Gesundheitssystem kämpft mit Problemen

Italien führt EU-Rangliste der Lebenserwartung an

Freitag, 12. Dezember 2025 | 08:12 Uhr

Von: idr

Rom – Italiener leben länger als alle anderen Europäer. Mit durchschnittlich 84,1 Jahren erreicht das Land gemeinsam mit Schweden den Spitzenwert in der Europäischen Union. Doch hinter dieser beeindruckenden Zahl verbergen sich gravierende Schwächen im staatlichen Gesundheitswesen, die vor allem sozial Schwächere treffen. Das geht aus dem heute veröffentlichten Bericht „EU Country Health Profiles 2025“ der OECD hervor.

Die Lebenserwartung in Italien hat das Niveau von vor der Corona-Pandemie nicht nur erreicht, sondern sogar um ein halbes Jahr übertroffen. Ein bemerkenswerter Wert, der zeigt, dass sich die Bevölkerung von den Folgen der Gesundheitskrise erholt hat. Ältere Italiener weisen generell bessere Gesundheitswerte auf als der EU-Durchschnitt – trotz der rapiden Alterung der Gesellschaft.

Dennoch bleibt viel zu tun: Mehr als die Hälfte aller Todesfälle gehen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs zurück. Vermeidbare Todesursachen konzentrieren sich auf Lungenkrebs, Covid-19 und ischämische Herzerkrankungen. Ein besonderes Problem: Viele Italiener leiden an unerkanntem oder unbehandeltem Bluthochdruck.

Besorgniserregende Raucherquote bei Jugendlichen

Während knapp 20 Prozent der erwachsenen Italiener rauchen, liegt die Quote bei 15-Jährigen deutlich höher. 27 Prozent dieser Altersgruppe gaben an, im vergangenen Monat geraucht zu haben – der dritthöchste Wert in der gesamten EU. Beim Alkoholkonsum zeigt sich ein gemischtes Bild: Insgesamt trinken Italiener moderat, doch exzessiver Konsum betrifft zehn Prozent der Erwachsenen und sogar jeden sechsten Jugendlichen.

Zu wenig Geld, zu wenig Personal

Die Gesundheitsausgaben Italiens beliefen sich 2023 auf 8,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – unter dem EU-Durchschnitt. Obwohl die Ärztedichte zu den höchsten in Europa zählt, fehlt es dramatisch an Pflegekräften. Begrenzte Ausbildungsplätze und unattraktive Gehälter verschärfen das Problem. Auch die Zahl der Allgemeinmediziner schrumpft, besonders in den nördlichen Regionen herrscht akuter Mangel. Eine alternde Belegschaft und strukturelle Fehlanreize tun ihr Übriges.

Wartelisten als Hauptproblem

Die OECD schlägt Alarm: Lange Wartelisten stellen das größte Hindernis im italienischen Gesundheitswesen dar. Mehr als sieben Prozent der Bevölkerung verzichteten 2023 auf notwendige medizinische Versorgung, weil die Wartezeiten zu lang waren. Hinzu kommt, dass ambulante Leistungen und zahnärztliche Behandlungen nur unzureichend vom staatlichen System abgedeckt werden. Viele Patienten weichen deshalb in die Privatmedizin aus – wer es sich leisten kann.

Armut verschärft Ungleichheit

Genau hier liegt das soziale Sprengpotenzial: Menschen, die von Armut bedroht sind, haben eine 2,5-mal höhere Wahrscheinlichkeit, keine medizinische Versorgung zu erhalten als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die Zweiklassenmedizin ist Realität – wer Geld hat, kommt schneller an Behandlungen, wer keines hat, wartet oder verzichtet ganz.

Italien mag europaweit die höchste Lebenserwartung haben, doch diese statistische Spitzenposition verschleiert tiefgreifende Probleme im Gesundheitssystem. Ohne Investitionen in Personal, Ausbildung und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen droht der Rekordwert künftig zur hohlen Zahl zu werden.

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