Hausärztin lässt ihrem Frust freien Lauf

“Ich will keine Impfgegner mehr behandeln”

Donnerstag, 30. Dezember 2021 | 08:04 Uhr

Parre/Val Seriana/Bergamo – Angesichts der nach oben schießenden Infektionszahlen und der hohen Nachfrage nach Tests, die kaum zu bewältigen ist, ließ eine Hausärztin, Mara Maffeis, ihrem Frust freien Lauf.

„Wir ‚danken‘ allen ungeimpften Patienten für die neue Pandemiewelle, der wir entgegentreten müssen! Ich werde den lokalen Sanitätsbetrieb darum bitten, mich von der Betreuung ungeimpfter Patienten zu entbinden!“, so die 48-jährige Ärztin für Allgemeinmedizin auf ihrem WhatsApp-Status.

Sabes

Mara Maffeis, die im Bergdorf Parre in der Val Seriana bei Bergamo in einem Ambulatorium praktiziert, beließ es aber nicht nur bei den zwei Sätzen im sozialen Netzwerk, sondern fragte bei ihrer zuständigen Kontaktperson im lokalen Sanitätsbetrieb konkret an, ob es die Möglichkeit gebe, Personen, die die Coronaschutzimpfung ablehnen, aus der Liste der 1.500 von ihr betreuten Patienten zu streichen. Wie nicht anders zu erwarten wies der zuständige Verantwortliche des Sanitätsbetriebs dieses Ansinnen zurück.

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Da sie verpflichtet ist, alle Patienten zu behandeln und zu betreuen, wird sie ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzen. „Mir ist gesagt worden, dass das nicht möglich ist, und dass ich dann auch fettleibige Menschen und Raucher aus der Liste meiner Patienten entfernen müsste. Ich werde also weiterhin jeden behandeln, wie ich es immer getan habe“, so Mara Maffeis, die ihre zwei Sätze einen „momentanen Gefühlsausbruch“ nannte, gegenüber dem Corriere della Sera.

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Der Tropfen, der aus Sicht der Hausärztin im wahrsten Sinne des Wortes das Fass zum Überlaufen brachte und zum „momentanen Gefühlsausbruch“ führte, wurde von der Omikron-Welle verursacht, die gleich wie in ganz Europa auch in der Val Seriana für ein rapide ansteigendes Infektionsgeschehen verantwortlich ist. Genauso wie ihre Kollegen wurde auch die Praxis von Mara Maffeis von Anrufen positiv getesteter Patienten überschwemmt. Seit das vom Sanitätsbetrieb verwaltete System der Nachverfolgung der positiv Getesteten praktisch kollabiert ist, trudeln alle Fälle bei den Hausärzten ein. In der Tat werden Positive, die online einen PCR-Test vormerken wollen, auf einen Termin Mitte Januar verwiesen. Die einzige Alternative ist, sich den Test vom Hausarzt verschreiben zu lassen und stundenlange Wartezeiten vor den Drive-In-Testzentren in Kauf zu nehmen.

Wie Mara Maffeis berichtet, handelt es sich um asymptomatische Patienten oder solche mit leichten Symptomen. Dennoch belasten sie ihren Arbeitsalltag stark. „Zwischen Kontrollabstrichen und der Nachverfolgung der Kontakte muss ich dennoch schauen, wie ich die Ansteckungen in den Griff bekomme. Wenn ich nur das zu tun hätte, wäre ja alles in Ordnung, aber ich muss mich auch noch um die Erkrankungen der anderen Patienten kümmern. Manchmal bekomme ich einen Gefühlsausbruch, das wissen meine Patienten. Ich war wütend und verzweifelt, als ich diese Nachricht in meinem Whatsapp-Status geschrieben habe“, erklärt die Hausärztin von Parre.

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Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde die Hausärztin mehrmals bedroht. Eine anonyme Person schrieb ihr, dass er sie bei den Carabinieri anzeigen und er sich an einen Anwalt wenden werde. Das war aber noch nicht alles.

„Ein gewisser Locatelli rief mich an und beschimpfte mich. Er kündigte an, dass er zum Zweck meiner Entlassung eine Unterschriftensammlung ins Leben rufen und in meine Praxis kommen werde. Es ist schön und gut, wenn ich die Botschaft vermitteln kann, dass man sich impfen lassen soll. Ich fürchte niemanden. Auf jeden Fall steht es jeden, der meine Meinung nicht teilt, frei, den Hausarzt zu wechseln. Mir ist nicht bekannt, wie viele von denen, die ich betreue, ungeimpft sind, aber ich denke, dass sie bei dieser neuen Welle eine Rolle gespielt haben. Zufälligerweise sind die ersten Positiven, die ich einer Visite unterzogen habe, vier ungeimpfte Personen gewesen“, erzählt Mara Maffeis. Die Hausärztin fügt hinzu, dass die 40- bis 50-Jährigen zu den skeptischsten und hartnäckigsten Impfverweigerern gehören.

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Mara Maffeis erhielt aber auch viele Solidaritätsbekundungen. „Ich habe mich dreimal impfen lassen. Mir ist jedes Mal schlecht gewesen, aber ich bin bereit für die vierte Impfung. Im März 2020 habe ich mich angesteckt. Wenn ich an einige der Geschichten denke, an Menschen, die auf der Suche nach Sauerstoff umhergeirrt sind und ihn vielleicht nur deshalb bekommen haben, weil andere gestorben waren, bekomme ich immer noch Gänsehaut“, so eine Patientin, die der Hausärztin zustimmt.

Sabes

Die übergroße Mehrheit der Italiener scheint die Meinung der Hausärztin und dieser Patientin ebenfalls zu teilen. Die italienische Impfkampagne nimmt wieder mächtig Fahrt auf. Nachdem am Montag 583.000 Impfdosen verabreicht worden waren, wurde am Dienstag mit mehr als 619.000 injizierten Dosen ein neuer Höchststand erzielt. Bei 57.000 Impfdosen handelte es sich um Erstimpfungen und 34.000 Gaben betrafen Kinder der Altersgruppe von fünf bis elf Jahren.

 

 

Von: ka