"Agrar-Lobby setzt sich durch"

Zell-Fleisch soll verboten werden: Tierschützer wettern gegen Italien

Freitag, 07. April 2023 | 13:01 Uhr
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Rom – Fleisch oder andere Tierprodukte, die auf Zellbasis hergestellt werden können, ohne dass dafür Tiere sterben müssen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. “Wenngleich sie kommerziell noch nicht in Europa vermarktet werden, bieten sie ein großes Potential für den Tier- und Umweltschutz. Denn anders als pflanzliche Alternativprodukte sind Geschmack und andere Genussfaktoren bei sogenanntem ‘Cultured Meat’ dem konventionellen Fleisch von toten Tieren am ähnlichsten”, ist der österreichische Verein Gegen Tierfabriken überzeugt.

Die italienische Regierung hat nun einen Gesetzesentwurf eingebracht, der den Verkauf von Zellfleisch und Fleisch-Produkten, die nicht von geschlachteten Tieren stammen, verbieten soll. Laut dem zuständigen Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida von der FdI-Partei beruht der Vorstoß unter anderem auf dem Drängen der Landwirte und Landwirtschaftsverbände. Der VGT spricht von einem “schweren Schlag für den Tierschutz”.

“Tierleid unter dem Deckmantel der ‘Natürlichkeit'”

“Populistisch wird das geplante Verbot als Wahrung von ‘Tradition’ und ‘Natürlichkeit’ vermarktet. Dass die Intensivtierhaltung, wie sie in der Fleischproduktion üblich ist, gar nichts mit Natürlichkeit – sprich den natürlichen Bedürfnissen von Tieren – zu tun hat, verdeutlichen Blicke hinter die Türen italienischer Tierfabriken.” Artwidrige Haltungsbedingungen und Tierrassen, die auf Kosten des Wohlbefindens der Tiere nur auf Leistung optimiert sind, seien auch in Italien die Norm. Vollspaltenboden in der Schweine- und Rinderhaltung und Qualzucht von Masthühnern seien nur zwei Beispiele für die viel zu oft ignorierten Leiden der sogenannten Nutztiere in der industriellen Massenproduktion von Fleisch, so der Verein Gegen Tierfabriken. Nach Deutschland, Spanien, Frankreich und Polen ist Italien der fünftgrößte Fleischproduzent der EU. Produkte wie Hühnerfleisch der Marke AIA landen auch im österreichischen Handel.

Zellfleisch: “Genuss ohne Tierleid”

Cultured Meat (früher auch als „Labor-Fleisch“ oder “clean meat” bekannt) wird auf Basis einer kleinen Menge von Muskelzellen produziert, die in Nährlösungen vermehrt werden. Der Prozess ähnelt dabei eher einer Brauerei als einem Labor.

“Das bisher aus Tierschutzsicht kritische „Fötale Kälberserum“ wird alleine schon aus Kostengründen nicht für die Produktion von marktreifem Kulturfleisch verwendet werden”, so der VGT. Das Resultat sind Fleischprodukte, die aus echtem Tierfleisch bestehen – jedoch ohne dass dafür Tiere sterben mussten. Auch aus Klimasicht biete kultiviertes Fleisch Chancen, heißt es weiter. Laut einer Ökobilanz-Analyse des “Good Food Institute” sei der Co2-Ausstoß bei Einsatz erneuerbarer Energien bei kultiviertem Rindfleisch im Vergleich zu herkömmlichem Rindfleisch um bis zu 92 Prozent geringer, bei kultiviertem Schweinefleisch um bis zu 44 Prozent.

Momentan ist der kommerzielle Verkauf von kultiviertem Fleisch nur in Singapur erlaubt, in den USA könnte eine offizielle Freigabe nach einem positiven Statement der zuständigen Lebensmittelbehörde FDA kurz bevorstehen. In der EU ist Fleisch aus Zellkultur noch gar nicht offiziell zugelassen. “Sollte diese Zulassung schließlich erfolgen, dürfte das italienische Verbot gegen den freien EU-Binnenmarkt verstoßen und deshalb von EU-Gerichten gekippt werden”, meint der Verein Gegen Tierfabriken.

VGT-Campaigner Georg Prinz: “Der Vorstoß in Italien ist erschütternd, aber leider nicht ungewöhnlich und erinnert an den autoritären Präsidenten Erdoğan, der in der Türkei pflanzliche Käsealternativen einfach verbieten hat lassen und damit eine innovative Branche auf einen Schlag vernichtet hat. Die Landwirtschafts-Lobby hat sich wie so oft durchsetzen können, wie es scheint. Dabei gibt es sogar einige Fleischkonzerne, die Innovationen im Bereich Fleischalternativen vorantreiben und sich in Zukunft „Proteinfirmen“ anstelle von „Fleischfirmen“ nennen wollen. Kultiviertes Fleisch bietet eine enorm wichtige Möglichkeit für jene Menschen, die den Tod und das Leiden von Tieren verhindern, aber dennoch Fleisch essen wollen. Tierleid kann keine „Tradition“ sein, industrielle Nutztierhaltung mit High-Tech-Rassen aus dem Labor kann keinesfalls als natürlich bezeichnet werden. Wer kultiviertes Fleisch verbieten will, ohne Tierfabriken anzutasten, handelt scheinheilig und nimmt sich eine der größten Chancen, die negativen Auswirkungen des Fleischkonsums auf Tiere und Umwelt deutlich zu reduzieren.”

Zell-Fleisch als Gefahr für “Made in Italy”

Demgegenüber steht die Unklarheit darüber, welche Effekte der Konsum von künstlichem Fleisch in einem gesundheitlichen Sinne nach sich ziehen könnte. “Das Verbot beruht auf dem Vorsorgeprinzip, da es bis heute keine wissenschaftlichen Studien über die Auswirkungen von synthetischen Lebensmitteln gibt. Wir bekräftigen, dass die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in höchstem Maße geschützt und das Erbe unseres Landes sowie unsere auf der mediterranen Ernährung basierende Agrarkultur bewahrt werden müssen”, so der Gesundheitsminister Orazio Schillaci.

Unterstützt wird der Gesetzesentwurf von Ettore Prandini, Präsident des Bauernverbands Coldiretti, dessen Petition zum Verbot synthetischer Lebensmittel in kurzer Zeit über eine halbe Million Unterschriften sammeln konnte. „Die Lügen über Lebensmittel aus dem Reagenzglas bestätigen die präzise Strategie der multinationalen Konzerne, die mit geschickten Marketingmaßnahmen versuchen, die natürlichen, auf Qualität und Tradition beruhenden Ernährungsgewohnheiten zu verändern“, so Pandini. Angesprochen wird somit auch die Auffassung, dass die Produktion von künstlichen Lebensmitteln als Gefahr für “Made in Italy”, also für die italienische Lebensmittelkultur aufzufassen sei.

Ein Punkt, der auch von Francesco Lollobrigida, Minister für Landwirtschaft, geteilt wird: “Synthetische Lebensmittel sind keine Garantie für Qualität, Wohlbefinden und den Schutz der Lebensmittel- und Weinkultur sowie der Produktionstradition, mit welcher ein Teil unserer Tradition verbunden ist. Es besteht die Gefahr einer höheren Arbeitslosigkeit, weil es billiger wäre, dort zu produzieren, wo die Arbeitskosten geringer sind, und einer sozialen Ungerechtigkeit, in der die Reichen gut essen und die Armen nicht”.

Von: luk