„Suspendierung von AstraZeneca hat überhaupt keine wissenschaftliche Evidenz“

Vakzin, „Pille“ und Thrombosen: Gynäkologin gibt Entwarnung

Donnerstag, 18. März 2021 | 07:00 Uhr

Rom – Andrea Crisanti geht mit der Entscheidung mehrerer europäischer Regierungen, die Verabreichung der Impfdosen von AstraZeneca vorläufig zu suspendieren, hart ins Gericht. „Es hat sich um eine politische Entscheidung gehandelt, die jeglicher wissenschaftlicher Evidenz entbehrt. Weil überhaupt keine wissenschaftliche Institution sich jemals gegen das Vakzin von AstraZeneca ausgesprochen hat, sollen nun jene, die diese Entscheidung getroffen haben, dafür die Verantwortung übernehmen“, so die unmissverständlichen Worte des angesehenen Mikrobiologen der Universität von Padua.

Crisanti a Sky TG24: “Decisioni politiche dettate dal panico”

“Sono state decisioni politiche non supportate da evidenze scientifiche, nessuno sul piano scientifico si è mai pronunciato contro AstraZeneca". A dirlo è Andrea Crisanti, direttore del dipartimento di Microbiologia dell’Università di Padova http://sky.tg/mmEUq

Posted by Sky TG24 on Wednesday, March 17, 2021

„Es handelt sich um eine in Panik gefällte Entscheidung. Wir sprechen hier von fünf oder sechs Thrombosefällen auf eine Million. Das ist sehr wenig. Und in jedem Fall gibt es keinen Kausalzusammenhang, sondern nur eine zeitliche Beziehung. Sie ist zwar notwendig, aber nicht genügend, um eine Kausalbeziehung festzustellen“, so die Erklärung von Andrea Crisanti.

ANSA/NICOLA FOSSELLA

Die Gynäkologin Alessandra Graziottin warnt ebenfalls davor, zwischen Vakzinen, hormonellen Verhütungsmitteln und Thrombosen einen Zusammenhang herzustellen. „Die wahllose Behauptung, dass ein x-beliebiges Medikament – sei es nun ein Impfstoff, eine Antibabypille oder etwas anderes – eine Thrombose verursachen kann, heißt, schlechte Informationen zu verbreiten, und birgt die Gefahr, ungerechtfertigte Panik zu erzeugen“, so die Leiterin der Abteilung für Gynäkologie und medizinische Sexualforschung des Krankenhauses „San Raffaele Resnati“ von Mailand.

Das Thema geriet ins Blickfeld der Öffentlichkeit, nachdem der Präsident der italienischen Arzneimittelagentur Aifa, Giorgio Palù, sich zur Suspendierung des Vakzins von AstraZeneca und zum angeblichen Thromboserisiko geäußert hatte.

„Das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen schlägt für den Impfstoff von AstraZeneca eindeutig Richtung Nutzen aus. Natürlich kann man die Bewertung der Ema (der Europäischen Arzneimittelagentur, Anmerkung der Redaktion) abwarten, die meiner Erwartung nach einen warnenden Hinweis enthalten wird, die Fälle weiblicher Personen, die in Vergangenheit an Thrombosen gelitten haben, genauer zu untersuchen. Dies gilt besonders für Frauen, die die sogenannte Antibabypille, bei der es sich um ein prothrombotisches Medikament handelt, einnehmen oder unter Gerinnungsstörungen leiden. Diesen Fällen sollte man größere Beachtung schenken“, so der Präsident der italienischen Arzneimittelagentur Aifa, Giorgio Palù.

Facebook/Alessandra Graziottin MD

Alessandra Graziottin unterstreicht, dass um den Zusammenhang zwischen hormonellen Verhütungsmitteln und der Gefahr durch venöse Thrombosen zu verstehen, es wichtig sei, die Zahlen zu betrachten.

„Nach den letzten verfügbaren Daten wird das Thromboserisiko bei Frauen, die keine hormonelle Verhütung anwenden, auf 2,1 pro 10.000 Frauen auf das Jahr berechnet geschätzt (ein Gerinnsel in einem Blutgefäß würde 2,1 Mal auftreten, wenn 10.000 Frauen ein Jahr lang beobachtet würden, Anmerkung der Redaktion) Bei Probandinnen, die eine gängige orale Verhütungspille verwenden, wurde eine Rate von 6,2 bis 7,2 pro 10.000 Frauen pro Jahr beobachtet. Bei Kontrazeptiva, die nur Gestagen enthalten, ist das Risiko nicht gegeben. Zusammenfassend können wir sagen, dass eine leichte Erhöhung des Risikos zwar vorhanden ist, die Gefahr einer Thrombose aber absolut betrachtet gering bleibt. Dies gilt vor allem dann, wenn der behandelnde Mediziner vor der Verschreibung des Medikaments eine angemessene Anamnese vornimmt“, erläutert die Gynäkologin.

Instagram / babywish.2019

Patientinnen, die eine Familiarität oder eine persönliche Krankengeschichte von Thrombosen oder Venenentzündungen aufweisen, aber auch Frauen, die rauchen, übergewichtig sind oder in der Vergangenheit an Diabetes oder Hypercholesterinämie gelitten haben, rät die Gynäkologin Alessandra Graziottin dazu, auf hormonelle Verhütungsmittel, die Östrogen und Gestagen enthalten, zu verzichten. Alessandra Graziottin hebt aber hervor, dass bei einer korrekt durchgeführten persönlichen und familiären Anamnese das Risiko einer Thrombose oder anderer unerwünschter Nebenwirkungen tatsächlich sehr gering sei.

Bei vielen Beobachtern verhärtet sich der Eindruck, dass es sich bei der vorläufigen Suspendierung des Vakzins von AstraZeneca um einen Sturm im Wasserglas handelt, der aufgrund einer in Panik getroffenen Entscheidung entstanden ist. Schwerer als die Suspendierung – so diese Stimmen – wiegen die hervorgerufene Unsicherheit sowie der Vertrauensverlust.

 

Von: ka