Von: mk
Bozen – Die Veröffentlichung einer Sonderbriefmarke durch die italienische Post zu Ehren von Giovanni Gentile, einem umstrittenen Philosophen und Bildungsminister des faschistischen Regimes, hat in Südtirol zu Protesten geführt. SVP-Fraktionssprecher imLandtag, Harald Stauder, fordert eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Harald Stauder reagierte empört auf die Einführung der Briefmarke und betonte: „Keine Rücksichtnahme auf sprachliche Minderheiten – das ist ein Armutszeugnis für die italienische Postbehörde.“ Stauder fordert mehr Bewusstsein und Sensibilität im Umgang mit der Geschichte.
Es dürfe nicht nur um Weißwäscherei gehen. Viele andere Nationen dienten als Beispiele dafür, dass es andere Wege gibt, die Vergangenheit zu würdigen, ohne dabei die Verbrechen und Unterdrückungsmaßnahmen zu verharmlosen.
Stauder fordert die verantwortlichen Stellen auf, die Veröffentlichung der Briefmarke rückgängig zu machen und stattdessen eine umfassende, kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte zu führen. „Der unselige Geist solcher Persönlichkeiten ist bei vielen Personen noch vorhanden und das ist besorgniserregend“, schloss Stauder.
SVP-Obmann Steger: „Auf keinen Fall tolerierbar“
Auch SVP-Obmann Dieter Steger findet klare Worte: „Grundsätzlich ist die Aufarbeitung in Italien, was den Faschismus anbelangt mehr als dürftig. Immer noch wird diesbezüglich relativiert und idealisiert. Diese Briefmarke ist dabei ein erneuter trauriger Höhepunkt.“
Ob Mussolini-Wein oder jetzt Briefmarken – für Steger handle es sich hier nicht um Geschmacksverirrungen, sondern es sei schlichtweg „unerträglich“ und „in keinem Fall tolerierbar“.
Sicher wird Steger dieser Sache in Rom nachgehen. „Ich werde eine entsprechende Anfrage in Kammer stellen. Ich will wissen, wer hier verantwortlich ist, und ich erwarte mir von der Regierung eine klare Distanzierung!“
Unterberger: „Affront gegen Südtirol“
„Die Briefmarke zum Gedenken an Giovanni Gentile, dessen Schulreform eine der Säulen für die Zwangsitalienisierung Südtirols während des Faschismus war, macht sprachlos“, erklärt SVP-Senatorin und die Präsidentin der Autonomiegruppe, Julia Unterberger, in einer Mitteilung.
Giovanni Gentile war der Bildungsminister, der in der Zeit des Faschismus die deutsche Sprache in den Südtiroler Schulen verbot. Die Kinder wurden gezwungen ihre Muttersprache nicht mehr zu sprechen und erhielten Unterricht in einer Sprache, die sie nicht kannten. Daher entstanden geheime Schulen, die so genannten Katakombenschulen.
„Es waren vor allem Frauen, darunter auch meine Großmutter, die dort heimlich weiterhin Deutsch unterrichteten. Sie taten dies unter Lebensgefahr, und nicht wenige von ihnen wurden verhaftet“, berichtet Unterberger.
Obwohl Gentile eine komplexe Figur ist, sollte man ihrer Ansicht nicht vergessen, dass er aktiv mit dem faschistischen Regime zusammenarbeitete und eine führende Rolle bei dem Versuch spielte, die deutsche Minderheit auszulöschen. „Ihn mit einer Briefmarke zu ehren, ist ein Affront gegen Südtirol“, so Unterberger.
STF findet Sonderbriefmarke für faschistischen Unterrichtsminister „skandalös“
„Und immer wieder … ‚Siste signa‘, zu deutsch: Zeichen setzen – getreu dem Auftrag der Faschisten, so wie er bis heute auf dem faschistischen Siegesdenkmal mitten in Bozen zu lesen ist. Diesmal ist es eine Sonderbriefmarke mit dem Gesicht des faschistischen Unterrichtsministers Giovanni Gentile, mit dem Italien ‚Zeichen setzen‘ will“, erklärt die Süd-Tiroler Freiheit. Herausgegeben wurde die Sonderbriefmarke vom italienischen „Ministerium für Unternehmen und des Made in Italy“. Der Anlass: der 80. Todestag der Ermordung des Jubiliars durch, so wird gemutmaßt, durch kommunistische Partisanen am 10. April 1944.
„Doch wer war Giovanni Gentile? Für die aktuelle italienische Regierung offenbar ein Held. Doch geschichtsbewussten Menschen und Historikern ist Giovanni Gentile als der Mann in Erinnerung geblieben, der u.a. im Jahr 1923 das Verbot der deutschen Schule in Südtirol verhängt hatte. Gentile, der von seiner Ausbildung her Philosoph war, war unumstritten die wichtigste intellektuelle Figur des Faschismus und einer der entscheidenden Mitbegründer und einflussreichen Mitläufer dieser menschenverachtenden Ideologie“, so die Süd-Tiroler Freiheit.
Der Landtagsabgeordnete Sven Knoll zeigt sich entrüstet und gleichzeitig wenig überrascht: Durch die Herausgabe einer Sonderbriefmarke mit dem Konterfei des faschistischen Unterrichtsministers Giovanni Gentile beweise die Staatsregierung einmal mehr, dass sie ihrer faschistischen, menschen- und minderheitenverachtenden Ideologie treu geblieben sei. „Dies tut sie mitunter so offensichtlich, dass es selbst der Südtiroler Volkspartei zu viel ist. Gerade über Südtirol hat Giovanni Gentile großes Unheil gebracht. Es ist gut, dass die staatstragende Verherrlichung und Zurschaustellung des Faschismus nun auch einzelne SVP-Exponenten auf den Plan ruft. Doch diese müssen sich schon die Frage gefallen lassen: Wird diesen SVP-Leuten endlich bewusst, dass ihr italienischer Koalitionspartner in Bozen genau derselbe ist, der in der italienischen Regierung sitzt? Sollte die SVP immer noch nicht aufgewacht sein, dann ist die Entrüstung, die sie jetzt äußert, nur gespielt und wird folgenlos bleiben“, meint Knoll.
Die Süd-Tiroler Freiheit sehe jedenfalls Klärungs-, Informations- und Handlungsbedarf in Bozen, Rom und Wien. Mit einer Landtagsanfrage will sie den Standpunkt der Landesregierung zu diesem jüngsten „skandalösen Akt der faschistischen Zeichensetzung“ in Erfahrung bringen und was die Landesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt. Zudem wird die Süd-Tiroler Freiheit zu dem Vorfall die Parlamentsgruppen in Rom anschreiben. Besonders gespannt ist Sven Knoll dabei auf die Stellungnahmen jener Parteien, die sich selbst als „antifaschistisch“ definieren oder zumindest als solche gesehen werden wollen. Auch den Südtirol-Unterausschuss in Wien werde die Süd-Tiroler Freiheit über diese neuerliche – subtile – Demütigung der Süd-Tiroler informieren und auf die Gefahr, die sich durch die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien immer noch faktisch manifestiert, hinweisen.
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