Corriere: „Nein“ zur Staatsbürgerschaftsfrage spiegelt die Gemütslage der Südtiroler wider

„Die deutsche Minderheit fühlt sich bedroht“

Mittwoch, 11. Juni 2025 | 07:12 Uhr

Von: ka

Rom/Bozen – Nach dem krachenden Scheitern der fünf Referenden blickt Italien mit Staunen nach Südtirol. Wie der Corriere dell’Alto Adige berichtet, fällt nicht nur auf, dass Südtirol italienweit die niedrigste Wahlbeteiligung aufwies, sondern auch, dass die Südtiroler entgegen dem italienischen Trend die fünfte Referendumsfrage, nämlich die zur Staatsbürgerschaft, überwiegend mit „Nein“ beantworteten, in Plaus sogar mit 77 Prozent.

Laut dem Corriere spiegelt der überwältigende Sieg des „Nein“ zur Staatsbürgerschaftsfrage die Gemütslage der Südtiroler wider. „Die deutsche Minderheit fühlt sich bedroht“, fasst der Corriere-Journalist Lorenzo Nicolao die Stimmungslage der heimischen Wähler mit einem Satz zusammen.

LPA/Ingrid Silginer

Die für die fünf Referenden bereitstehenden Urnen lockten in Südtirol nur wenige Wahlberechtigte an. Diejenigen jedoch, die sich die Zeit nahmen, sich an den Abstimmungen zu beteiligen, taten dies in genau entgegengesetzter Richtung wie im übrigen Italien. Mit einer Wahlbeteiligung von nur 15,87 Prozent wies Südtirol die niedrigste Wahlbeteiligung Italiens auf; selbst im benachbarten Trentino war sie mit 29,09 Prozent fast doppelt so hoch, was fast dem italienweiten Durchschnitt von 30,6 Prozent entspricht.

ANSA/CESARE ABBATE

Auffällig ist, dass die Wahlbeteiligung in vielen mehrheitlich deutsch- und ladinischsprachigen Landgemeinden besonders niedrig war. Während sie in der Landeshauptstadt Bozen mit 24,43 Prozent noch einigermaßen akzeptabel war, suchten in einer ganzen Reihe von Landgemeinden weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten die Wahllokale auf.

Den Negativrekord verzeichnete Feldthurns mit nur 7,38 Prozent. Aber auch in Barbian, Prags, Wengen/La Val, Latsch, Lüsen, Mals im Vinschgau, Naturns, Prad, Mühlbach, Rodeneck, Schluderns, Tramin, Stilfs, Terenten und Dorf Tirol nahmen weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten an den Referenden teil.

© IDM Südtirol-Alto Adige/Thomas Rötting

Doch auch wenn die niedrige Wahlbeteiligung aus demokratiepolitischer Sicht ein herber Schlag ist, muss bedacht werden, dass die Südtiroler bei Referendumsabstimmungen schon immer eher wahlmüde waren. Das deutlichste Signal geht jedoch von den Ergebnissen der Abstimmung über die fünfte Frage, nämlich die zur Reform der Staatsbürgerschaft, aus.

Die Südtiroler Wähler waren im Wesentlichen dazu aufgerufen, darüber abzustimmen, ob die Frist zur Erlangung der italienischen Staatsbürgerschaft von zehn auf fünf Jahre halbiert werden sollte. Dies hätte das italienische Staatsbürgerschaftsrecht in dieser Hinsicht an den Durchschnitt vieler anderer europäischer Länder angeglichen.

Stimmzettel Referendum
Süd-Tiroler Freiheit

Während die Prozentsätze der Ja- und Nein-Stimmen auf gesamtstaatlicher Ebene bei der fünften Referendumsfrage jeweils um die 64 und 35 Prozent liegen und die Nein-Stimmen bei den ersten vier Fragen, die das Arbeitsrecht betreffen, nicht einmal 13 Prozent erreichen, liegt der Südtiroler Durchschnitt bei der fünften Frage bei 52,11 Prozent für die Nein-Stimmen.

LPA/Abteilung Landwirtschaft

Vor allem in den kleinen Gemeinden – in der Stadt Bozen liegt die Zustimmung zum „Nein“ mit 37,4 Prozent nahe am italienischen Durchschnitt – findet das „Nein“ große Zustimmung. Dies ist eine fast sensationelle Zahl, wenn man bedenkt, dass es sich um ein abrogatives Referendum handelt und die Stimmenthaltung ohnehin als Strategie in Betracht gezogen wird, um das Quorum nicht zu erreichen, falls die Fragen abgelehnt werden.

In Gemeinden mit einem hohen Ausländeranteil wurden sogar Spitzenwerte von 77,14 Prozent erreicht. Ein Beispiel hierfür ist Plaus, wo von 664 Einwohnern 101 Ausländer sind. Ähnliche Zahlen kommen von der Gemeinde Brenner, wo 66,7 Prozent der Teilnehmenden mit „Nein“ gestimmt haben. Ähnliches gilt für die Gemeinden Franzensfeste, Waidbruck und Mühlbach, in denen jeweils rund 57, 59 beziehungsweise 71 Prozent der Teilnehmer das „Nein“ angekreuzt haben. Bemerkenswert ist, dass in diesen Gemeinden, die allesamt einen hohen Ausländeranteil aufweisen, die Wahlbeteiligung zu den höchsten Südtirols zählte. Während sie in Franzensfeste bei 21 Prozent lag, wies Waidbruck mit 29 Prozent sogar die höchste Wahlbeteiligung Südtirols auf.

Traditionelle Südtiroler Gerichte (c) Daniel Mair-Live Style Agency

Der Journalist des Corriere della Sera nimmt an, dass diese augenscheinliche Ausnahme die kollektive Stimmungslage der Südtiroler gut widerspiegelt – sowohl aus historischen Gründen als auch mit Blick auf die aktuelle politische Lage. Laut der Südtiroler Ausgabe des Mailänder Tagblatts spiegeln die zitierten Freiheitlichen die Gemütslage der Südtiroler am besten wider.

LPA/Ingrid Silginer

„Aus unserer Sicht ist die Staatsbürgerschaft kein bloßer Verwaltungsakt, sondern Ausdruck von Identität, Kultur und Zugehörigkeit. Das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) muss daher weiterhin im Mittelpunkt stehen. Eine Lockerung der Regeln würde nicht nur die gesellschaftliche Stabilität gefährden, sondern auch eine erhebliche Zunahme der Zuwanderung nach sich ziehen. Besonders in Südtirol wären die Folgen gravierend: Die politische Vertretung der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit könnte langfristig geschwächt werden. Der bestehende Schutzmechanismus, die zehnjährige Ansässigkeitspflicht, bleibt daher aus Sicht der Freiheitlichen ein unverzichtbares Instrument zum Erhalt der kulturellen Identität Südtirols“, erklärt der Obmann der Freiheitlichen, Roland Stauder.

istock/Pilat666

„Die deutsche Minderheit fühlt sich bedroht“, fasst der Corriere die Stimmungslage der heimischen Wahlbevölkerung mit einem Satz zusammen. Dieses fehlende Vertrauen in die „neuen Südtiroler“ habe dazu geführt, dass überwiegend das „Nein“ angekreuzt wurde. Hat der Journalist des Corriere dell’Alto Adige recht? War es die empfundene Angst vor einer von Ausländern ausgehenden Bedrohung, die die Südtiroler zum Ankreuzen des „Nein“ getrieben hat?

Bezirk: Bozen

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