Von: mk
Der russische Machthaber Wladimir Putin hat beim virtuellen G20-Gipfel seine Bereitschaft zu einem Friedensschluss in seinem Eroberungskrieg gegen das Nachbarland Ukraine signalisiert. Es sei notwendig darüber nachzudenken, wie die “Tragödie” des Konflikts in der Ukraine beendet werden könnte, sagte Putin am Mittwoch. Hinter solchen Aussagen, die in europäischen Ohren einfach nur zynisch klingen, steckt eiskaltes Kalkül.
Auf den ersten Blick wirkte Putin überraschend konziliant. So verzichtete er auf seine üblichen Anklagen, die NATO oder die Ukraine würden Russland bedrohen oder der Westen hätte seine Zusagen nicht eingehalten. Auch dass er die Regierung in Kiew als Nazis bezeichnete, von denen die Ukraine befreit werden müsse, ist diesmal nicht geschehen.
Trotzdem: Wenn Putin laut über ein Ende des Kriegs in der Ukraine nachdenkt, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Immerhin ist der Kreml mit seiner Armee in ein fremdes Land eingefallen. So hat etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den russischen Präsidenten nach eigenen Angaben in der G20-Schalte aufgefordert, russische Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen. Schon wäre der Krieg beendet.
Doch so einfach will es Putin nicht haben. Im Gegenteil: Hinter seinem Auftritt steckt eiskalte Berechnung. Aus Sicht des Kremls stockt die Gegenoffensive der Ukraine. Gleichzeitig wird beobachtet, dass im Westen Diskussionen aufkommen, wie lange man die Ukraine noch unterstützen könne und wolle. All das spielt Putin in die Hände.
Westliche Experten sind sich sicher: Der Gastgeber Indien, der als größter Abnehmer russischer Rohstoffe gilt, hat Putin einen Gefallen getan, indem für den G20-Gipel das Online-Format gewählt wurde. Der Kreml-Chef hatte die Möglichkeit frei zu sprechen. Niemand konnte ihm etwas entgegensetzen, weil die Wortmeldungen nacheinander folgten.
Dass Wladimir Putin erstmals seit Beginn seines Angriffs auf die Ukraine wieder bei einem G20-Gipfel sprechen darf, verbucht der Kreml als riesigen Erfolg – auch innenpolitisch. Putin zeigt seiner eigenen Bevölkerung damit kurz vor den Wahlen, dass er auf die internationale Bühne zurückgekehrt ist: Ohne Russland geht nichts, lautet die Botschaft.
Als weniger wahrscheinlich gilt unterdessen, dass Russland seine Strategie aufgibt, die eigenen Ziele auch militärisch zu verfolgen. Wie Militärexperte Christian Mölling im ZDF-Interview erklärte, wäre Russland in der Lage trotz seiner derzeitigen immensen Verluste, in nur sechs Jahren seine Reserven an Kriegsmaterial wieder aufzustocken, sobald die intensiven Kampfhandlungen in der Ukraine aufhören.
Putin und seine Getreuen haben laut Mölling öffentlich und auch in Schriften immer wieder der alten Größe der Sowjetunion nachgetrauert. Bislang hat Putin seinen Expansionsdrang in mehreren Kriegen offen ausgelebt – letztes Beispiel ist die Invasion in die Ukraine. Laut Mölling sei es blauäugig, davon auszugehen, dass Putin auch vor NATO-Gebiet haltmacht. Der Westen und die NATO sollten sich deshalb auf ein solches Szenario vorbereiten, vor allem durch militärische Aufrüstung. Erstes Opfer eines russischen Angriffs auf NATO-Gebiet könnte eventuell das Baltikum sein.