Anhörung zum Borkenkäfer im Landtag

“Derzeit läuft man der Geschichte hinterher”

Freitag, 21. Oktober 2022 | 16:38 Uhr

Bozen – Der II. Gesetzgebungsausschuss hat für heute eine Anhörung zum Borkenkäferbefall in Südtirol abgehalten. Dazu konnte Ausschussvorsitzender Franz Locher den Direktor der Abteilung Forstwirtschaft Günther Unterthiner, Alessandro Andriolo, Experte im Amt für Forstplanung, sowie Leo Tiefenthaler, Landesobmann des Südtiroler Bauernbundes, im Plenarsaal des Landtags begrüßen.

Das Thema bereite schon seit geraumer Zeit Sorgen, man sehe, wie die Wälder braun werden, erklärte Locher. In Südtirol sei viel Wald in Privatbesitz, der Wald sei die Sparkasse der Bauern. In Südtirol seien laut Schätzungen fünf Prozent der Fläche betroffen, und das sei sehr viel. Mit der Wald- und Holzwirtschaft würden viele Arbeitsplätze zusammenhängen. Holz sei ein guter Energieträger, der gerade heute für eine gewisse Preisstabilität sorge. Rund 600.000 Kubikmeter würden normalerweise verarbeitet. Derzeit laufe man der Geschichte hinterher, die extreme Hitze habe zu einer starken Verbreitung des Käfers gesorgt. Die Arbeit im Wald sei gefährlich – jedes Jahr gebe es tödliche Arbeitsunfälle – und bringe wenig Ertrag.

Landtag/Werth

Alessandro Andriolo, Experte im Amt für Forstplanung, gab eine Einführung zum Borkenkäfer, der auch “Buchdrucker” genannt wird, in seinen modus operandi und seine Überlebensstrategie. Er befalle in der Regel nur die erwachsene Fichte, bilde 1 bis 3 Generationen im Jahr, habe einen starken Mundapparat, aber keine besonders gute Flugfähigkeit. Seine Schwächen: Er braucht die Fichte, geht in Winterschlaf, ist kurzlebig, kein guter Flieger, hat nur einen rudimentären Verdauungsapparat. Seine Stärken: rasche Vermehrung, überlebt harte Temperaturen, lebt die meiste Zeit geschützt, ist robust gebaut. Das Männchen schlüpft im April (ab 16,5 Grad) und sucht und erkennt abgeschwächte Bäume. Durch hormonelle Lockung am Einbohrloch werden Artgenossen beider Geschlechter gerufen. Die Generationenentwicklung dauert rund sechs Wochen, dann können die Jungkäfer neue Zielbäume suchen. Die Vermehrungsrate beträgt bis zu 64 Jungkäfer pro Elternteil. Der Buchdrucker wäre eigentlich kein gefährlicher Schädling, er gilt als sekundärer Schädling, d. h. er befällt in der Regel nur abgeschwächte oder liegende, noch frische Fichten (ökologische Rolle).  Stressfaktoren, die die Fichte dem Befall aussetzen können, sind z. B. Trockenstress, primäre Schädlinge, direkte Sonneneinstrahlung nach Unwetterereignis („Randbäume“). Ein Problem entsteht vor allem, wenn es viel Schadholz gibt, das nicht weggebracht wird. Dann kann der Borkenkäfer aufgrund seiner Vermehrung auch gesunde Bäume angreifen.

Landesforstinspektor Günther Unterthiner zeigte auch mit Luftaufnahmen, wie dramatisch sich die Situation entwickelt hat. Vor allem bei entomologischen Fragen arbeite man eng mit der Universität Padua zusammen, die dazu große Fachkompetenz habe. 2021 sei der Befall in Südtirol im Vergleich zu den Nachbarregionen noch überschaubar gewesen. Im Oktober 2020 könne man schon 5.400 ha befallene Fläche feststellen, das entspreche ca. 2,2 Mio. Festmeter Borkenkäfer-Holz, der Schwerpunkt liege im Gadertal, im Antholzer Tal, im Brunecker Raum, im Wipptal und im Ober-Vinschgau. Seit 2019 seien 100 Pheromonfallen zur Überwachung ausgelegt worden, Satellitendaten würden bei der Risikoabschätzung helfen. Das Monitoring werde wissenschaftlich begleitet von Prof Battisti (Uni PD), es gebe auch drei wissenschaftliche Studien in Zusammenarbeit mit Uni Bozen und BOKU Wien. Die Entwicklung des Borkenkäfers sei bereits seit Vaia voraussehbar gewesen. Es sei dazu eine interne Steuerungsgruppe geschaffen worden, um Handlungseisen zu definieren; in diesem Rahmen gebe es auch fachlichen Austausch mit Experten im In- und Ausland. Bei den Maßnahmen werde differenziert zwischen Objektschutzwald, Standortschutzwald und übrigen Wald. Seit 2018 seien 2,8 Mio. Festmeter Schadholz aufgearbeitet worden, ein beeindruckendes Ergebnis – auch weil die Arbeit gefährlich sei. Das sei aber noch nicht genug, auch wenn die Kapazitäten zu 100 Prozent ausgeschöpft wurden. Die Nachfrage an Forstunternehmen sei nämlich auch in den Nachbarregionen groß. Zur bereits bestehenden Schadholzprämie habe bei den Förderungen noch Anpassungen vorgenommen, etwa eine Erhöhung für die Schutzwaldpflege. Man habe auch versucht, die Waldeigentümer zu sensibilisieren, damit noch mehr getan werde. Unterthiner stellte auch einen Vergleich der Fördermaßnahmen in Südtirol, Tirol, Trentino und Bayern vor. Demnach sei Südtirol gut aufgestellt, da man bei den Maßnahmen nachgeholt habe. Bayern und Tirol hätten die entsprechenden Maßnahmen bereits im Katalog gehabt. Die Mitteltemperatur habe sich gegenüber den Vorjahren um 1,6 bis 2,5 Grad erhöht, was die Ausbreitung begünstige. Man werde auch weiter mit einer Temperaturerhöhung rechnen müssen, mit einer Veränderung der Niederschlagsverteilung und einer erhöhten Häufigkeit von Extremereignissen. Man werde den Wissensaustausch fortsetzen und auch forstinterne Maßnahmen treffen: Kartierung der befallenen Flächen, Priorisierung der Maßnahmen, Festlegung der Schadholzprämien. Man werde auch die Zusammenarbeit mit den Waldeigentümern verbessern und mit verstärkter Öffentlichkeitsarbeit sensibilisieren. Oft werde die Fichte als Ursache des Problems genannt, aber sie sei der Urbaum Südtirols, sie habe hier gute Bedingungen, sie werde auch in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen. Nach Vaia seien rund 1.000 ha Wald aufgeforstet worden, mit Schwerpunkt auf den Schutzwald. Man denke auch als kurzfristige Maßnahme an Vorwälder mit Birken u.a., bis zur Regenerierung des Waldes dahinter, aber auch an temporäre Verbauungen.

Leo Tiefenthaler, Landesobmann des Südtiroler Bauernbundes, bezeichnete die Situation in der Landwirtschaft als nicht besonders rosig, besonders in der Berglandwirtschaft. Der Milchpreis sei nicht gestiegen, während die Produktionskosten enorm gestiegen seien, z.B. die Energiekosten, aber auch die Kosten der Futtermittel. In den letzten Jahren habe es zusätzliche Schäden gegeben, das Sturmtief Vaia, Schneedruckschäden und nun der Borkenkäfer. Das Vaia-Schadholz sei in Rekordzeit aufgearbeitet worden, bei den Schneedruckschäden sei es schwieriger. Die oft steilen Lagen würden schon einen Hubschraubereinsatz erfordern. Man müsse den betroffenen Bauern unter die Arme greifen, auch um die Bevölkerung zu schützen, denn der Wald spiele für das Ökosystem eine wichtige Rolle und schütze die Dörfer vor Lawinen. Für Einheimische wie Touristen sei die Landwirtschaft wichtig, ohne sie würden auch die Standbeine Tourismus und Handel leiden. Man müsse jetzt eingreifen und die Schäden minimieren, soweit es noch möglich sei. Experten lieferten eine düstere Prognose für die nächsten Jahre.

Anschließend stellten die Abgeordneten – gekommen waren neben Franz Locher, Manfred Vallazza, Peter Faistnauer, Helmut Tauber, Magdalena Amhof, Hanspeter Staffler und Andreas Leiter Reber – Detailfragen an die Experten und den Bauernbundobmann: Zu Verzögerungen beim Abtransport und bei den Prämien, zur Möglichkeit der chemischen Bekämpfung, zur Aus- und Fortbildung der Waldarbeiter und den Sicherheitsbestimmungen, zu den Aussagen des Schweizer Experten Lüthi, der ein schnelles Fällen in den betroffenen Gebieten forderte, zu den verfügbaren Ressourcen für die Aufarbeitung des Schadholzes, zu weniger allfälligen Fichtenvarianten, zur Schutzfunktion toter stehender Bäume.

Die zeitnahe Entnahme von Schadholz sei die wichtigste Maßnahme, erklärte Günther Unterthiner. Aber nach den Extremereignissen der letzten Jahre sei es, auch wegen der Schutzfunktion, schwierig, das Schadholz flächendeckend zu verräumen. Man sei auch nicht für eine solche Menge gewappnet gewesen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln von oben wäre nicht sinnvoll: Der Käfer sei geschützt durch Borke und Baumkrone. Von unten müsste man den Stamm abspritzen, der oft 20 Meter hoch sei – auch das sei nicht praktikabel, ebenso wenig die Behandlung von liegendem Schadholz. Das befallene Holz müsse möglichst rasch aus dem Wald heraus. Dafür biete man den Eigentümern auch Prämien. Auch für die dazu nötigen Forstwege gebe es Geld. Das Beste für den Wald sei eine aktive Bewirtschaftung, die zur Erhaltung der Biodiversität möglichst naturnah sein müsse. Bei den Bringungsprämien habe es Verzögerungen gegeben, weil die Auflagen komplexer geworden seien; die nötige technische Anpassung sei nun aber vollzogen. Der Bedarf der Fernheizwerke an Energieholz – 700.000 Kubikmeter – übersteige die Möglichkeiten des Südtiroler Waldbestandes. Es ginge nur, wenn alle 23.000 Waldbesitzer mitmachen würden. Das Energieholz sollte eigentlich ein Abfallprodukt sein, eine Nische. Viele Fernheizwerke hätten langfristige Verträge, einige seien mit ihrem Preisangebot so stark zurückgegangen, dass es nicht mehr vertretbar sei. Man sollte den Rahmenvertrag für Biomasse dementsprechend erneuern. Die Forstbeamten würden jede Situation einzeln bewerten, und manchmal seien Eigentümer- und Allgemeininteresse nicht deckungsgleich. Manchmal sei es kontraproduktiv, einen befallenen Baum zu fällen: Wenn der Baum schon braun sei, sei der Käfer schon ausgeflogen und man gehe beim Fällen höchstens noch gegen seine Kontrahenten vor. Aufgrund des Bedarfs müsse man auch auf Waldarbeiter von auswärts zurückgreifen, diese Firmen würden gern auch gesunden Wald mitnehmen; da gebe es öfters Probleme. In Kürze starte wieder ein Ausbildungskurs für Waldarbeiter an der Forststation Latemar. Bei aller Wertschätzung für den Kollegen Lüthi, er habe seine Erfahrung aus einem Waldgebiet, das nicht mit unserem zu vergleichen sei. Es sei auch nicht korrekt von den Medien, immer nur einen Experten zu zitieren und andere Meinungen wegzulassen. Bei der Wiederaufforstung werde man mehr auf Heterogenität setzen. Bei der Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit wolle man mehr tun und Profis mit einbinden.

Alessandro Andriolo berichtete von sog. Trinet-Netzen, die Borkenkäfer anlocken. Das Institut San Michele habe diese Methode nach Vaia untersucht und sei zum Schluss gekommen, dass die Wirkung nicht groß sei. Auch in Tirol sei man zu der Einschätzung gekommen. Die Netze seien auch teuer. Eine Lockung durch Ersatznahrung werde auch nicht funktionieren, da der Käfer unter der Rinde lebe. Es gebe jetzt Studien zu den Darmbakterien des Käfers und zur Möglichkeit, diese zu nutzen.

Franz Locher dankte den Experten für ihren Ausführungen und kündigte die nächste Anhörung am 22. November mit Experten aus dem Ausland an.

Von: luk

Bezirk: Bozen