Parteien melden sich zu Wort

Gewalt an Frauen als kulturelles Problem

Samstag, 25. November 2023 | 08:24 Uhr

Von: mk

Bozen/Rom – Kurz vor dem internationalen Gedenktag gegen Gewalt an Frauen hat es in Italien wieder einen aufsehenerregenden Frauenmord gegeben. Eine 22-jährige Studentin wurde von ihrem Ex-Partner brutal ermordet – weil sie ihn verlassen hatte und weil sie im Begriff war, vor ihm ihr Studium abzuschließen. Giulia Cecchetin ist nur eine von vielen. In Italien wurden in diesem Jahr mehr als 100 Frauen ermordet. Dabei sind die Femizide nur die Spitze des Eisberges der Gewalt gegen Frauen. Mehrere Politikerinnen und Parteien melden sich anlässlich des Gedenktags am 25. Februar zu Wort.

Dazu zählt SVP-Senatorin Julia Unterberger. Das Parlament in Rom wieder ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen verabschiedet. Dieses befindet sich laut Unterberger in guter Gesellschaft, zumal seit zehn Jahren fast jährlich Gesetze und Aktionspläne zu diesem Thema verabschiedet werden.

„Vor allem die Verschärfung von Strafen und die Ausweitung des vorläufigen Schutzes im Strafprozessrecht sind Gegenstand dieser Gesetze. Trotz aller Bemühungen gehen die Frauenmorde ungebrochen weiter“, berichtet Unterberger.

Das liege einerseits daran, dass diese Gesetze nur in unzureichender Weise angewandt werden, dass die zuständigen Behörden ihre Befugnisse der Ermahnung, des Näherungsverbotes und sogar der Führerscheinaussetzung gegenüber gewalttätigen Männern nur in unzureichender Weise ausüben, und andererseits dass es keine Strafsicherheit gibt.

„Erst kürzlich hat ein Fall für Aufsehen gesorgt, in welchem ein verurteilter Frauenmörder nach nur fünf Jahren Gefängnis wegen Fettleibigkeit in den Hausarrest entlassen wurde“, erklärt Unterberger.

Vor allem aber handle es sich bei der Gewalt gegen Frauen um ein kulturelles Problem, um die Überbleibsel des Patriarchats, die sich in unserer Gesellschaft immer noch breit machen würden.

„Wir finden sie in den Hasskampagnen in den sozialen Medien, in der Darstellung der Frauen in den Medien und in einer Sprache, die für Führungsrollen nur die männliche Form kennt. Und wir finden sie in den Ungleichgewichten in der Arbeitswelt, im fehlenden Zugang zu Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft, in der mangelnden Aufteilung von Betreuungs- und Familienaufgaben, in der Tatsache, dass nur 58 Prozent der italienischen Frauen ein Bankkonto auf ihren eigenen Namen haben. Der eigentliche Kampf ist also ein Kampf um echte Chancengleichheit in der Arbeitswelt und dem Zugang zu Führungspositionen“, ist Unterberger überzeugt.

Das neue Gesetz gegen Gewalt sei ein Schritt nach vorn, aber es sei ein Fehler zu glauben, dass es ausreiche. „Der nächste Schritt sollte die Einführung eines Hassdeliktes sein, das es in den meisten europäischen Ländern schon gibt“, so Unterberger. Sie habe im Senat, bereits in der letzten Legislaturperiode einen diesbezüglichen Gesetzentwurf vorgelegt.

Auch die Möglichkeit frauenfeindliche Werbung, durch dafür zuständige Gremien zu unterbinden, müsse ausgebaut werden. Die italienische Amtssprache müsse endlich durch die weibliche Form für alle Positionen erweitert werden. Die Ablehnung von Gewalt und der Respekt gegenüber Andersartigkeit müsse bereits in der Schule gelehrt werden.

„Nur so wird es möglich sein, der gesellschaftlichen Geißel der Gewalt gegen Frauen, beizukommen“, ist Unterberger überzeugt.

Institutionelle Gewalt führt „kulturelles Problem“ vor Augen

„Gewalt an Frauen ist ein gesellschaftliches Problem, das führt uns die traurige Geschichte von Giulia Cecchettin einmal mehr schonungslos vor Augen“, betont die SVP-Landesfrauenreferentin und Kammerabgeordnete Renate Gebhard. Die Parlamentarierin verweist darauf, dass durch entwürdigende und herabstufende Aussagen vonseiten offizieller Institutionen und ihrer Vertreter das Opfer und seine Familie erneut Gewalt erfahren würden.

Es ist eine Form der institutionellen Gewalt, die Giulia Cecchettin und ihre Familie nach dem grausamen Frauenmord erfahren. „Wenn sich ein Regionalratsabgeordneter zu so entwürdigenden und herablassenden Stellungnahmen hinreißen lässt und diese einen Tag später auch noch verteidigt, spricht dies Bände und zeigt einmal mehr, wieso wir dem Problem Gewalt an Frauen nicht Herr werden“, erklärt die SVP-Landesfrauenreferentin und Kammerabgeordnete Renate Gebhard zu den jüngsten Aussagen von Stefano Valdegamberi im Veneto, „welcher die Schwester von Giulia Cecchettin verbal attackiert hat.“ Der jüngste traurige Frauenmord an Giulia Cecchettin zeige schonungslos auf, wie institutionelle Strukturen ungleiche Machtverhältnisse stärken und so den Opfern abermals Gewalt antun, indem sie die betroffenen Familien diskreditieren „und Valdegamberi ist als Regionalratsabgeordneter ein Vertreter einer solchen Institution.“

Dabei steht für Gebhard bereits seit langem fest, dass Gesetze und Strafen nicht ausreichen, um dem sinnlosen Morden an Frauen ein Ende zu bereiten. Die SVP-Fraktionssprecherin in der Abgeordnetenkammer begrüßt die am Mittwoch dieser Woche im Eilwege erfolgte definitive und einstimmige Verabschiedung des Gesetzes zur häuslichen Gewalt im Senat, mit dem der Opferschutz verstärkt wird. Unter anderem werden dabei die Möglichkeiten der Verwarnung des Quästors ausgedehnt, die Bestimmungen hinsichtlich von vorbeugenden Maßnahmen verschärft, eine Spezialisierung der Richter und Ermittler im Bereich geschlechterspezifische Gewalt vorgesehen. Bereits bei der ersten Lesung des Gesetzes in der Kammer wurde ein Abänderungsantrag von Gebhard angenommen, welcher die Frist, in der das Gericht über einen Antrag auf vorbeugende Maßnahmen entscheiden muss, auf 20 Tage reduziert.

„Um diesem kulturellen Problem in Italien jedoch dauerhaft zu begegnen, müssen wir aber bei der Erziehung in der Familie und in den Bildungseinrichtungen ansetzen“, fordert die SVP-Landesfrauenreferentin und Kammerabgeordnete einmal mehr ein konkretes Präventionsprojekt ein, welches auch entsprechend finanziert werden muss. „Es reicht nicht aus, Frauen Hilfsangebote und Anlaufstellen aufzeigen, damit sie sich schützen können“, so Gebhard, „wir müssen unsere Söhne zu verantwortungsbewussten und respektvollen Männern erziehen, wenn wir Gewalt an Frauen wirkungsvoll und dauerhaft bekämpfen wollen. Es braucht einen kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Wandel“, betont Renate Gebhard auch in Hinblick auf den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November.

Freiheitliche: „Null-Toleranz-Strategie auf den Weg bringen“

Nach wie vor erfahren Mädchen und Frauen zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und im Internet Gewalt, die viele Formen kennt und in jeder sozialen Schicht anzutreffen ist. Die freiheitliche Landtagsabgeordnete Ulli Mair mahnt zu mehr Aufmerksamkeit, mehr Prävention und Sensibilisierung, um Gewaltsituationen zu erkennen und die Opfer zu schützen.

„Die Zahlen sprechen eine klare Sprache und die alljährlichen Erhebungen machen leider nach wie vor mehr als deutlich, dass politische Entscheidungsträger auf allen Ebenen wirksame und effiziente Maßnahmen gegen die verbreitete Gewalt gegen Frauen und Mädchen ergreifen müssen. Damit die Bedürfnisse und Rechte von Gewaltopfern nicht nur auf dem Papier berücksichtigt werden, sondern in der Praxis auch besser und rascher umgesetzt werden können, braucht es entsprechende Geldmittel“, betont die freiheitliche Landtagsabgeordnete Ulli Mair in einer Stellungnahme.

„Sicherheitskräfte und medizinisches Fachpersonal, aber auch Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen leisten bereits sehr viel, müssen jedoch weiterhin ständig geschult und mit den notwendigen Mitteln und Befugnissen ausgestattet werden, damit sie Gewaltopfer schneller und besser unterstützen können. Wir unterstützen die Forderung nach der Bereitstellung einer geeigneten Immobilie für das Frauenhaus Bozen, um endlich auch in der Landeshauptstadt die Sicherheit von Frauen, Mädchen und Buben zu gewährleisten, die sich aus der Spirale der häuslichen Gewalt lösen. Eine angemessene Unterbringung sowie die professionelle Begleitung ist dabei unerlässlich“, führt Mair weiter aus.

„Einen Nachholbedarf sehen wir auch in einem flächendeckenden Ausbau sowie in einer Aufwertung von Fach- und Beratungsstellen, die eine wesentliche und strategische Rolle spielen, beispielsweise auch bei der Prävention und Intervention bei Gewalt an Mädchen und Frauen. Das Ausmaß des Problems verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur einige wenige Frauen betrifft, sondern sich tagtäglich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Politiker, Interessensvertreter der Zivilgesellschaft sowie Hilfseinrichtungen müssen gemeinsam die bisherigen Maßnahmen einer kritischen Prüfung unterziehen und regelmäßig die flächendeckende, aufeinander abgestimmte Umsetzung der Maßnahmen evaluieren. Die Zeit ist reif, eine breit angelegte Null-Toleranz-Strategie zur wirksamen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg zu bringen. Dazu braucht es immer wieder Bewusstseinsbildung, sowohl für Frauen, als auch für Männer“, schließt Mair.

Grüne: Femizide wirksam bekämpfen!

„Es passiert immer wieder. In Europa, in Italien, in Südtirol. Frauen werden Opfer von patriarchaler Gewalt. Im schlimmsten – aber leider nicht im seltensten – Fall, werden sie ermordet“, so die Grünen im Südtiroler Landtag. Diese Form von Tötung hat einen Namen: Femizid. Eine Definitionsmöglichkeit von Femizid: Es handelt sich um die „bewusste Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist“ (WHO). „Das hässlichste Ergebnis einer patriarchalen Kultur, in der wir uns immer noch bewegen.“

Ein Femizid beginne viel früher als mit dem Akt der Tötung. Er beginne mit verbaler, physischer, wirtschaftlicher und vielen anderen Formen von Gewalt. Er beginne damit, dass im Jahr 2022 in Südtirol 130 Frauen in Frauenhäusern Zuflucht gesucht hätten. Er beginne damit, dass sich im selben Jahr 600 Frauen in Südtirol an die Beratungsstelle für Frauen in Gewaltsituationen gewandt haben.

„Er beginnt noch viel früher. Zum Glück mündet nicht jeder Fall von Gewalt an Frauen in einem Femizid. Es gilt: Jeder Fall von Gewalt an Frauen ist ein Fall zu viel. Jeder Femizid eine Niederlage und ein Rückschlag für eine zivilisierte Gesellschaft. Trotz der allarmierend hohen Anzahl von Frauenmorden in Europa, in Italien und ja, auch in Südtirol – über Femizide gibt es nicht viel Wissen. Selbst das Wort ‚Femizid‘ ist international erst seit kurzem etabliert. Dies ist ein Anfang, denn sobald man Zustände benennen kann, sind sie Realität und man muss sich in der Folge auch damit befassen“, so die Grünen.

Doch allein die Tatsache, dass viele inhaltlich divergierende Definitionen von „Femizid“ existieren, deute darauf hin, dass es hier noch Wissenslücken gebe. Es sei höchst an der Zeit, daran etwas zu ändern.

„Ausgehend von der Frage: Wie können wir Femiziden entgegenwirken? Wie sollen wir damit umgehen? Um diese Fragen auf legislativer Ebene eine angemessene Antwort geben zu können braucht es Information. Wir benötigen dringend eine spezifische Anhörung im zuständigen Gesetzgebungsausschuss, um die grundlegenden Informationen und Handlungsempfehlungen auf politischer Ebene zusammenzuführen. Sobald die Ausschüsse eingesetzt sind, müssen wir das angehen“, so die Fraktionssprecherin der Grünen im Landtag Brigitte Foppa.

„Gerade als Volksvertreterinnen und -vertreter haben wir von den mit großem Engagement und rund ums Jahr tätigen Organisationen und Menschen zu lernen. Denn nur wer einen Gegner kennt, kann ihn auch wirksam bekämpfen“, schließt sich Madeleine Rohrer an.

Doch nicht nur das. “Es fehlt insgesamt an Bildung und Wissen. Altersgerechte Sexualbildung muss schon bei den Jüngsten beginnen. Wir müssen uns als Gesellschaft von diesem patriarchalen System endlich befreien“, so Zeno Oberkofler abschließend.

„Jeder Femizid ist einer zu viel. Jeder Femizid hätte der letzte sein sollen. Und doch wiederholen sie sich Tag für Tag. Es ist Zeit, systematisch dagegen vorzugehen, auf den verschiedensten Ebenen. Der Landtag soll mit gutem Beispiel vorangehen und den Teufelskreis mit legislativen Mitteln bekämpfen. Denn so kann es nicht weitergehen“, erklären die Grünen.

Bezirk: Bozen