Positionspapier zur doppelten Staatsbürgerschaft

Grüne: Die Folgen bedenken

Mittwoch, 20. Dezember 2017 | 13:15 Uhr

Bozen – Schon heute leben in Europa Tausende von Menschen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Diese Einzelpersonen haben den Doppelpass aus geschichtlichen oder familiären Gründen erhalten, und zwar im Kontext einer Europäischen Union, deren innere Grenzen ständig überschritten wurden. Dies erklären die Landtagsabgeordneten der Südtiroler Grünen, Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Hans Heiss, zur Diskussion in Zusammenhang mit der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler. Ihr Einwand richtet sich gegen die Übertragung dieses individuellen Rechts auf ein eingegrenztes Kollektiv, im spezifischen Fall die deutsche und ladinische Bevölkerung Südtirols. Damit werde eine Rechtsungleichheit zu den restlichen, vielfach seit langem im Lande lebenden Südtirolern geschaffen.

Nach aktuellem Wissensstand wäre das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft auf zwei Personengruppen eingeschränkt, weil begründbar: einerseits auf Personen, die nachweisen können, Vorfahren in Südtirol (gehabt) zu haben, die zum Zeitpunkt der Abtrennung Südtirols von Österreich österreichische Staatsbürger waren (Begründung durch Abstammung), und andererseits auf Personen, die der deutschen oder ladinischen Volksgruppe angehören (Begründung durch die Schutzmachtfunktion Österreichs für diese beiden Gruppen).

Im Detail würde dies laut den Grünen zu einer Vielzahl von Problemen führen: Die Begründung durch Abstammung führe etwa zur Frage: „Wer kann nachweisen (und wie), dass seine oder ihre Vorfahren einmal Bürger des österreichischen Staates vor 1919 waren, wenn in Südtirols Gemeinden erst ab 1922 Standes- und Meldeämter geführt werden? Sollen also wieder Ahnenpässe über die Taufbücher der Pfarrarchive eingeholt werden?“

Das Kriterium zur Zugehörigkeit zur Sprachgruppe wiederum führe zur Frage, wer denn der deutschen und ladinischen Sprachgruppe zugehörig ist. „Denkt man zum Nachweis an die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung? Die hat doch einen völlig anderen Zweck, nämlich die interne Verteilung gemäß Proporz. Was passiert mit all jenen, die sich nicht zugeordnet, sondern nur angegliedert haben? Werden sich dann in Zukunft ItalienerInnen entweder für die österreichische Staatsangehörigkeit oder die Ansprüche gemäß Proporz für die italienische Sprachgruppe entscheiden müssen? Hält ein solcher Rechtswiderspruch überhaupt einer rechtlichen Prüfung statt?“, fragen die Grünen.

Falls man nicht nach Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vorgehe: Wie werde festgestellt, wer „deutsch“ und wer „ladinisch“ ist, wollen die Grünen wissen. „Und wie immer wird auf einen Aspekt vergessen: Was ist mit den Zwei-, Mehr- und Anderssprachigen im Lande? Welche Rechte stehen ihnen zu und wie erwerben sie diese Rechte?“

„Politische Probleme, gesellschafts- und autonomiepolitische Fragen“

Im Lande werde ein rechtliches Gefälle mit schwer wiegenden Unterschieden auftreten, warnen die Grünen:  Ein Teil der Südtiroler werde um die doppelte Staatsbürgerschaft ansuchen können, ein weiterer Teil nicht. Das werde dem bereits im Wachsen begriffenen Eindruck der fortschreitenden Marginalisierung der italienischen Südtiroler weiteren Vorschub leisten. „Gewiss werden nicht so viele Italiener den Wunsch hegen, österreichische Staatsbürger zu werden. Aber allein die bloße Tatsache, darauf keinen Anspruch zu haben, wird Benachteiligungsgefühle entstehen lassen. In einer Situation der wachsenden Resignation und Mutlosigkeit der italienischen Sprachgruppe braucht es keine weiteren Angriffe. Wir erinnern daran, dass die Vertretung im Landtag mit 14 Prozent, bzw., mit 12,5 Prozent in der Landesregierung weit unter der tatsächlichen Stärke der italienischen Sprachgruppe (26 Prozent bei der Volkszählung 2011) liegt“, erklären die Grünen.

Die deutschen Rechtsparteien würden laut den Grünen seit Jahren in dieser Sache provozieren. „Mit der vordergründigen Berufung auf das historische Unrecht, das zweifelsfrei an Südtirol begangen wurde, wird ständig am kollektiven Selbstwertgefühl der italienischen Südtiroler gesägt. Jegliche Identifikation mit Italien wird als Nationalismus etikettiert und beanstandet. Politische Vorschläge in der Bandbreite von neutralen Trikots für Südtiroler Sportler bis hin zur Ausrufung der Selbstbestimmung für Südtirol halten das Bewusstsein der ethnischen Unterschiede wach. Dieses kontinuierliche Herumstochern hat zu einem Wettlauf der Benachteiligung und zum Kampf um die Opferrolle zwischen der deutschen und italienischen Volksgruppe geführt. Die Voraussetzungen für einen friedlichen und rücksichtsvollen Diskurs im Lande verschlechtern sich auf diese Weise beständig. Die doppelte Staatsbürgerschaft verstärkt diesen perversen Mechanismus um ein Vielfaches“, erklären die Grünen.

Auf einer weiteren Ebene müsse bedacht werden, welche Folgen die Doppelpassregelung auf die Kräfteverhältnisse zwischen Südtirol und Italien, zwischen Südtirol und Österreich und zwischen Italien und Österreich haben könnte. „Die schwierige und stets gefährdete Balance der letzten Jahre scheint sich bereits durch die bloße Ankündigung seitens der neuen österreichischen Regierung geschwächt zu haben“, so die Grünen.

Wenn man erst bedenke, welche Situation eintreten könnte, wenn sehr wenige deutsche und ladinische Südtiroler um den österreichischen Pass ansuchen, werde das gesamte Ausmaß des Ansinnens deutlich. „Rom könnte dann annehmen, dass die Verbindung zu Österreich mittlerweile an Bedeutung verloren hat; die Schutzmachtfunktion könnte sich schwächen. Hingegen würde eine Kampagne zugunsten massiver Ansuchen um den Doppelpass die deutsche Sprachgruppe in Spaltung und Bedrängnis bringen. Ferner könnte ein Ansturm um die österreichische Staatsbürgerschaft die Beziehungen zu Italien verhärten und dem weiteren Ausbau der Autonomie alles andere als dienlich sein“, betonen die Grünen.

Man dürfe ihrer Ansicht nach die Geschichte nicht vergessen: „Eine Hauptbedingung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens war die Zurückgabe der italienischen Staatsbürgerschaft an diejenigen, die sie 1939 mit der Option für Deutschland verloren hatten. Die Autonomie hat ihren Daseinsursprung also im Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit innerhalb des italienischen Staates. Würde hingegen morgen ein stattlicher Teil der Südtiroler Bevölkerung auch BürgerIn Österreichs werden, könnte Rom davon ausgehen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft ausreichen würde, um diejenigen zu schützen, die sich nicht italienisch fühlen. Dahingegen (so könnte der weitere Gedankengang der römischen Regierung sein) bräuchten jene, die allein mit der italienischen Staatsbürgerschaft zufrieden seien, nicht geschützt werden. In beiden Fällen würde die Autonomie überflüssig werden und auch die Schutzmachtfunktion Österreichs würde sich verändern: Sie würde sich nicht mehr auf das gesamte Südtirol beziehen, sondern nur noch auf diejenigen, welche die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten haben. Wollen wir uns wirklich auf diesen Weg begeben? Und ist vielleicht nicht diese Überlegung der ausschlagende Punkt dafür, dass die VerfechterInnen der doppelten Staatsbürgerschaft genau die Parteien sind, welche die Autonomie als ein Auslaufmodell betrachten?“

Die Frage nach all diesen Erwägungen lautet für die Grünen: „Wozu dient der Vorstoß in Sachen doppelter Staatsbürgerschaft? Bringt dieses Ansinnen unser Land in irgendeiner Weise weiter, trägt es zu gedeihlichem Zusammenleben in Südtirol und zu seiner europäischen Öffnung bei? Wir finden: Nein. Die Zielrichtung in Sachen Staatsbürgerschaft kann nur Europa sein. Die Sammlung von Staatsbürgerschaften seitens einzelner BürgerInnen führt in diesem Anliegen keinen einzigen Schritt weiter. Uns erscheint das Projekt ‚Doppelte Staatsbürgerschaft‘ vergangenheitsbezogen, nicht zukunftsträchtig. Es stiftet vielmehr bereits jetzt Unmut und heillose Verwirrung. Wir raten dringend zu Besonnenheit und zu selbstständigem Denken, jenseits der Wegmarken, die die Rechtsparteien zu setzen versuchen. Hierfür tragen vor allem die Regierungsparteien Verantwortung.“

Von: mk

Bezirk: Bozen