Trauriges öffentliches Gesundheitswesen: Lange Wartezeit für Gallenstein-OP

Krass: „Entweder 1.300 Tage warten oder 7.500 Euro bezahlen“

Dienstag, 21. März 2023 | 06:51 Uhr

Mailand – Die Beschwerde einer kranken Frau, die seit mehr als drei Jahren auf eine Operation wartet, erschüttert das italienische Gesundheitswesen. Die Patientin, die seit dem Jahr 2020 an Gallensteinen leidet, wurde trotz ihrer immer größeren Beschwerden auf eine lange Warteliste gesetzt. Zuletzt stand sie vor der Alternative, auf ihren OP-Termin entweder 1.300 Tage zu warten oder privat 7.500 Euro zu bezahlen.

Die Wartezeit für eine Cholezystektomie – die operative Entfernung der Gallenblase – beträgt in einem Krankenhaus des öffentlichen Gesundheitswesens der Lombardei nicht weniger als 1.300 Tage. Dabei handelt es sich keineswegs um einen Grenzfall, sondern um die normale Wartezeit, wie sie von der Verwaltung des Mailänder Krankenhauses San Raffaele für die Durchführung einer laparoskopischen Cholezystektomie im Abschnitt für „Wartelisten für normale Aufnahmen“ angegeben ist. Was es bedeutet, solange auf eine notwendige Operation zu warten, musste eine Frau, Aurelia, am eigenen Leib erfahren. „Es kann nicht sein, dass eine ehrliche Bürgerin, die ihre Steuern zahlt, nicht das Recht auf ein funktionierendes öffentliches Gesundheitswesen hat“, so die zutiefst enttäuschte Frau.

fotolia.de/Gorodenkoff – Symbolbild

Vom Radiomoderator und Arzt Vittorio Agnoletto interviewt, schildert Aurelia ihren jahrelangen Leidensweg. Nach einem ersten Auftreten von Gallenkoliken suchte die Frau im August des Jahres 2020 die Notaufnahme des Mailänder Krankenhauses San Raffaele auf. Der Patientin wurde diagnostiziert, dass sie an Gallensteinen von mehr als einem Zentimeter Größe leide. Die behandelnden Mediziner erklärten ihr, dass eine Auflösung der Steine nicht möglich sei und ein Eingriff angesetzt werden müsse. Aufgrund der erneuten Pandemiewelle wurde sie im Oktober des gleichen Jahres auf die Warteliste für eine Cholezystektomie gesetzt. Auch auf Anfrage konnte Aurelia aber kein genauer OP-Termin genannt werden.

„Seitdem gehe ich halbjährlich zur Kontrollvisite, aber ein Termin für die Operation steht immer noch nicht fest“, klagt Aurelia. Mit der Zeit wurden ihre Beschwerden immer schlimmer. Trotz einer Umstellung ihrer Ernährung litt die Frau immer häufiger an Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Im Laufe der Monate und Jahre nahmen ihre Schmerzen weiter zu, bis sie unerträglich wurden.

Als sie im heurigen Januar erneut im Krankenhaus anrief, um sich nach dem Stand der Warteliste zu erkundigen, sagte man ihr, dass sie noch immer sehr lang sei. Als sie sich dann erkundigte, wie lange sie warten müsste, wenn sie dieselbe Operation privatärztlich durchführen ließe, sagte man ihr, dass es in diesem Fall keine Wartezeiten gäbe. „Man teilte mir mit, dass die Kosten in diesem Fall 7.500 Euro betragen würden“, erzählt Aurelia.

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Das von Aurelia geschilderte Gallensteinleiden stellt zwar kein Problem dar, das einen dringenden Eingriff als notwendig erachtet, aber ihre gesundheitliche Lage könnte sich jederzeit zuspitzen. „Wenn sich die Steine bewegen, könnten sie eine Bauchspeicheldrüsenentzündung verursachen“, meint Dr. Agnoletto. „Sollte sich die Lage verschlimmern, muss dringend gehandelt werden. In der Medizin sollte man jedoch nicht warten, bis der Schmerz unerträglich wird“, fügt der Mediziner hinzu.

Mit der Ausnahme des Kostenvoranschlags in der Höhe von 7.500 Euro, der ihr nach Aussage der Frau nur telefonisch, aber nicht schriftlich mitgeteilt wurde, bestätigt das Krankenhaus San Raffaele alle Angaben von Aurelia. Laut Vittorio Agnoletto bringt der Fall von Aurelia einmal mehr „einen großen Widerspruch“ ans Licht.

Wie Dr. Agnoletto argumentiert, liegt das Problem „nicht darin, dass keine OP-Säle oder Chirurgenteams zur Verfügung stünden, denn würde sich die Patientin dazu entscheiden, den Eingriff privatärztlich durchführen zu lassen, bekäme sie einen sehr zeitnahen OP-Termin“. Sein Vorwurf lautet, dass es dem Krankenhaus vor allem um finanzielle Einnahmen gehe. „Bei der Entscheidung, diese Operationen so lange hinauszuzögern, bis verzweifelte Menschen, sofern sie es sich leisten können, beschließen, sie privat durchzuführen, handelt es sich vielmehr um eine rein finanzielle Frage“, urteilt der Radiomoderator und Arzt.

apa – archiv

Ein Blick auf die auf der Webseite des Krankenhauses San Raffaele veröffentlichten Tabellen mit den Wartelisten für normale Aufnahmen zeigt, dass bei einigen Eingriffen, zu denen auch die Cholezystektomie gehört, Wartezeiten von fast drei Jahren bestehen. Natürlich – so Vittorio Agnoletto – bestehe für Aurelia auch die Alternative, sich an ein anderes Krankenhaus zu wenden, wobei dies aber den Nachteil habe, dass sie wieder ganz von vorne beginnen müsste.

Laut Ansicht des Radiomoderators und Arztes liege das Problem nicht im Einzelfall, zu dem er aber an den zuständigen Regionalassessor Guido Bertolaso eine schriftliche Anfrage gerichtet hat, sondern am gesamten medizinischen Zugangssystem, das „Eingriffen, die dem Privatsektor höhere Einnahmen garantieren, einen Vorrang einräumen“.

Dr. Agnoletto ist nicht der Einzige, der glaubt, dass das öffentliche Gesundheitswesen gegenüber der privatärztlich organisierten Medizin, die vor allem gewinnorientiert arbeitet, immer öfter das Nachsehen hat.

Von: ka