Initiative der Goetheschule in Bozen

Klasse für Kinder ohne Deutschkenntnisse löst gemischte Reaktionen aus

Mittwoch, 28. August 2024 | 17:40 Uhr

Von: mk

Bozen – Die Initiative der Bozner Goetheschule, erstmals eine erste Klasse zu bilden, in der nur Kinder sitzen, die kein Deutsch können, löst unterschiedliche Reaktionen aus. Volle Unterstützung kommt von den Freiheitlichen. Deutlich kritischer sind die Grünen und die Fünf-Sterne-Bewegung.

„Nach den zahlreichen, zahnlosen Ankündigungen von Seiten der politischen Führung ist es absolut nachvollziehbar, dass eine Schulführungskraft zur Selbsthilfe übergeht um die untragbaren Zustände in den Griff zu bekommen. Weitere Schuljahre, die aufgrund von leeren Versprechungen und nicht umsetzbaren Ankündigungen ablaufen, kann sich Südtirol nicht leisten“, so Roland Stauder im Hinblick auf die fehlenden Sprachstandserhebungen im Kindergarten und die unverbindlichen Beratungsgespräche vor Einschulung der Kinder.

Die Tatsache, dass deutschsprachige Kinder als Minderheit in der eigenen Klasse nur eine zweitklassige Ausbildung erhalten, dürfe nicht länger hingenommen werden, daher seien Initiativen wie an der Bozner Goetheschule im Sinne der Kinder und der Minderheitenpolitik durchwegs zu begrüßen, so der Freiheitliche Obmann.

Darüber hinaus verweist der Freiheitliche Obmann darauf, dass der gesamte Bildungsbereich auf ein massives Personalproblem zusteuere. In den Kindergärten – wie Gewerkschaften warnen – stehe man vor einer Pensionierungswelle, deren Folgen noch nicht absehbar seien.

Was Grund-, Mittel- und Oberschule betrifft, habe die gerade erfolgte Stellenwahl gezeigt, dass ein großer Teil der zur Verfügung stehenden Stellen nicht besetzt werden konnte – schon das dritte Jahr in Folge.

„In Sonntagsreden wird Bildung gerne als das Kapital des 21. Jahrhunderts schlechthin bezeichnet, bei den bereitgestellten öffentlichen Mitteln und Ressourcen bildet das Kapitel Schule aber leider meistens das Schlusslicht!“, so die Freiheitlichen.

Grüne: „Trennung als Antwort auf den Wunsch nach mehrsprachiger Schule“

Ganz anders bewerten die Grünen die Initiative: Seit vielen Jahren gebe es in der Südtiroler Gesellschaft, vor allem in den Städten und in vielen Familien, den Wunsch nach einer zweisprachigen/mehrsprachigen Bildung der Kinder. Dies betreffe vor allem, aber nicht nur, italienische und „gemischte“ Familien – also jene, in denen die Eltern verschiedensprachig sind oder in denen es einen mehrsprachigen Hintergrund gibt (Eltern, die bereits zweisprachig aufgewachsen sind, Eltern mit Migrationshintergrund, andere Situationen der Zwei- oder Mehrsprachigkeit).

Das traditionelle Südtiroler Schulsystem (mit Ausnahme des ladinischen Schulsystems) sieht eine sehr hohe Anzahl von Zweitsprachstunden vor. „Und trotzdem verlassen die Jugendlichen die Schule nicht nur mit einem Niveau, das nicht allen diesen Stunden entspricht, sondern auch voller Scham und Angst in Bezug auf ihre zweite Sprache“, so die Grünen.

Trotz vieler Schulstunden, motivierter Lehrpersonen und hoffnungsvoller Familien würden sich Jugendliche im Alter von 17 Jahren schämen, die jeweils andere Sprache zu sprechen.

„Das klingt wie ein Rätsel, ist es aber nicht wirklich. Auf der einen Seite gibt es eine potenziell zweisprachige Gesellschaft (und sie wirbt sogar damit, um Touristen und Touristinnen anzulocken!), auf der anderen Seite werden die Bildungswelten strikt getrennt. Das deutsche wissenschaftliche Gymnasium liegt in Bozen beispielsweise auf der einen Seite der Stadt, das italienische auf der anderen. Damit Schülerinnen und Schüler ja nicht zufällig auf dem Schulhof oder im Labor aufeinandertreffen könnten. Erzählen wir Leuten im Ausland, dass die berühmte Südtiroler Autonomie so aussieht, glauben sie uns das nicht“, so die Grünen.

Getrennte Schulen würden getrennte Welten schaffen, so sei die Zielsetzung der Politik vor vielen Jahren gewesen. „Es ging um den Erhalt der deutschen Sprache, die während des Faschismus und auch nach dem Ende des Faschismus so gefährdet war. Das Prinzip, dass eine Minderheitensprache bewahrt und geschützt werden muss, ist natürlich nach wie vor richtig, und die Schule ist der wichtigste Ort dafür. Aber das Schulsystem in seiner jetzigen Form reicht schon lange nicht mehr aus. Es wird allen anderen Bedürfnissen nicht mehr gerecht. Denn neben dem Schutz der deutschen Sprache haben sich, vor allem in den Städten, neue Bedürfnisse ergeben, hieß es. Zum Beispiel das der frühen Zweisprachigkeit. Davon versprechen sich viele Familien ein besseres Leben mit mehr Perspektiven für ihre Kinder“, so die Grünen.

Trotz des lauten Rufs nach einer Anpassung des Schulsystems an diese geänderten Bedürfnisse gebe sich die Politik der SVP und ihrer verschiedenen italienischen Partner keinen minimalen Ruck. Sie würden sich gegenüber jedem Versuch und jeder Forderung nach einer mehrsprachigen Schule verschließen, meinen die Grünen.

Ihrer Vorstellung nach sollte es zweisprachige Klassen als Zusatzangebot geben, in denen neben den „muttersprachlichen“ Abteilungen auch deutsche und italienische Kinder gemeinsam lernen können. Die Grüne Landtagsfraktion hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt und hat seit 2014 einen Gesetzesentwurf parat, der alle zwei Jahre „mit immer schwächeren Ausreden“ von der Mehrheit abgelehnt werde.

„Das Problem ist: Wenn die Gesellschaft das eine will und die Politik das andere, dann sucht die Gesellschaft nach Auswegen. Und in der Tat sind wir längst bei der ‚Do-it-yourself‘-Schule angekommen. Die Menschen melden ihre Kinder in der Schule der anderen Sprache an und damit entstehen oft paradoxe – und sicherlich schwierige – Situationen. Dann kommt es zu einer politisch-emotionalen Überladung, bei der die verschiedenen Rechtsparteien versuchen, die Verzweiflung der Familien (und jetzt auch der Schulen) für ihren eigenen politischen Vorteil auszunutzen“, so die Grünen.

Zu den verschiedenen „Do-it-yourself“-Modellen komme nun eine neue Variante hinzu. „Die Goetheschule hat auf die Forderung nach einer gemeinsamen Schule mit Ausgrenzung geantwortet – unter großem Medienecho und Beifall der SVP-Spitzen. Diese Episode sollte nicht als ‚kreative Lösung‘ auf einem erfolgreichen Weg gefeiert werden. Sie ist nur ein weiteres Zeichen für einen falschen Weg und eine verweigerte Lösung“, so die Grünen abschließend.

M5S spricht von Diskriminierung

Eine Klasse in der der Goetheschule zu bilden, in der nur Kinder sitzen, die kein Deutsch können, findet die Fünf-Sterne-Bewegung in Südtirol hingegen als diskriminierend. Die Entscheidung, die von der Schulleitung getroffen und von der SVP unterstützt worden sei, sei schwerwiegend, schreibt der  M5S-Landeskoordinator Diego Nicolini in einer Aussendung.

Das Auswahlkriterium für eine Klasse könne nicht willkürlich die Sprache sein, dies stehe in klarem Widerspruch zu den Grundsätzen der Verfassung. „Zudem fragen wir uns, ob Sprachtests durchgeführt wurden oder ob sich die Auswahl auf die Beachtung des Nachnamens beschränkt hat, was noch abwegiger wäre“, so Nicolini.

Der M5S schließe sich den Worten vom Südtiroler PD-Senator Luigi Spagnolli an, der von einer abscheulich rassistischen Diskriminierung seitens der SVP-Führung gesprochen habe. Gleichzeitig teile man nicht die Haltung vom italienischen Bildungslandesrat Marco Galateo.

Zwar würden durch die Bildung eine Klasse für Schüler ohne Deutschkenntnisse in erster Linie italienischsprachige Schüler benachteiligt. Allerdings setze die Goetheschule mit ihrer Initiative den Wunsch von Unterrichtsminister Giuseppe Valditara nach Klassen um, die nach sprachlichen Kriterien differenziert sind.

Valditara war im Oktober 2022 von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vorgeschlagen worden. Wie Meloni gehört auch Galateo der Partei Fratelli d’Italia an.

Bezirk: Bozen

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