Für Bauer und „Mittelsmann“ 23 Jahre Haft gefordert – VIDEO

Moderne Sklaverei: 47-Jähriger stirbt bei der Tomatenernte

Freitag, 14. Oktober 2022 | 08:00 Uhr

Nardò – Die Stadt Lecce in Apulien ist Schauplatz eines Prozesses und eines möglichen Urteils, das Justizbeobachter für richtungsweisend halten.

Da sie beide für den Tod eines 47-jährigen Mannes aus dem Sudan, der bei der Tomatenernte unter der sengenden Sonne ums Leben gekommen war, für verantwortlich hält, forderte die Staatsanwältin für einen Bauern und dessen “Mittelsmann”, der ihm die schwarzarbeitenden Erntehelfer und Tagelöhner „besorgt“ hatte, wegen Versklavung und gemeinschaftlich verübter fahrlässiger Tötung jeweils elfeinhalb Jahre Haft.

Facebook/Caporalato

Es war am 20. Juli 2015, als der 47-jährige Abdullah Mohammed bei der Tomatenernte in der Ortschaft Pittuini bei Nardò in Apulien plötzlich zusammenbrach und starb. Abdullah Mohammed, der aus dem Sudan geflohen war, war gleich wie viele seiner Leidensgenossen von seinem Landsmann Mohamed Elsalih „angeheuert“ worden, um in Apulien die Tomatenernte einzubringen. Der 42-jährige Mohamed Elsalih fungierte als „Mittelsmann“ zwischen seinen Landsleuten und verschiedenen Bauern, die an billigen Arbeitskräften interessiert waren.

Wie spätere Ermittlungen ans Tageslicht brachten, wurden die Sudanesen unter sklavenähnlichen Verhältnissen gezwungen, die Tomaten zu ernten. Unter Aufsicht von Mohamed Elsalih und anderer „Caporali“ mussten die Tagelöhner unter der sengenden Julisonne Süditaliens zehn bis zwölf Stunden am Tag Tomaten ernten, wobei sie wenig zu essen und zu trinken bekamen. Auch Sonnenschutzhüte und Arbeitspausen wurden den „Feldsklaven“ verweigert. Um nicht aufzufallen und um in der Nähe der Tomatenfelder zu bleiben, wurden sie dazu angehalten, abseits der Ortschaften in Scheunen, Baracken und aufgelassenen Höfen zu übernachten.

Für diese Schwerstarbeit erhielten die Sudanesen lediglich 50 Euro am Tag, was einem Stundenlohn von nur vier bis fünf Euro entspricht. Laut der Staatsanwältin Francesca Miglietta, die auf den Bericht des Gerichtsmediziners verweist, wurde Abdullah Mohammed Opfer unmenschlicher Arbeitsbedingungen und der prekären hygienischen Zustände, die in seiner Unterkunft herrschten.

Da der 47-jährige Flüchtling an einer schweren Form der Lungenentzündung litt, die hätte erkannt werden müssen, wäre der Staatsanwaltschaft zufolge sein Tod vermeidbar gewesen. Wie die Untersuchungen des Gerichtsmediziners Alberto Tortorella aber zeigten, hat sich die Krankheit aufgrund der hohen Temperaturen und der körperlichen Anstrengung im Körper des Sudanesen immer weiter ausgebreitet und in der Folge seinen Tod herbeigeführt.

Facebook/Caporalato

Staatsanwältin Francesca Miglietta zufolge, die sich auf die von ihrer Kollegin Paola Guglielmi geführten Ermittlungen bezieht, sind die Angeklagten – der 83-jährige Großbauer Giuseppe Mariano und der aus dem Sudan stammende „Caporale“ Mohamed Elsalih, der als „Mittelsmann“ gilt, der die Einwanderer angeworben und für ihren Transport auf die einzelnen Felder gesorgt hatte – hauptverantwortlich für den Tod von Abdullah Mohammed. Für beide beantragte die Staatsanwaltschaft beim Schwurgericht von Lecce wegen Versklavung und gemeinschaftlich verübter fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe von jeweils elfeinhalb Jahren. Das Urteil des Gerichts von Lecce wird für den November erwartet.

Ursprünglich waren Giuseppe Mariano und Mohamed Elsalih wegen „Caporalato“ – mit dem Begriff „Caporalato“ wird die im Süden grassierende Sklavenarbeit in der Landwirtschaft bezeichnet – angeklagt worden. Während einer früheren Verhandlung hatte die mit den Ermittlungen beauftragte Staatsanwältin Paola Guglielmi aber die ursprüngliche Anklage abgeändert und die Straftat des „Caporalato“ – die illegale Vermittlung und Ausbeutung von Arbeitskräften – in das Verbrechen der „Versklavung“ umgewandelt. In der Anklageschrift der Staatsanwältin heißt es, die beiden Angeklagten hätten „zahlreiche Nicht-EU-Bürger, vor allem sudanesische Staatsangehörige, in einen Zustand ständiger Unterwerfung, der der Sklaverei ähnelt, gehalten und sie gezwungen, auf den Feldern unter Bedingungen absoluter Ausbeutung zu arbeiten“.

Facebook/Caporalato

Das traurige Schicksal von Abdullah Mohammed, der gezwungen wurde, unter menschenunwürdigen Lohn- und Arbeitsbedingungen Feldarbeit zu verrichten, und dabei sein Leben verlor, bewegt viele Menschen. Viele Italiener fragen sich, wie der Teufelskreis aus Illegalität, Armut und Ausbeutung durchbrochen werden kann.

Von: ka