Nur 21 Prozent der Fläche Südtirols steht unter Schutz

Biologen fordern Umsetzung des „30 x 30-er Zieles“ auch für Südtirol

Freitag, 03. März 2023 | 08:49 Uhr

Bozen – Bei der globalen Biodiversitäts-Konferenz COP15 in Montreal hat man sich auf das Ziel geeinigt, dass 30 Prozent der Erdoberfläche bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden müssen. Südtirol erreicht dieses Ziel derzeit noch nicht. Im Moment sind 21 Prozent der Fläche Südtirols als Natur- oder Nationalpark, Biotop oder Naturdenkmal geschützt. Damit fehlen noch neun Prozent, um das Ziel zu erreichen. Darauf verweist die Vereinigung der Südtiroler Biologen (VSB) in einer Aussendung.

Im Nachhaltigkeitsprogramm der Südtiroler Landesregierung, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe Every-Day-for-Future vorgestellt wurde, wird das 30-Prozent-Ziel als konkrete, geplante Maßnahme bereits genannt. Die Südtiroler Biologen fordern die Landesregierung auf, das genannte Ziel nun zügig umzusetzen. Dabei empfehlen sie besonders jene Gebiete als Schutzgebiete auszuweisen, die einen besonders hohen Wert für die Biodiversität in Südtirol haben und/oder jene Gebiete, die unter besonders hohem Druck stehen. Dazu zählen unter anderem die Villanderer Alm, die Lüsner und Rodenecker Alm sowie Gebiete nördlich und westlich der Langkofelgruppe, wie z.B. die Cunfinböden.

Beim Schutz der Natur gehe es um die Wahrung eines Allgemeinguts, das, neben seinen fundamentalen Funktionen wie z.B. der Nahrungsmittelproduktion und der Säuberung von Wasser und Luft, unter anderem auch das Fundament des wirtschaftlichen Status Quo und der Kultur in Südtirol darstellt. Es sei deshalb unabdingbar, besonders wertvolle Gebiete dieses Allgemeinguts auf Dauer und gegen unverhältnismäßige Interessen einiger weniger zu schützen, so die VSB.

Abgesehen davon, dass die 30 Prozent noch nicht erreicht werden, sei auch die Verteilung der Schutzgebiete für den Erhalt der Biodiversität ungünstig: Von den geschützten Flächen würden sich klaut Nachhaltigkeitsreport Landwirtschaft Eurac über zwei Drittel oberhalb von 2000 Metern befinden. „In höher gelegenen Gebieten besteht verhältnismäßig allerdings nur eine sehr eingeschränkte Gefahr des Verlusts von Biodiversität, da landwirtschaftliche Nutzung nur eingeschränkt möglich ist und die Gebiete für eine Besiedelung nicht geeignet sind. Die tieferen Lagen und Talböden hingegen sind zum allergrößten Teil nicht geschützt, wenngleich sich auch hier viele Flächen mit hohem Wert für die Biodiversität befinden“, so die Biologen. De facto seien hier lediglich sieben Prozent der Fläche geschützt. Dies könne bei manchen, den Schein einer „zweitklassigen“ und somit weniger schützenswerten Natur im Talboden im Vergleich zu jener in den Bergen erwecken.

Die für den Erhalt der Biodiversität wirksamen Schutzgebietstypen sind Naturparke und Nationalpark, Biotope und Naturdenkmäler. Für die Gesamtfläche der geschützten Flächen Südtirols (21 Prozent) können laut den Biologen Landschaftsschutzgebiete nicht mitgezählt werden; diese zielen nämlich, wie der Name schon sagt, primär auf den Erhalt des Landschaftsbildes ab und sind für den Erhalt der Biodiversität nicht ausreichend. „Durch diese Art der Unterschutzstellung wird nicht verhindert, dass sich die Lebensbedingungen für Flora und Fauna, etwa durch eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung, verschlechtert und Biodiversität abnimmt“, erklären die Biologen.

Konkret empfehlen die Biologen die Ausweisung (großer Teile) der Villanderer Alm als Natura-2000-Gebiet, wie bereits vor Jahren von der Europäischen Kommission gefordert, aber am Ende nach politischer Intervention in Rom nicht umgesetzt wurde. Aufgrund des Vorkommens von zahlreichen Niedermooren und gemähten und beweideten Bürstlingsrasen (ebenfalls FFH-Lebensräume) sei auch die Ausweisung weiterer Almgebiete erforderlich, allen voran die gesamte Lüsner und Rodenecker Alm sowie die Gebiete nördlich und westlich der Langkofelgruppe (Cunfinböden, Comunweide, Gebiete rund um Zallinger).

Aufgrund des besonders hohen Wertes der kontinentalen Trockenrasen im Vinschgau, Etsch- und Eisacktal sei die Ausweisung zusätzlicher Gebiete am Vinschger Sonnenberg und in der Bozner Umgebung notwendig. In Trockenrasen, Magerwiesen und weiteren wiesenartigen Habitaten mit hohem Naturwert sei eine Nutzung nach Ausweisung eines Schutzgebietes nicht nur möglich, sondern in der Regel auch ausdrücklich erwünscht. Diese werde im Falle einer Mahd derzeit auch teilweise durch Landschaftspflegeprämien abgegolten.

In Bezug auf die Waldgebiete empfehlen die Biologen besonders naturnahe bzw. wirtschaftsferne Wälder nach dem Vorbild der österreichischen Naturwaldreservate unter Schutz zu stellen. Daran gekoppelt ist ein weitgehender Nutzungsverzicht. Finanzielle Einbußen für die Besitzerinnen und Besitzer müssten in Folge vergolten werden, erklären die Biologen.

„Schließlich ist aber auch die Ausweisung von zusätzlichen Gebirgsregionen zu Schutzgebieten sinnvoll. Aufgrund ihrer einzigartigen Pflanzenvielfalt sollten dabei die Pfunderer Berge Priorität haben. Der Mendelkamm hingegen beherbergt zahlreiche Arten, die weltweit auf die Südalpen rund um den Gardasee beschränkt sind und verdient ebenso eine besondere Aufmerksamkeit. Unter anderem auch aus wildökologischer Sicht ist das Gebiet Langkofelgruppe samt Cunfinböden mit in den Naturpark Schlern-Rosengarten zu integrieren, um seiner Funktion als einer der letzten größeren Ruhezonen und Rückzugsgebiete zwischen den Gebieten Seiser Alm und Gröden nachzukommen“, so die Bilogen.

Zu guter Letzt seien auch die Sarntaler Alpen von besonderem naturkundlichen Interesse. Die Ausweisung eines Naturparkes würde neben dem Schutz der Natur auch einer sanften touristischen Nutzung dienen. Denkbar wäre besonders für diese Region jedoch auch die Ausweisung einer Biosphärenregion, wo neben den drei Grundsäulen zum Schutz (Erhaltung, Forschung und Sensibilisierung) auch die ökonomischen Perspektiven für die Bevölkerung vor Ort im Schutz festgeschrieben würden, erklären die Biologen. Im Biosphärenpark Wiener Wald sei dies seit Jahren Realität mit Win-Win-Charakter. „Für Südtirol wäre ein solcher Biosphärenpark ein Novum, da in der Vergangenheit das Schutzkonzept vordergründig als Verhinderungsinstrument wahrgenommen wurde und weniger als Perspektive für die Menschen vor Ort mit und vom Schutzgut zu leben“, so die VSB abschließend.

Von: mk

Bezirk: Bozen