Von: mk
Bozen – Um die zentrale Rolle der Gemeinden bei der Umsetzung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie um die Chancen der zwischengemeindlichen Zusammenarbeit – auch grenzüberschreitend – ging es bei der Tagung „Die Gemeinden zwischen Zusammenarbeit und Subsidiarität“.
Bei der Eröffnung der Tagung „Die Gemeinden zwischen Zusammenarbeit und Subsidiarität”, die am vergangenen Freitag im Landtag in Bozen stattgefunden hat, unterstrich Landtagspräsidentin Rita Mattei die zentrale Rolle der Gemeinden bei der Umsetzung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger, etwa bei der Verwirklichung sozialer Rechte oder bei der Bewältigung des Klimawandels. Mattei dankte den Vortragenden für ihren Beitrag zur Veranstaltung, doch ihr Dank ging ebenso an die Bürgermeister – für deren Tätigkeit und deren Rolle als erste Anlaufstelle für die Bürger.
Andreas Schatzer, Präsident des Gemeindenverbandes, betonte in seinen Grußworten, dass „es in Südtirol wohl keine Gemeinde mehr gibt, die nicht mit irgendeiner anderen Körperschaft zusammenarbeitet”. Es gebe zahlreiche zwischengemeindliche Zusammenarbeiten, viele Aufgaben seien an die Bezirksgemeinschaften delegiert worden. Dabei stehe der übergemeindliche Charakter an erster Stelle, etwa bei der Abwasserentsorgung. Mit dem Landesgesetz Nr. 18/2017 seien die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit von Körperschaften geschaffen worden. Ziele dieser Zusammenarbeiten, die von der Provinz Bozen finanziell gefördert werden, seien die Errichtung von Kompetenzzentren und eine damit einhergehende Steigerung der Effizienz der Arbeiten in den Gemeinden. Die vierjährige Erfahrung zeige nun, dass es verschiedene Formen von Zusammenarbeiten gebe. „Dabei ist die erfolgreiche Umsetzung der Zusammenarbeit”, so Schatzer, „auf das Fachwissen und das persönliche Engagement der Beteiligten angewiesen”. Kostendruck und ausufernde Bürokratie seien ein Anreiz dafür, solche Projekte künftig noch mehr zu wagen. Auch wenn die Zusammenarbeit – wie so viele Neuerungen – herausfordernd sei.
Im Namen der Forschungsgruppe Alpine Sonderautonomien ASA bedankte sich Esther Happacher, Professorin für Italienisches Verfassungsrecht an der Universität Innsbruck, beim Landtag für die gemeinsame Veranstaltung der Tagung.
Gianmario Demuro, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Cagliari, verwies in seiner Einführung ins Thema „Zusammenarbeit und Subsidiarität der Gemeinden“ insbesondere auf die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Einheit und der Autonomie und Dezentralisierung, in den Artikeln 1 und 5 der Verfassung verankert. In Verbindung mit Art. 114 trügen diese zur polyzentrischen Republik bei. Das Subsidiaritätsprinzip indes gehe der Verfassung voraus und sei Teil der liberalen Kultur; es sei bereits in der Enzyklika Rerum Novarum enthalten und durch die Verfassungsrechtsprechung gestärkt worden. Die Differenzierung, die dem Prinzip der regionalen Spezialisierung zugrunde liege, sei auch in der Verfassung sehr präsent, und zwar in Art. 114, wonach Gemeinden, Provinzen und Großstädte gleichberechtigt seien. Um die Subsidiarität künftig zu stützen sowie Differenzierung und Angemessenheit zu gewährleisten und gleichzeitig das demokratische Prinzip zu wahren, müssten die Gesetzesbestimmungen zum „sanften Anstoßen“ in Richtung Zusammenarbeit genutzt werden. Damit könnten lokale Systeme an die heutige Zeit angepasst werden.
Anschließend übernahm Matteo Cosulich, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Trient, die Leitung des ersten Teils der Konferenz. Diesen eröffnete der Beitrag von Anna Simonati, Professorin für Verwaltungsrecht an der Universität Trient, die über „Die Funktionen der Gemeinden: angewendete Subsidiarität“ sprach und dabei die Unterschiede, aber genauso Verflechtungen zwischen horizontaler und vertikaler Subsidiarität hervorhob. Wichtig seien auch Kooperationspakte mit aktiven Bürgern; Bürgerbeteiligung und gemeinschaftliches Eigentum, die grundlegende Instrumente der horizontalen Subsidiarität seien, hätten inzwischen Aspekte der vertikalen Subsidiarität angenommen. Simonati verwies in diesem Zusammenhang auf die Apps von Gemeinden, mittels denen Bürger sich einbringen können, sowie auf die Maßnahmen zur Aufwertung von Ortschaften, etwa durch Straßenkunst oder städtische Gärten, die als horizontale Subsidiaritätsprojekte entstanden und dann von den Regionen auf einer höheren institutionellen Ebene übernommen worden seien.
Lorenza Violini, Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Mailand – Statale, befasste sich in ihrem Referat mit der „Rolle der Gemeinden in der Verwirklichung sozialer Rechte“: Dabei betonte sie die Wichtigkeit einer „loyalen“ Zusammenarbeit im Rahmen der vertikalen Subsidiarität. Nun sei in Art. 118 der Verfassung zwar festgelegt, dass die Verwaltungsbefugnisse bei den Gemeinden lägen, sofern sie nicht anderen Ebenen zugewiesen werden, doch dies habe den Gemeinden einige Probleme bereitet – auch weil es kein organisches nationales Gesetz gebe, das ihre Aufgaben festlege. Ein solches aber würde wäre notwendig; darin sollte auf das wichtige Prinzip der Subsidiarität eingegangen und die Aufgaben und Funktionen der Gemeinden definiert werden. Noch sei es so, dass der Staat den Regionen und Gemeinden gewisse Aufgaben zuweise, wenn es Probleme zu lösen gelte. In den Provinzen und Regionen mit Sonderstatut sehe es jedoch anders aus. In Trentino-Südtirol greife der Kodex der örtlichen Körperschaften Artikel 118 der Verfassung auf und konkretisiere ihn durch den Verweis auf das lokale Interesse der von den Gemeinden übernommenen Verwaltungsaufgaben und die Gewährleistung der erforderlichen Mittel. Dennoch komme es auch in Trentino-Südtirol im Bereich Welfare zu Überschneidungen zwischen den regionalen und Zuständigkeiten anderer Körperschaften. Es würden hier neue Instrumente benötigt, vor allem um den Bedarf zu bestimmen.
Über „Gemeinden und Klimawandel“ referierte schließlich Robert Louvin, Professor für Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Triest und ehemaliger Regionalratspräsident von Aosta: Das Klima bzw. der Klimawandel änderten die Politik und die Institutionen. Das Grundprinzip sei die gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung – sowohl zwischen Norden und Süden der Welt als auch zwischen den Staaten. Das internationale Recht greife im Bereich Klima zwar immer mehr ein, sei aber noch nicht verbindlich. Wichtig sei die EU-Verordnung zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität von 2021. Italien habe dagegen noch kein Klimagesetz verabschiedet, diese Lücke gelte es zu schließen – und hier kämen die lokalen Körperschaften ins Spiel: Im Moment gebe es in diesem Bereich keine adäquaten Normen, lediglich Leitlinien; dies sei eine Aufforderung, um sich auf den Weg zu machen, insbesondere auch an die Bürgermeister und Gemeinden. Wesentlich sei eine Abstimmung aller beteiligten Akteure, damit das Thema trotz der von Zeit zu Zeit auftretenden Notfälle – wie Corona-Pandemie oder Ukraine-Krieg – auf der Tagesordnung bleibe. Wichtig sei zudem das Thema der Biodiversität. Die diesbezüglichen Horizonte müssten erweitert und eine neue Vision angepeilt werden, dies könne mit Netzwerken und durch Best-Practice-Beispiele auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Es brauche in der Zusammenarbeit neue Instrumente, da die herkömmlichen Instrumente wie etwa Gesetze hier nicht funktionierten, Soft Law, Leitlinien oder Formen von abgestimmten Aktionen seien notwendig.
Im zweiten Teil der Tagung, der sich mit Beispielen für Zusammenarbeiten von Körperschaften befasste, übernahm Esther Happacher, Professorin für Italienisches Verfassungsrecht an der Universität Innsbruck, den Chair.
Den Beginn machte hier Andrea Ambrosi, Professor für Regional- und Verfassungsrecht an der Universität Padua, mit seinem Referat „Die zwischengemeindliche Zusammenarbeit: Italien“. Er unterstrich, dass sich das Thema in den vergangenen Jahren vor allem auf verpflichtende Zusammenarbeiten aufgrund von Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen beschränkt habe. Wichtig bei den Zusammenarbeiten seien die Fragen nach den Funktionen, die gemeinsam wahrgenommen werden sollten, und nach dem territorialen Umfang der Kooperationen, aber vor allem nach der Fähigkeit der Organisationen, diese Funktion und die Ausübung der Tätigkeit in einer einzigen und gemeinschaftlichen Form zu erfüllen. Die Frist für die Gründung von zwischengemeindlichen Zusammenschlüssen sei seit 2010 immer wieder verschoben worden, derzeit bis 2023, und von den 554 Zusammenschlüssen, die von mehr als 3.000 Gemeinden gegründet worden seien, beträfen 232 Gebiete mit weniger als 10.000 Einwohnern. Das scheine wenig zweckmäßig zu sein. Eine weitere Frage, die aufgeworfen werde, sei die nach der zuständigen Quelle für die Planung und Gestaltung der Form von zwischengemeindlichen Zusammenschlüssen und ob die Beteiligung der lokalen Behörden am Verwaltungsverfahren erforderlich sei. Da gemeinschaftliche Instrumente häufig als Ersatz für die Neufestlegung der Zahl der Gemeinden gesehen würden, müsse man sich zudem die Frage stellen, ob durch Gemeindezusammenlegungen den Bürgern nicht Dienstleistungen genommen würden – und was es für diese bedeute, dass ihre Gemeinde nicht mehr da sei.
Prof. Happacher betonte in diesem Zusammenhang, dass aus dem Vortrag von Prof. Ambrosi ersichtlich werde, dass angesichts der Komplexität der Gesellschaft nicht angenommen werden könne, zwischengemeindliche Zusammenarbeit sei eine Lösung für alle Probleme auf dieser Ebene.
Mathias Eller vom Institut für Föderalismus, Innsbruck beleuchtete die „interkommunalen Zusammenarbeit: Österreich“: Er unterstrich dabei, dass sich die Frage zur Zusammenarbeit in vielen Orten zwangsläufig stelle und nicht nur eine Option sei. Denn mehr als der Hälfte der österreichischen Gemeinden hätten weniger als 2.500 Einwohner. Die Aufgabenvielfalt aber nehme zu, die Bevölkerung wachse, und die Komplexität der zu erledigenden Aufgaben steige, zudem stellten die Digitalisierung sowie die finanziellen Ressourcen die Gemeinden vor Herausforderungen. Dazu mache der Fachkräftemangel auch vor den Gemeinden nicht halt. Zusammenarbeit biete hier Synergieeffekte, etwa durch die Verringerung des administrativen und politischen Aufwands, Qualitätsverbesserung und Stärkung der Leistungsfähigkeit – zugleich könnten die Gemeinden dadurch ihre Eigenständigkeit wahren. Die interkommunale Zusammenarbeit sei in formalisierten – beispielsweise Gemeindenverbände, die auch bundesländerübergreifend möglich seien – oder auch informellen Kooperationen möglich, letzteres gebe es etwa in Form von Absprachen oder koordinierten Vorgehen.
Es folgte der Vortrag von Ezio Benedetti von der Universität Triest zur „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen des EVTZ zwischen den Gemeinden Nova Gorica, Gorizia und Sempeter/Vrtojba: von der Mauer des Kalten Kriegs zur europäischen Kulturhauptstadt 2025“: Dieses Beispiel fuße auf historischen und geografischen Gemeinsamkeiten der beteiligten Gebiete, schickte Benedetti voraus. Es habe sich beim EVTZ Nova Gorica, Gorizia und Sempeter/Vrtojba um den ersten Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit zwischen Gemeinden gehandelt; er basiere darauf, dass die Grenze zwischen Nova Gorica und Görz als durchlässigste während des Kalten Krieges galt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende seien die Kontakte vielfältiger geworden. 2011 wurde der EVTZ schließlich registriert. Nun funktioniere er als Verwaltungsbehörde operativer Programme. Nach dem Ende des Kalten Krieges habe man mit dem EVTZ einen gemeinsamen Weg gefunden – wenn es auch nach wie vor ideologische, ethnische und verwaltungstechnische Unterschiede gebe. Zu den Bereichen, mit denen sich der EVTZ u.a. befasse, zählten das Transportwesen, Sport, Kultur und Bildung. Eines der erfolgreich umgesetzten Projekte sei ein grenzüberschreitender Flußpark, ein weiteres Salute/Zdravstvo, mit dem eine grenzüberschreitende Dimension in die Gesundheitsdienste gebracht worden sei – diese beiden Projekte seien die treibende Kraft für die Ernennung von Gorizia/Nova Gorica zur Kulturhauptstadt Europas gewesen.
Andreas Eisendle vom EVTZ Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino befasste sich in seinem Referat mit den „Potenzialen des EVTZ für die Gemeinden: das Beispiel der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino”: Es gebe zahlreiche Beispiele für Gemeindepartnerschaften innerhalb der Euregio, darunter Lans – Montan, Truden – Pfunds oder Prettau – Prägraten, die im Rahmen des Euregio-Programms „Fit for Cooperation“ zusammengefunden hätten. Als Beispiel für einen EVTZ auf Gemeindeebene führte Eisendle indes die Alpine Pearls an, die im Tourismusbereich tätig und in Kärnten registriert seien, aus Südtirol seien die Gemeinden Ratschings, Moos und Villnöß dabei. Der Euregio-Rat der Gemeinden sei inzwischen ein wichtiges beratendes Organ aller drei Länder der Euregio. Beim Borkenkäfer wolle man künftig Euregio-weit zusammenarbeiten, dies sei ein Input aus dem Rat der Gemeinden, der zeige, dass der Bottom-up-Prozess wichtig sei. Die Gemeinden hätten in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (GZA) seit jeher eine zentrale Rolle gespielt; die Kooperation von und mit Gemeinden sei auch für die Euregio wichtig. Mit der Euregio-Reform von 2021 sei die Kooperation mit den Gemeinden institutionalisiert und intensiviert worden.
Der Konferenz wurde mit den Schlussbetrachtungen von Massimo Carli, ehemaliger Professor für Öffentliches Recht an der Universität Florenz, abgeschlossen: Die Gesetzgebungskompetenz bezüglich Subsidiarität der Gemeinden liege bei den Regionen. Nun gelte es, die Gemeinden in die Erstellung der Normen einzubeziehen. Man höre jedoch, dass die Regionen gescheitert seien, etwa auch bei der Bewältigung der Pandemie. Forderungen nach deren Abschaffung würden laut. Doch es gebe keine Chance, die Einheit zu retten, wenn es nicht auch eine Differenzierung gebe, so Carli.
Abschließend bedankte sich Prof. Happacher, die die Tagung moderiert hat, bei allen Beteiligten für die erfolgreiche Durchführung der Tagung und kündigte eine Tagungsband an, der im Herbst bereitgestellt werde.
Die wissenschaftliche Leitung der Tagung hatten Esther Happacher, Roberto Toniatti, Gianfranco Postal, Alpine Sonderautonomien ASA inne. Organisiert worden war die Veranstaltung gemeinsam von ASA und Südtiroler Landtag.