Von: ka
Paderno Dugnano – Am Tag nach der schrecklichen Familientragödie von Paderno Dugnano, einem Vorort von Mailand, steht Italien unter Schock. Die Tatsache, dass ein “braver Junge” aus ordentlichen familiären Verhältnissen, der 17-jährige Riccardo C., seine ganze Familie getötet hat, lässt viele Italiener rat- und fassungslos zurück.
Zu seinem Motiv befragt, vermochte der 17-Jährige keine vernünftige Antwort zu geben. “Zu Hause fühlte ich mich wie ein Fremdkörper, ich fühlte mich krank. Ich hatte schon eine Weile darüber nachgedacht. Ich dachte, dass ich dieses Unbehagen loswerden würde, wenn ich sie alle töte, aber es war nicht so. Eine Minute später wurde mir klar, dass ich es nicht loswerden würde”, so Riccardo C..
Als die Carabinieri in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag vor der Villa in Paderno Dugnano eintrafen, saß Riccardo C. in seinen Unterhosen auf der Mauer. Der 17-Jährige, der selbst die Notrufnummer gewählt hatte, war voller Blut. An seinem Körper klebte das Blut seines Vaters Fabio, seiner Mutter Daniela und seines jüngeren Bruders Lorenzo. Das Küchenmesser, das er noch in seiner Hand hielt, ließ er vor ihm auf den Bürgersteig fallen. Riccardo C. war den Carabinieri zufolge ruhig und zeigte keinerlei Emotionen. Als die Carabinieri in das Haus eindrangen, entdeckten sie die drei Leichen.
Geschlagene zwölf Stunden lang hielt der Riccardo C., der in zwei Wochen die fünfte Klasse des örtlichen wissenschaftlichen Lyzeums besuchen sollte, an seiner Darstellung des Tathergangs fest, aber es war wirklich schwer zu glauben, dass seine Mutter und sein Bruder von seinem Vater Fabio erstochen worden seien und er selbst nur durch den Mord an seinen Vater überlebt habe. Von einem Überlebenskampf gegen einen großen, athletischen Mann hätte er entsprechende Abwehrverletzungen davontragen müssen, aber am Körper des 17-Jährigen fand sich kein einziger Kratzer.
"Omicidio lucido e senza movente"La strage familiare di Paderno Dugnano, nel Milanese. Il diciassettenne che ha confessato di aver ucciso il fratello minore e i genitori ha detto: "Mi sentivo un estraneo, ci pensavo da un po'". Per la pm, è stato un omicidio lucido e senza movente.Jari Pilati e Valeria Papitto per il Tg3 delle 14.20 del 2 settembre 2024
Posted by Tg3 on Monday, September 2, 2024
Die Carabinieri glaubten ihm von Anfang an kaum ein Wort. Bei einer ersten Begutachtung der leblosen Körper der Opfer stellte der Gerichtsmediziner fest, dass auf den 51-jährigen Fabio Chiaroni, die 49-jährige Daniela Albano und den zwölfjährigen Lorenzo Dutzende Male eingestochen worden war.
Schließlich gestand Riccardo C. die schreckliche Bluttat. Noch am Samstagabend hatte die ganze Familie Fabios Geburtstag gefeiert. Am frühen Sonntagmorgen gegen 2.00 Uhr war der 17-Jährige aufgestanden, hatte sich in der Küche ein großes Messer geholt und war in das Zimmer seines jüngeren Bruders geschlichen. Dutzende Male hatte er auf den Zwölfjährigen eingestochen. “Es gibt keinen wirklichen Grund, warum ich ihn getötet habe. Ich fühlte mich in meiner Familie wie ein Fremdkörper, ich fühlte mich unterdrückt. Ich dachte, wenn ich sie alle umbringe, werde ich dieses Unbehagen los. Eine Minute später wurde mir jedoch klar, dass ich mich nicht dadurch befreien würde, wenn ich sie alle töte”, so Riccardo C., der nicht dazu imstande war, für den Dreifachmord ein wirkliches Motiv zu nennen.
In der Tat schien nichts auf eine Familientragödie hinzudeuten. Riccardo C. galt als guter Schüler und als “braver und unauffälliger” Junge, der auch in der Schule brillierte. Im vergangenen Jahr hatte er sogar an einem Mathematikwettbewerb teilgenommen. Seine Mutter nannte ihn liebevoll “meinen kleinen Einstein”. Der 17-Jährige war alles andere als ein gemiedener Außenseiter. Riccardo C. hatte eine Freundin, mehrere Freunde und spielte im Nachbarort in einer Jugendvolleyballmannschaft. Auch ein “Betriebsunfall” wie eine Nachprüfung, ausgerechnet in Mathematik, konnte ihn nicht aus der Bahn werfen.
In seiner Familie schien – zumindest auf den ersten Blick – alles in Ordnung zu sein. Da sein Vater erfolgreicher Inhaber einer kleinen Baufirma war, lebte die Familie im Villenviertel der Kleinstadt Paderno Dugnano.
Allerdings stimmte mit Riccardo C. etwas nicht. “Ich weiß wirklich nicht, wie ich es erklären soll. Auch wenn ich mit den anderen zusammen war, fühlte ich mich einsam. Ich hatte keinen wirklichen Dialog mit irgendjemandem. Es war, als ob mich niemand verstand”, so der 17-Jährige während seines Geständnisses. Weder zu Hause noch von seinen Freunden, an denen es ihm nicht mangelte, fühlte sich Riccardo C. wirklich verstanden oder ernst genommen. Experten zufolge könnte die Geburtstagsfeier seines Vaters das “Unbehagen” des Jugendlichen verstärkt haben.
Am Tathergang bestehen kaum Zweifel mehr, aber das Tatmotiv hängt noch voller undurchdringlicher Nebel. Der bekannte Psychiater und Soziologe Paolo Crepet, der auch Autor vieler Bücher über die heutige Jugend ist und bereits zu Giulia Cecchettins Mörder, Filippo Turetta, befragt worden ist, wagt einen Erklärungsversuch.
“Wir müssen feststellen, dass sich die Familien in Auflösung befinden. Es gibt keine Regeln mehr und es wird nicht mehr miteinander gesprochen. Wir haben Geld gegen Worte getauscht. Früher hat man miteinander geredet, aber es gab kein Geld. Heute hingegen gibt es Geld, aber keine echten Gespräche mehr. Die Eltern wissen nicht mehr, wie sich ihre Kinder fühlen und wo sie umgehen. Am Samstagabend wissen die Eltern nicht, was ihr 14-jähriger Sohn unternimmt. Sie wissen nicht, ob er Alkohol trinkt, Drogen nimmt oder Sex mit einem 13-jährigen Mädchen hat. Die Väter und Mütter kümmern sich nur um ihr eigenes Dasein. Sie reden über das nächste Fußballspiel, übers Shoppen oder über den nächsten Urlaubsort, zu dem man vielleicht als verheiratetes Paar verreist, aber von dem man getrennt zurückkehrt. Ich werde oft als Pessimist bezeichnet, aber es sind die Optimisten, die falsch liegen!”, findet der Psychiater, Jugendsoziologe und Buchautor im Interview mit der römischen Tageszeitung Il Messaggero unmissverständliche Worte.
Hat Paolo Crepet recht? Sind wir eine Gesellschaft von vereinsamten und gefühlskalten Menschen geworden und ist das wirklich der Grund, der solche Tragödien begünstigt? Über Paderno Dugnano liegt seit Sonntag ein dunkler Schatten. Die trauernden Italiener sind ratlos.
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