Von: apa
Mehr Klarheit in Sachen per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) in der EU. Das kündigte die schwedische EU-Kommissarin Jessika Roswall in einem Positionspapier an. Dafür sorgt aktuell auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), die einen Antrag auf eine PFAS-Gruppenbeschränkung prüft. Ein “Chemie-Aktionsplan” der Kommission erweckte bei NGOs den Eindruck der Verschleierung. Und mehr Kontrolle der Risiken und Erforschung weiterer PFAS-Gefahren fordern Experten.
Der Abschluss der ECHA-Prüfung sollte theoretisch noch bis 2029 unter der aktuellen EU-Kommission in einen Gesetzesvorschlag münden. Dieser wäre die Folge eines Antrags, der – analog zum Verbot von PFAS-Löschschaum – eine Beschränkung aller weiteren Sektoren und Verwendungen der PFAS-Gruppe enthielt. Er wurde von den fünf europäischen Staaten Niederlande, Deutschland, Norwegen, Dänemark und Schweden gemeinsam erarbeitet und am 13. Jänner 2023 bei der ECHA eingereicht.
Das deutsche Umweltbundesamt argumentierte damals, dass die potenziellen langfristigen Schäden “häufig noch unerforscht” seien und Risiken im Zusammenhang mit PFAS derzeit nicht angemessen kontrolliert würden. Man versuche daher mit diesem Vorschlag die “Stoffe in der EU so weit wie möglich zu verbieten. Dies ist aus Vorsorgegründen der richtige Schritt”, so Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes. Die chemische Industrie ortete in einem solchen Vorgehen hingegen den nächsten Schritt der Deindustrialisierung, auch wenn der Vorschlag nicht auf einen unverzüglichen, sondern einen geregelten Ausstieg abzielt.
Aus Gruppenverbot wurde “ein undifferenziertes Totalverbot”
Die genannte Europäische Chemikalienagentur reagierte bereits Anfang Februar 2023 auf den Antrag und publizierte einen Vorschlag “für ein Verbot der Herstellung, der Verwendung und des Inverkehrbringens (einschließlich der Einfuhr) von mindestens 10.000 PFAS”, berichtete unter anderem die AGES. Wenn die ECHA ihre wissenschaftliche Bewertung voraussichtlich im kommenden Jahr abgeschlossen hat, sind dann wieder EU-Kommission bzw. die EU-Staaten am Zug.
Die Allianz der fünf Staaten erwies sich hingegen als nicht sehr langlebig. So stellte der deutsche Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz das zuvor angestrebte Gruppenverbot bald wieder infrage. Bei einem Auftritt beim “Chemie & Pharma Summit 2024” der chemischen Industrie ließ er seine Zuhörer wissen, dass “ein undifferenziertes Totalverbot chemischer Stoffgruppen” nun abgelehnt werde – die entsprechende Rede ist im Onlinearchiv der der deutschen Bundesregierung unter “Chemieindustrie ist Basis unseres Erfolgs” zu finden.
Rechercheprojekt untersuchte Lobby-Arbeit und fand alternative Fakten
Die Alternative zu einem Gruppenverbot wäre der risikobasierte Ansatz, womit jede der tausenden PFAS-Chemikalien einer einzelnen Prüfung unterzogen werden müsste – was der ETH-Experte Martin Scheringer wiederum als eine “unpraktikable” Vorgehensweise bezeichnete. Die “Süddeutsche Zeitung” berichtete dann Anfang 2025 von umfangreicher Lobby-Arbeit vonseiten der Industrie – wobei dafür scheinbar auch auf “alternative Fakten” zurückgegriffen wurde. Der Artikel entstand im Zuge des internationalen “Forever Lobbying Projects”.
Ein Beispiel für die “Halb- und Unwahrheiten” der PFAS-Lobbyisten war etwa die Behauptung, die OECD hätte die PFAS-Untergruppe Fluorpolymere als “wenig bedenklich” eingestuft. Und sie würde daher zur Gruppe der PLC (Polymeres with low conern) gehören. Auf Nachfrage des “Forever Lobbying Projects” bei der OECD erklärte diese dann aber schriftlich, dass auf OECD-Ebene weder derartige Kriterien festgelegt wurden, wie auch keine Bewertung von Fluorpolymeren erfolgt sei.
Zu welchen Schlüssen ECHA und später die EU auch immer kommen werden, ein umfassendes Verbot scheint inzwischen unrealistisch, wie auch EU-Umweltkommissarin Roswall anmerkte. Trotz der Priorität der PFAS-Verschmutzung von Wasser zu begegnen, relativierte sie ein Gruppenverbot und verwies auf unbedenkliche PFAS. Sie sehe bei jenen Stoffen, “die wir brauchen, für die es keine Alternativen gibt und die wir in der Produktion so einsetzen können, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht” keinen Grund für ein Verbot, verriet Roswall in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ) Anfang Juli.
Plan der EU-Kommission: Minimieren und Weiterverwenden
Eine Woche später stellte die EU-Kommission dann ihren Aktionsplan zur Stärkung der chemischen Industrie vor. Was die PFAS-Problematik betrifft, so hieß es, dass dieser Plan die Verpflichtung der Kommission bekräftige, PFAS-Emissionen durch “strenge, wissenschaftlich fundierte Beschränkungen zu minimieren”, aber ebenso gelte es auch “die weitere Verwendung in kritischen Anwendungen unter strengen Auflagen sicherzustellen” – wenn keine Alternativen verfügbar sind. Entsprechende Vorschläge würden nach Abschluss der ECHA-Arbeiten folgen.
Die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) mit Schwerpunkt EU-Politik kritisierte die im Aktionsplan formulierten Schritte im Umgang mit PFAS. Damit betreibe die EU-Kommission eher ein Spiel der Verschleierung als eines der Klarheit: “Indem sie betont, dass sie eine Handvoll Verbraucheranwendungen verbieten will, riskiert die Kommission, das viel umfassendere EU-Verbot zu untergraben, das derzeit (von der ECHA, Anmerkung) wissenschaftlich geprüft wird”, hieß es in einem Statement von Vicky Cann, die bei CEO als Forscherin tätig ist. Sie riet der EU-Kommission sich gegen die “mächtige Unternehmenslobby” zu behaupten.
(S E R V I C E – ECHA zu PFAS-Prüfung: https://go.apa.at/rIKWDTQP, EU-Plan Chemiebranche: https://go.apa.at/CeEYdYNa; “Forever Lobbying Project”: https://foreverpollution.eu/lobbying/)
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