesondere an Fachkräften im öffentlichen Gesundheitswesen“, so Foad Aodi.

Auf der anderen Seite hat die Entscheidung, im Gesundheitswesen der Golfstaaten zu arbeiten, auch seine Schattenseiten. Da es sich nicht um Rechtsstaaten im westlichen Sinne handelt, riskieren Ausländer, die sich bei ihrer Arbeit echten oder vermeintlichen Verfehlungen schuldig machen, streng bestraft zu werden. Zudem ist der kulturelle Unterschied zwischen Europa und Saudi-Arabien nicht zu unterschätzen.

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Allerdings ist es nicht nur die Abwanderung ins Ausland, die den Gesundheitsbehörden der norditalienischen Regionen Sorge bereitet. Die Tatsache, dass aus Süditalien stammende Ärzte und Pflegekräfte, die seit Jahren im Norden arbeiten, in den Süden zurückkehren, trägt dazu bei, die Lage des italienischen Gesundheitswesens weiter zu verschärfen. Zudem beobachten die Gesundheitsbehörden, dass Angestellte des Gesundheitswesens – vornehmlich Pflegekräfte – überhaupt ihren Gesundheitsberuf aufgeben und in eine komplett andere Berufssparte wechseln.

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Darüber, wie die Abwanderung ins Ausland eingedämmt werden könne, herrscht unter den italienischen Gesundheitsbehörden Ratlosigkeit. Da der Spielraum für höhere Gehälter nicht besonders groß ist, bleibt kaum mehr als die Möglichkeit, mit Verschlankungen des Gesundheitswesens, die allen Mitarbeitern Arbeitsentlastungen bringen sollen, Ärzte und Pfleger für den Verbleib zu gewinnen.

Die Abwerbung wirft aber auch moralische Fragen auf. Die Frage, ob es hinnehmbar sei, dass reiche Staaten Ärzte und Pfleger, die in Italien und in anderen europäischen Staaten für teures Geld ausgebildet werden und dort erste Berufserfahrungen sammeln, einfach „wegkaufen“ können, bedarf einer Antwort. Viele Europäer fordern, diesen Formen der Abwanderung strenge gesetzliche Riegel vorzuschieben. „Bildet euch eure Leute selbst aus“, meinen diese Stimmen, die hohe Abwanderungshürden fordern.

Von: ka