Von: apa
Dass aus konservativen Budgetlogiken heraus auf die in Europa dringend notwendige Konservierung der Natur vergessen wird, befürchten rund 1.400 Forschende, die bis dato einen Offenen Brief der “Scientists for Future” Österreich unterschrieben haben. Anlass ist der aktuell in Ausarbeitung befindliche mehrjährige Finanzrahmen (MFR), den die EU Mitte Juli vorliegen will. Natur- und Artenschutz dürfen nicht für andere Prioritäten auf die Seite geschoben werden, betonten Experten.
Schätzungen gehen davon aus, dass rund 80 Prozent der europäischen Ökosysteme in “einem schlechten Zustand sind”, so Carla Freund vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und Franz Essl vom Institut für Botanik der Universität Wien am Donnerstag in einem Pressegespräch. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Bekundungen, das im Zusammenhang mit dem “Green Deal” der EU zu ändern. Die EU habe in den vergangenen Jahren durchaus gezeigt, dass sie ihre Budgetvorgaben relativ schnell anpassen kann, konstatierte Freund. Allerdings geht momentan der Fokus bekanntlich stark in Richtung Sicherheit und Wirtschaftsstandort-Sicherung – vom “Green Deal” ist von den EU-Spitzen derzeit wenig zu hören.
Essl: “Ambitionierte Ziele” mit Leben erfüllen
Nun werden aber die Grundpfeiler des Finanzrahmens für die Jahre 2028 bis 2034 eingeschlagen. Hier müssten auch die für Essl “ambitionierten Ziele” bis 2030 – also etwa im Rahmen der Biodiversitätsstrategie der EU 30 Prozent der Landes- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen oder im Rahmen des umstrittenen Renaturierungsgesetzes 20 Prozent der Flächen möglichst in einen naturnahen Zustand zurückzuversetzen – auf den Weg gebracht werden. Sie können vermutlich nicht allerorts erreicht werden, man müsse aber jetzt Weichen stellen. Essl: “Wenn wir uns von den Zielen wegbewegen, dann werden wir sicher scheitern.”
Die Aufrechterhaltung der kontinentweit rasant schwindenden Artenvielfalt sei jedenfalls nicht von Wirtschafts- oder Sicherheitsthemen zu trennen. Wenn Extremwettereignisse klimawandelbedingt immer schwerwiegender ausfallen, sei das auch ein finanzielles Thema und eine Frage der sozialen Sicherheit. Die Verheerungen im deutschen Ahrtal 2021 führten zum Tod von über 130 Menschen und zu Schäden in Höhe von 40 Milliarden Euro, rechnete Essl vor. Das sei die zwanzigfache Summe der jährlichen EU-Mittel für das “LIFE-Programm”. Mit einer Dotation von rund fünf Milliarden Euro ist es eines der ehrgeizigsten Förderprogramme für Biodiversität.
43 Euro pro Europäer und Jahr
Diese Summe müsste signifikant erhöht werden, betonte Freund. Die Investitionen in Biodiversität sollten laut Schätzungen eigentlich bei rund 90 Milliarden Euro pro Jahr liegen, um die Ziele erreichen zu können. Das klinge nach viel, sei aber im Vergleich zum EU-Gesamtetat eine “moderate Summe”. Und: Jeder hier investierte Euro zahle sich vielfach aus und schaffe auch neue Arbeitsplätze. Heruntergebrochen auf die EU-Gesamtbevölkerung würden die nötigen Investitionen nur 43 Euro pro Europäer und Jahr ausmachen.
Das sollte einem eine halbwegs intakte Umwelt eigentlich “wert sein”, sagte Essl. Letztlich gehe es bei all dem auch um das “menschliche Wohlbefinden”, meinte der Wissenschafter, der auch Mitglied des Österreichischen Biodiversitätsrates ist. In den vergangenen Jahren sei die EU durchaus ein Vordenker für internationale Umweltpolitik gewesen. Es lebe die Hoffnung, dass sie das auch weiter bleibt.
(S E R V I C E – Der Offene Brief online: https://fundnature.scientists4future.at)
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