Von: ka
Rom – Ähnlich wie in vielen anderen westlichen Ländern, ist auch in Italien das Durchschnittsalter beim Erstkontakt mit Drogen immer niedriger. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl minderjähriger Drogenabhängiger verdoppelt. Bereits im Volksschulalter beginnen Buben und Mädchen, Lösungsmittel und Klebstoffe zu schnüffeln. Im Mittelschulalter steigen die so abhängig gemachten Kinder auf härtere Drogen wie Kokain um, wobei es oft zu besonders traurigen Phänomenen wie Beschaffungskriminalität und Prostitution Minderjähriger kommt.
Die Angestellten der Sozialdienste sowie Ärzte und Pfleger in den Krankenhäusern zeichnen ein dramatisches Bild. Sie berichten von achtjährigen Kindern, die verheerende Billigdrogen wie Klebstoffe und Lösungsmittel schnüffeln. Sie erzählen von 13-jährigen Mädchen, die für Geld ihren Körper verkaufen, um die nächste Drogendosis zu besorgen. Dabei werden sie oftmals schwanger und sind gezwungen, abzutreiben. Das Pflegepersonal ist manchmal gezwungen, Jugendliche mit Gurten an Betten zu binden, um sie in psychiatrischen Krankenhäusern den vom Gesetz vorgeschriebenen Therapien unterziehen zu können. Selbst Heroin wird von diesen Minderjährigen nicht mehr geraucht, sondern direkt in die Venen injiziert, sodass bereits 13-Jährige teilweise am ganzen Körper schreckliche Nadelstichverletzungen aufweisen. Wie die früheren Drogenabhängigen der 80-er Jahre stecken sich die jugendlichen Drogenabhängigen dabei mit Aids, Hepatitis und ähnlichen Erkrankungen an.
Die persönlichen Lebens- und Abhängigkeitsgeschichten der einzelnen Jugendlichen offenbaren das ganze Drama des steigenden Drogenkonsums unter Jugendlichen.
Riccardo beispielsweise hat die Mittelschule nur von weiten gesehen. Bücher, Schulkameraden, Hausaufgaben und Klassenarbeiten hat er nie gekannt. Als er zwölf Jahre alt war, hat er nur die unbändige Sucht verspürt, sich mit Kokain vollzupumpen. Heute ist Riccardo 16 Jahre alt, seit vier Jahren drogenabhängig und ist im Laufe dieser „Karriere“ bereits dreimal aus einer therapeutischen Einrichtung geflohen. Der 16-Jährige, der kaum je eine Schule besucht hat, ist praktisch Analphabet und gehört zu heute jener verlorenen Generation, die von Tag zu Tag zahlreicher wird.
Solche und ähnliche Geschichten finden sich zuhauf in den Protokollen der Ordnungskräfte, die täglich im Kampf gegen den Drogenhandel stehen, und in den Akten der Jugendgerichte wieder. Die Zahlen zeichnen ein trauriges Bild. In den letzten fünf Jahren hat sich in Italien die Anzahl minderjähriger Drogenabhängiger verdoppelt, wobei das Durchschnittsalter des Beginns des Drogenkonsums heute bei zwölf Jahren liegt. Das italienische Gesundheitssystem wird vom steigenden Phänomen der jugendlichen Drogenabhängigen überfordert. Die Therapiezentren für minderjährige Drogenabhängige lassen sich mit den Fingern abzählen. Gezwungenermaßen hat sich leider längst die Praxis durchgesetzt, dass die jugendlichen und mit psychischen Problemen belasteten Drogenabhängigen in eigentlich für Erwachsene bestimmte Zentren untergebracht werden müssen. Dieser Mangel an geeigneten Therapieeinrichtungen hat auch zur Folge, dass die jungen Abhängigen teilweise Hunderte von Kilometern von ihren Familien entfernt ihren Weg aus der Abhängigkeit finden müssen.
Laut den Zahlen des Fachbereichs der Jugendgerichte des römischen Justizministeriums werden in Italien derzeit insgesamt 20.466 Jugendliche und junge Erwachsene – darunter versteht man Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren – von den Sozialdiensten betreut. Von diesen über 20.000 sich in Therapie befindenden Personen sind allein das letzte Jahr mehr als 7.000 neu hinzugekommen. Auch eine weitere Zahl bereitet große Sorgen. In den letzten zwölf Monaten sind, so die Jugendgerichte, von Jugendlichen insgesamt 1.837 Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum stehen, verübt worden, was gegenüber dem Jahr 2015 einen Anstieg von fast 300 Straftaten bedeutet. Wie berichtet, stoßen die bereits bestehenden Betreuungseinrichtungen längst an ihre Grenzen, sodass viele Regionen entweder neue Therapiezentren geschaffen oder einen Teil der Jugendlichen in private Einrichtungen eingewiesen haben.
Dennoch stehen Sozialdienste, Justiz und Ordnungskräfte dem Problem oft ratlos gegenüber. Therapie und geeignete Einrichtungen hin oder her – es geht letztendlich um die wichtigste Frage. Wie können Jugendliche überhaupt davon abgehalten werden, jemals in den Teufelskreis aus Drogenabhängigkeit, Beschaffungskriminalität und hingeworfener Schul- und Berufsbildung zu geraten?