Gesetz zur Wiederaufnahme der Tätigkeiten verabschiedet

Geschafft: Südtirol läutet eigene Phase 2 ein

Freitag, 08. Mai 2020 | 01:04 Uhr

Bozen – Am Abend wurde die Artikeldebatte zum Landesgesetzentwurf Nr. 52/20: Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus SARS-COV-2 in der Phase der Wiederaufnahme der Tätigkeiten (vorgelegt von LH Kompatscher) aufgenommen. Zu den Artikeln wurden 79 Änderungsanträge eingereicht, zu den Anlagen über 50. Der Gesetzentwurf wurde mit 28 Ja, 1 Nein und 6 Enthaltungen genehmigt.

Art. 1 enthält die Maßnahmen zur Wiederaufnahme der Tätigkeiten: Sicherheitsbestimmungen, Verbot der Gruppenbildung, Abstand von 2 Metern, angemessenes Verhältnis zwischen Raum und Personen, Wiedereröffnung am 11. Mai für Dienstleistungen, Gastronomie, Kultur, am 25. Mai für Beherbergungsbetriebe und Seilbahnen. Industrie, Handels- und Handwerksbetriebe öffnen mit Inkrafttreten des Gesetzes, ebenso die sozialen Dienste. Die Kinderbetreuung ist ab 18. Mai wieder möglich. Die Bürgermeister können restriktivere Maßnahmen beschließen. Der Artikel, der über 30 Absätze umfasst, verweist auch auf eine Anlage A, die allgemeine Regeln für alle Bürger und detaillierte Regeln für die Wirtschaft enthält.

Zunächst erläuterten die Abgeordneten ihre Anträge, in denen es unter anderem um die Vorverlegung oder Verschiebung der Öffnungstermine ging, um die Reisefreiheit auch über die Landesgrenzen, um die Eigenerklärung, um Ausgangsbeschränkungen durch die Bürgermeister, um eine verständliche Erklärung der Bestimmungen, um kulturelle und religiöse Veranstaltungen, um die Betreuungskapazitäten der Tagesmütter, um die Kinderbetreuung, vor allem im Sommer, um die Musikschulen, um Kinder mit Behinderung, um Mietwagenfahrten über die Grenzen, den Besuch in den Krankenhäusern. LH Arno Kompatscher legte einen Ersetzungsantrag zu Anlage A vor, in dem unter anderem die Pflicht zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes (unter 2 Metern Distanz) und das Raum-Personen-Verhältnis (10 Quadratmeter pro Person, aber auf die Gesamtfläche berechnet, nicht auf die einzelne Person) präzisiert werden. Es werden auch die Bestimmungen zu den Wellnessbereichen, zu Freischwimmbädern, zum Individualsport, zu den Schutzhütten und zum öffentlichen Nahverkehr präzisiert. Das Ganze könne durch Verordnungen nachgebessert werden.
Nach der Vorstellung der Anträge entspannte sich eine Diskussion über die Geschäftsordnung. Mehrere Abgeordnete bemerkten, dass es schwer sei, die Änderungsanträge zu prüfen, wenn auch wesentliche kurz vor der Behandlung vorlägen. Anschließend – und nach einer Pause – wurde über die Anträge diskutiert.

Riccardo Dello Sbarba meinte, dass die Landesregierung öffnen wolle, was möglich sei; daher seien weitere Vorschläge zur Lockerung nicht sinnvoll. Positiv sehe er hingegen jene Vorschläge, die auf mehr Sicherheit zielten. Kritisch sah er die Bestimmung, dass die Sicherheitsprotokolle nicht eingehalten werden müssen, wenn die Sicherheit garantiert sei – das schaffe Rechtsunsicherheit. Die Staat-Regionen-Konferenz habe heute eine Öffnung der Geschäfte am 11. Mai gefordert und Entscheidungsfreiheit für die Regionen ab 18. Mai – das wäre der bessere Weg, auch vor dem Hintergrund der Verhandlungen mit dem Staat um mehrere hundert Millionen.

LH Arno Kompatscher betonte, dass die Formulierung zu den Sicherheitsprotokollen au dem Dekret von Conte übernommen wurde.
Paul Köllensperger sah im Gesetz einen vorsichtigen Start. Vor allem Bars und Restaurants würden sich schwer tun mit den Bestimmungen. Die Bestimmung zu den Fabriken sei akzeptabel. Positiv sei die Verlängerung der Öffnungszeiten im Handel bis 22 Uhr, ebenso die Präzisierung zur 1/10-Regel. Die Covid-Safe-Areas seien nachvollziehbar, aber die serologischen Schnelltests seien nicht aussagekräftig, es bestehe weiter Ansteckungsgefahr. Köllensperger fragte, was passiere, wenn in einem Hotel ein Positiver festgestellt werde – werde dann das ganze Hotel geschlossen? Hier sei Klarheit zu schaffen. Köllensperger legte einen entsprechenden Antrag vor, der vorsieht, dass das Zimmer des Infizierten unter Quarantäne gestellt wird. In der Gastronomie sollte man 4 Leute pro Tisch zulassen. In Österreich könnten Personen, die zusammen kommen, auch zusammen sitzen.

Sven Knoll kritisierte, dass Personen, die nicht im selben Haushalt leben, sich mit Mundschutz begegnen müssen, auch Beziehungspartner. Das sei schwer zu prüfen, könne aber auch zu Denunziantentum führen. Wenn eine Bestimmung lächerlich sei, werde sie nicht eingehalten. Dies gelte auch für die Eigenerklärung, die abzuschaffen sei. Man sollte sich auch über die regionalen Grenzen hinaus bewegen können, das betreffe unter anderem die Studenten. Bei der Öffnung für die Hotels wecke man falsche Hoffnungen; die Gäste blieben nicht im Hotel und könnten sich irgendwo anstecken. Es gebe auch noch keine Überlegungen zu Gästen aus Ländern mit hohen Infektionsraten. Man könne mit diesem Gesetz niemandem eine Garantie geben.
Alessandro Urzì stellte eine Reihe von Unsicherheiten fest, die auch in dieser Debatte angesprochen würden. Das Land habe z. B. nicht die Befugnis, die Bewegungsfreiheit auf andere Regionen auszudehnen. Die Zulassung von Wahlveranstaltungen sollte nicht vom Landeshauptmann abhängen.
Franz Ploner plädierte für eine Reduzierung der Distanzen von 2 auf 1,5 Meter, wie es das Koch-Institut empfehle. Das würde auch dem Gastgewerbe mehr Spielraum geben. Der serologische Schnelltest, der für die Covid-Protected-Area vorgesehen sei, sage nichts über die Infektiösität der Person aus, dazu brauche es einen PCR-Test, der nicht älter als 4 Tage sei. Diese Bestimmung werde in Rom nicht durchgehen.
Andreas Leiter Reber sah eine Konfusion beim Abstand von 2 Metern.

Die Regel sei klar, erwiderte Gert Lanz. Für die Gastbetriebe sei der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Metern in der Summe minimal. Wichtig sei die Logik des Abstands. Man wolle nicht regellos öffnen, sonst würde in wenigen Wochen alles wieder zusammenbrechen. In Österreich würden die Bestimmungen für die Beherbergungsbetriebe erst am 29. Mai erlassen.

Italien sei wochenlang mit Notverordnungen regiert worden, die am Vorabend vor Inkrafttreten bekannt gegeben wurden, erklärte LH Arno Kompatscher. Und nun werfe man der Landesregierung zu große Eile vor. Südtirol könne keine bilateralen Abkommen mit anderen Staaten machen, aber es könne die Ausreise nach Österreich erlauben, wenn Österreich die Einreise zulasse. Südtirol versuche eine vorsichtige Öffnung, denn wenn die Zahlen schlechter würden, müsse man wieder zurückrudern. Mit dieser Regeln wolle man auch jene mitnehmen, die Angst haben. Aber man starte jetzt, mit vielen Tätigkeiten übrigens früher als Österreich und Deutschland.

LR Thomas Widmann wies Köllensperger darauf hin, dass es zu den Kontakten eines Infizierten ein genaues Protokoll gebe. Wenn das Hotel die Regeln einhalte, verringerten sie das Risiko. Aber wenn ein Gast mit Infektion nach Deutschland zurückkehre, sei das ein Schaden für die ganze Branche, nicht nur für das Hotel. Franz Ploner bezweifle die serologischen Schnelltest des Landes, halte jene in Gröden aber für seriös. Validierte Schnelltests hätten doch eine bestimmte Sicherheit. Im Vergleich zu Österreich sei die Südtiroler Regel eher auf der sicheren Seite, aber in zwei, drei Wochen wisse man mehr und könne nachbessern.

G.News

Die Änderungsanträge der Landesregierung wurden angenommen. Zusätzlich angenommen wurden unter anderem Anträge von Knoll, Lanz und Atz Tammerle (keine Eigenerklärung im Landesgebiet und im Trentino), Lanz (Ausnahmen für religiöse Veranstaltungen), Urzì (Gültigkeit des Gesetzes bis Ende des nationalen Notstands).

Absatz 26 zu den Patientenbesuchen wurde auf Antrag von Lanz gestrichen.
Der Artikel wurde mit 25 Ja und 1 Nein genehmigt.

Art. 2 sieht die Einrichtung einer Expertenkommission vor, die bei Zunahme der Infektionen dem Landeshauptmann geeignete Maßnahmen vorschlägt. Dazu wurde ein Ersetzungsantrag von LH Kompatscher mit gendergerechten Begriffen vorgelegt.
Alessandro Urzì sah die Gefahr, dass hier andere Kriterien aufgestellt würden, sodass ein Vergleich mit anderen Regionen unmöglich wird. Brigitte Foppa meinte, nicht nur der Text müsse gendergerecht sein, sondern vor allem die Besetzung der Kommission. Sandro Repetto sah ebenfalls diese Gefahr. Franz Ploner meinte, in der Kommission sollten auch Sozialwissenschaftler und Volkswirtschaftler vertreten sein. LH Kompatscher erklärte, dass der Artikel wohlüberlegt sei und dass es keine Konkurrenz mit anderen Kommissionen geben werde. Diese Kommission werde sich auch mit lokalen Problemen befassen, wie jene in anderen Regionen auch. Diese Kommission sei für medizinische Fragen zuständig, die Landesregierung werde auch noch andere Berater haben. Die Frauen würden in dem Gremium stark vertreten sein.
Der Ersetzungsantrag wurde angenommen.

Art. 3 enthält die finanzielle Deckung des Gesetzes und wurde ohne Debatte angenommen.

Art. 4 legt das Inkrafttreten des Gesetzes am Tag seiner Veröffentlichung fest.
Auf Nachfrage von Sven Knoll erklärte LH Kompatscher, dass das Gesetz in die jetzt genehmigte Form gebracht werden müsse. Ein Inkrafttreten werde eher am späten Nachmittag möglich sein. Die Kaufleute sollten sich auf die Öffnung am Samstag vorbereiten.
Der Artikel wurde mit 27 Ja, 1 Nein und 7 Enthaltungen genehmigt.

Erklärungen zur Stimmabgabe:

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) betonte den Wert der demokratischen Debatte und wies auf die vielen offenen Fragen hin, die dabei aufgetaucht seien. Es sei richtig, den Betrieben die Öffnung zu ermöglichen, aber der eingeschlagene Weg sei falsch, da man ja in Finanzverhandlungen mit Rom stehe. Er kündigte sein Nein an, hoffe aber, dass die Mehrheit recht habe.

Es habe heute doch eine Zusammenarbeit stattgefunden, erkannte Paul Köllensperger (Team K) an. Einige Vorschläge, etwa zu den Vouchern, seien angenommen worden. Nicht gelöst seien die Fragen zu direkten Beiträgen, zur Unterstützung der Banken und andere. Man hätte sich über eine Lösung nach österreichischem Vorbild gefreut, aber daraus sei heute noch nichts geworden. Die Landesregierung habe keine leichte Aufgabe, das Gesetz werde viele auch enttäuschen. Aber das Ergebnis sei insgesamt gut und könne noch verbessert werden.

Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) kündigte für ihre Fraktion eine Enthaltung und eine Ja-Stimme an. Viele würden von diesem Gesetz enttäuscht sein. Man hätte mutiger sein können, und viele Bestimmungen seien kompliziert und unverständlich.

Brigitte Foppa (Grüne) wies ebenfalls auf die großen Erwartungen hin, aber für gute Entscheidungen brauche es Zeit. Sie bat darum, die Nachhaltigkeit im Auge zu behalten, denn der große Druck zur Wiederaufnahme werde auch Umweltschäden bringen. Für die Gesellschaft beginne ein neues Leben. Sie wünsche von Herzen, dass es gut gehe.

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Es sei richtig und notwendig, dass Südtirol einen eigenen Weg beschreite, meinte Sven Knoll (STF). Man habe miterlebt, wie andere über unser Land bestimmt hätten, aber auch über unser privates Leben. Er hoffe, dass die Phase 2 gut ablaufe, und dankte jenen, die an vorderster Front für das Leben anderer Menschen gekämpft hätten.

Josef Unterholzner (Team K) unterstützte das Gesetz. Man habe sich eingesetzt, es besser zu machen. Dennoch sollte die Opposition früher eingebunden werden, damit vor allem die Praktiker ihre Erfahrungen einbringen könnten. Gewisse Bestimmungen seien nicht gelungen, etwa die Schließung des ganzen Hotels bei einem einzigen Fall oder die Abstände, dennoch sei das Gesetz insgesamt nicht schlecht.

Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) kündigte Stimmenthaltung an. Besser wäre es gewesen, sich den anderen Regionen anzuschließen, die erst ab 18. Mai mit eigenen Regeln starten wollten. Die Vorschläge des PD seien heute abgelehnt worden. Es sei zu hoffen, dass das Gesundheitssystem bei einer zweiten Welle angemessen reagieren könne. Das Gesetz sei sicher ein Hoffnungszeichen, aber für die nächste Phase werde man viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen.

Man werde erst in einigen Monaten wissen, ob der Lockdown notwendig war, meinte Andreas Leiter Reber (Die Freiheitlichen). Dieses Gesetz mache die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden nicht wett, man stehe jetzt vor einer langen Krise. Dieses Gesetz sei ein kleiner Schritt, aus dieser Krise herauszukommen. Jene, die sich mehr erhofft hätten, aber auch alle anderen sollten die Eigenverantwortung ernst nehmen, damit es nicht wieder schlimmer werde.

Giuliano Vettorato (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) sah dieses Gesetz als eine Antwort auf die drängenden Fragen der Bürger. Alle hier hätten dazu beigetragen.

Carlo Vettori (Alto Adige Autonomia) sah keinen Anlass zur Euphorie. Nicht, weil das Gesetz nicht gut wäre, sondern wegen der tragischen Situation. Man habe einen ersten Schritt getan und könne sich noch nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Man habe damit die Würde der Arbeit hochgehalten. Er werde für dieses Gesetz stimmen.

Gerhard Lanz (SVP) fragte, wie viel richtig sei: an Diskussion, an Courage, an Abstand. Für viele sei manches zu viel, für andere zu wenig. Es sei wichtig, wenn man nach außen ein Bild der Geschlossenheit abgebe. Daher müsse diese Frage, wie viel richtig sei, in den nächsten Monaten immer wieder gemeinsam angegangen werden. Lanz bedankte sich bei allen für die Mitarbeit, bei den Fachleuten, vor allem aber bei der Landesregierung und dem Landeshauptmann. Hier habe es viel dicke Haut gebraucht bei dem, was alles gesagt wurde.

LH Arno Kompatscher dankte ebenso, auch den Mitarbeitern im Landtag und in der Landesverwaltung, den Kollegen in der Landesregierung und allen Landtagsfraktionen. Die letzten Wochen seien für alle im Lande sehr schwer gewesen, und auch die nächsten Monate würden wieder schwer sein. Man müsse schauen, dass wieder Zuversicht im Lande einkehre. Viele Erwartungen an das Gesetz würden enttäuscht, manchen gehe es zu weit. Aber es sei wichtig, zu vermitteln, dass es richtig war, in dieser Sache möglichst gemeinsam vorzugehen.

Der Gesetzentwurf wurde mit 28 Ja, 1 Nein und 6 Enthaltungen genehmigt.

Präsident Josef Noggler schloss die Sitzung um 0:43 Uhr.

Von: ka

Bezirk: Bozen