Gescheiterte Offensive

Desaster für Putin: Russlands Armee droht bei Charkiw Umfassung

Samstag, 06. Juli 2024 | 15:56 Uhr
Update

Von: mk

Charkiw – Russlands Militär muss für seine Offensive bei Charkiw mit hohen Verlusten an Kämpfern und Kriegsmaterial bitter bezahlen. Jetzt droht den Truppen von Kreml-Despot Wladimir Putin dort eine Umfassung durch die ukrainische Armee, sodass sie vom Nachschub abgeschnitten sind. Um das zu verhindern, will Moskau zusätzliche Spezialkräfte in die Region schicken, berichtete das ZDF.

Die Region Charkiw, die direkt an der Grenze zu Russland liegt, hat für die russischen Führung strategische Bedeutung. Mit fast 1,5 Millionen Einwohnern vor dem Krieg ist gleichnamige Stadt die zweitgrößte in der Ukraine und sowohl ein wirtschaftliches, aber auch ein kulturelles und militärisches Zentrum.

Neben zehn Universitäten und Hochschulen gilt die Stadt als einer der wichtigsten IT-Standorte und eines der größten Banken-Zentren im Land. Auch für die Schwerindustrie ist Charkiw von Bedeutung, wie etwa bei der Herstellung von Kraftwerksturbinen. Militärische Relevanz hat Charkiw, weil sich dort etwa die einzige Panzerfabrik des Landes sowie mehrere rüstungsindustrielle Betriebe befinden.

Auch moralisch ist die Stadt für die Ukraine von Bedeutung in ihrer Abwehr gegen die russische Invasion. Zu Beginn des Einfalls russischer Truppen hielt die Stadt monatelanger Belagerung stand. Schließlich wurde sie von der ukrainischen Armee befreit.

Gegenüber dem ZDF konstatiert Nico Lange, Militäranalyst bei der Münchner Sicherheitskonferenz: „Die russische Offensive bei Charkiw ist gescheitert.“ Die Kleinstadt Wowtschansk in der Region konnte noch immer nicht erobert werden. Stattdessen drohe den russischen Truppen dort eine Umfassung.

Laut Lange musste Moskau sogar Luftlande-Einheiten in das Gebiet schicken, um die eigenen Soldaten freizukämpfen oder um zumindest die Verbindung zu diesen Einheiten wiederherzustellen.

Gleichzeitig räumt der Experte ein, dass es der russischen Führung laut seiner Einschätzung nie um die Stadt Charkiw gegangen sei. Vielmehr habe Russland Artillerie in Reichweite der Stadt bringen wollen, um die Ukrainer dort „unter Druck zu setzen“. Dies sei allerdings fehlgeschlagen: Für ein paar Kilometer Geländegewinn hätten die russischen Truppen viele Tote und Verwundete sowie Verluste bei ihrer Ausrüstung in Kauf nehmen müssen.

Doch Putin scheint sich davon nicht abbringen zu lassen. Wie Lange erklärt, eröffne dieser immer wieder „neue Baustellen“, wenn etwas nicht funktioniert. Während die Ukraine den Vormarsch bei Charkiw stoppen konnte, preschen die russischen Truppen nun etwa bei Tschassiw Jar vor. Sollte es Moskau gelingen, Tschassiw Jar ganz einzunehmen, wäre der Weg nach Kostjantyniwka geebnet.

Doch Lange glaubt, dass eine Eroberung der Stadt, die auf einer Anhöhe liegt, noch Monate dauern könnte und Russland dafür weitere Verluste in Kauf nehmen müsse.

Weiter russische Kriegsverbrechen

Unterdessen gehen Russlands Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine ungehindert weiter – Kriegsverbrechen, die Moskau in Kauf nimmt, um den Widerstandsgeist der Ukrainer zu zermürben. Bei russischen Angriffen sind in der ostukrainischen Region Donezk nach ukrainischen Angaben acht Menschen getötet und mindestens 28 verletzt worden. “Jede Stadt und jedes Dorf in der Region Donezk ist ständig durch feindliche Angriffe bedroht”, teilt Gouverneur Wadym Filaschkin auf Telegram mit.

Unabhängig davon hätten russische Truppen drei gelenkte Bomben auf das weiter südwestlich gelegene Dorf Komar abgeworfen, wobei eine 32-jährige Frau getötet und zwanzig weitere Personen verletzt worden seien. Zudem sollen dreizehn Privathäuser, vier Geschäfte, zwei Wohngebäude sowie zwei Infrastruktureinrichtungen bei dem Angriff beschädigt worden sein.

Außerdem haben russische Truppen haben laut Angaben Moskaus eine weitere Ortschaft in der Region Donezk im Osten der Ukraine eingenommen. Streitkräfte hätten das etwa 30 Kilometer nordwestlich der Stadt Donezk gelegene Dorf Sokil “befreit”, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Samstag. Die Region Donezk zählt mit Luhansk, Cherson und Saporischschja zu den ukrainischen Regionen, die Moskau im September 2022 für annektiert erklärt hatte.

Drohnenangriffe

Nach Angaben lokaler Behörden haben russische Drohnenangriffe die Strom- und Wasserversorgung in der nordukrainischen Stadt Sumy unterbrochen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender Suspilne meldete eine Reihe von Explosionen in der Stadt. Die Region Sumy wird fast täglich von russischen Stellungen jenseits der Grenze beschossen.

Bei den wechselseitigen Drohnenangriffen haben Russland und die Ukraine in der Nacht insgesamt teils beträchtliche Schäden im jeweiligen Nachbarland angerichtet. So hat Russland laut der ukrainischen Luftwaffe summa summarum zwölf ukrainische Regionen attackiert. Von den insgesamt 32 Drohnen sind zwar demnach 24 abgeschossen worden, aber mehrere Gebiete meldeten auch Treffer. Im Umland von Kiew wurden ein privates Wohnhaus und ein Pkw von herabfallenden Drohnentrümmern beschädigt.

Auf der Gegenseite war einmal mehr die zuletzt verstärkt ins Visier geratene südrussische Region Krasnodar Ziel der Attacken. Zwar seien die Drohnen abgeschossen worden, doch deren Trümmer hätten Treibstofflager in den Landkreisen Pawlowskaja und Leningradskaja in Brand gesetzt und einen Funkturm in der Stadt Jejsk beschädigt, hieß es in einer Mitteilung des regionalen Krisenstabs.

Immer wieder Stromausfälle in der Ukraine

In seiner Videobotschaft kündigte Selenskyj ein komplexes Paket an Maßnahmen an, um die Energiekrise im Land zu lösen. Einzelheiten nannte er nicht, sagte aber, dass die Beamten demnächst Schritte dazu vorstellen würden, wie Bürger und Unternehmen in Zeiten des Mangels an Elektrizität unterstützt werden könnten. Als Beispiel nannte er neue Kreditprogramme mit völlig zinsfreien Angeboten. “Alles sollte so schnell wie möglich funktionieren”, sagte er.

Aktiv liefen zudem Verhandlungen mit europäischen Partnern mit dem Ziel, die aus dem Ausland importierten Strommengen zu erhöhen. Parallel dazu liefen außerdem Reparaturarbeiten an Anlagen. Viele Kraftwerke und andere Energieinfrastruktur sind durch die russischen Angriffe zerstört und beschädigt. Wegen des Energiedefizits kommt es immer wieder zu Stromabschaltungen.

Selenskyj bedankte sich indes bei dem neuen britischen Premierminister Keir Starmer für seine Unterstützung der Ukraine. “Ich bin Keir Starmer dankbar für seine Zusicherung, dass Großbritanniens Unterstützung für die Ukraine im Prinzip unverändert bleibt”, schrieb Selenskyj auf Telegram.