CAI und Bergführer gegen neue Gipfelkreuze

„Sie sind anachronistisch und repräsentieren nicht alle Bergsteiger“

Samstag, 24. Juni 2023 | 08:08 Uhr

Mailand – Der italienische Bergsteigerverband CAI vollzieht eine Kehrtwende und verkündet, die Aufstellung neuer Gipfelkreuze nicht mehr zu unterstützen. „Sie sind anachronistisch und repräsentieren nicht alle Bergsteiger. Die bestehenden Kreuze werden nicht angetastet, aber die Gipfel sollten neutraler Boden sein“, meint der CAI.

Auf der Facebook-Seite des italienischen Bergsteigerverbands entbrannte daraufhin eine heftige Debatte. Die Bergführer von Alagna gehen sogar noch weiter. Sie haben vor, Statuetten, Gedenktafeln und „Marterlen“, die an Bergtote erinnern, vom Berg zu entfernen und an einem gemeinsamen Gedenkort auszustellen.

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Auf den Alpengipfeln wurden 327 Gipfelkreuze gezählt, von denen einige bereits seit Jahrhunderten den Gipfel zieren. Ein auf dem Webportal des italienischen Alpenvereins Cai erschienener Artikel entfachte erneut die nie ganz zur Ruhe gekommene Debatte, ob es noch sinnvoll sei, neue Gipfelkreuze zu errichten. Im Artikel, der die offizielle Position des italienischen Bergsteigerverbands wiedergibt, wird gleichzeitig mit Nachdruck bekräftigt, dass niemand die Absicht habe, die bestehenden Gipfelkreuze abzubauen. Der CAI erinnert daran, dass einige von ihnen – insbesondere in den Dolomiten, im Ortler-Adamello-Gebiet, auf der Hochebene von Asiago, in Pasubio und am Monte Grappa – mit dramatischen Kriegsereignissen des Ersten Weltkriegs verbunden sind.

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„Die Entfernung der Gipfelkreuze ist unangebracht, aber die Errichtung neuer Kreuze ist anachronistisch. Wir sollten Berggipfel als neutralen Boden ansehen, der in der Lage ist, Kulturen miteinander zu verbinden, die vielleicht weit voneinander entfernt sind, aber die gleiche Würde besitzen“, so der Autor des Artikels, Pietro Lacasella.

„Der CAI behandelt die bestehenden Kreuze mit Respekt. Er sorgt sich um ihren Zustand und kümmert sich, wenn nötig, um ihre Reinigung und Instandhaltung. Denn Gipfelkreuze zu entfernen, wäre – das sei hier noch einmal betont – wie das Auslöschen einer Spur unseres Weges. Es wäre wie das Entfernen eines Fußabdrucks, den wir betrachten müssen, um die Gegenwart bewusster erleben zu können“, so der CAI in seiner Stellungnahme.

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Den Bergführern von Alagna ist das aber nicht genug. Auf dem Balmenhorn – einem 4.167 Meter hohen Gipfel in der Monte Rosa-Gruppe – steht eine fast vier Meter hohe bronzene Christusstatue. „Niemand denkt daran, sie zu entfernen, so wie auch niemand daran denkt, die Kreuze, die auf fast allen Gipfeln der Monte-Rosa-Gruppe stehen, zu entfernen. Dies gebührt allein schon der Respekt“, erklärt der Präsident der Bergführer von Alagna, Andrea Enzio.

„Bereits vor drei Jahrzehnten, im Jahr 1993, hatten wir aber eine Initiative ins Leben gerufen, um Steige und Wege von Kreuzen, Gedenktafeln, Statuetten und anderen Zeugnissen, die von Verwandten und Bekannten von Bergtoten aufgestellt oder angebracht worden waren, zu säubern. Auf einigen Routen in der Monte Rosa-Gruppe befinden sich drei bis vier Gedenktafeln mitten im Weg. Wir haben vor, diese Idee erneut aufzugreifen, ohne jemandem gegenüber respektlos zu sein. Wir wollen sie einfach in einer Art Gedenkstätte vereinen. Als Gedenkstätte stellen wir uns eine Kapelle vor, die sich in der Nähe einer Hütte befindet. Wir wollen nichts verbieten. Es handelt sich nur um eine in Einklang mit der Gemeinde angedachte Anregung, um den Berg nicht mit ‚Andenken‘ zu übersäen“, fügt Andrea Enzio hinzu.

Unter dem Facebook-Eintrag entbrannte eine heftige Debatte. Während einige die Haltung des CAI teilten, meinten andere, dass nach dem „Verbot“ der Neuerrichtung von Kreuzen als Nächstes die Entfernung bestehender Gipfelkreuze kommen werde. Die Angst vor dem Verlust eines Teils der eigenen Kultur ist in den Kommentaren mit Händen zu greifen.

Von: ka