Von: APA/AFP/Reuters
Im Zuge der neu aufgeflammten Spannungen zwischen Indien und Pakistan hat die Regierung in Neu-Delhi den Luftraum für pakistanische Fluggesellschaften gesperrt. Man reagiere damit auf das entsprechende Verbot Pakistans, teilte die indische Regierung am Mittwoch mit. Die Maßnahme gelte ab sofort bis zum 23. Mai. Zuvor hatte die Regierung in Islamabad dem Erzfeind vorgeworfen, in den kommenden 24 bis 36 Stunden einen Militärangriff zu planen.
Pakistans Informationsminister Attaullah Tarar berief sich auf dem Kurznachrichtendienst X auf “glaubwürdige Geheimdienstinformationen”. Eine Stellungnahme Indiens dazu lag bis zum späten Abend nicht vor. Der indische Premier Narendra Modi hatte seiner Armee zuvor “operative Freiheit” in der umstrittenen Region Kaschmir gegeben.
Der jüngste Streit zwischen den beiden atomar bewaffneten Regionalmächten wurde durch einen Anschlag am 22. April im indischen Teil Kaschmirs ausgelöst. Dabei wurden 26 Touristen getötet. Nach indischen Angaben waren zwei der drei Angreifer pakistanische Staatsbürger. Es habe sich um “Terroristen” gehandelt, die einen gewaltsamen Aufstand in Kaschmir vorantreiben wollten. Pakistan hat jede Verwicklung verneint und eine unabhängige Untersuchung gefordert.
Die Region im nördlichen Himalaya ist seit der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 geteilt. Beide Länder beanspruchen Kaschmir für sich und führten bereits zwei Kriege um das Gebiet. Seit dem Anschlag liefern sich Soldaten beider Seiten Schusswechsel im Grenzgebiet. Die Spannung zwischen den beiden Atommächten ist gefährlich hoch. Pakistan droht, auf jede Aggression Indiens zu reagieren.
Rubio telefonierte mit Spitzenvertretern der Konfliktparteien
Die eskalierende Lage rief indes auch die USA auf den Plan. Außenminister Marco Rubio telefonierte nach Angaben seines Ministeriums mit dem indischen Chefdiplomaten Subrahmanyam Jaishankar. Er ließ danach mitteilen, dass er Indien zu einer Verringerung der Spannungen mit Pakistan und einer Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in der Region ermutigt habe. In einem Gespräch mit dem pakistanischen Regierungschef Shehbaz Sharif habe er die Behörden des Landes aufgerufen, bei den Untersuchungen des Anschlags auf die indischen Touristen zu kooperieren und den direkten Kontakt zur Regierung in Neu-Delhi wiederherzustellen.
Druck auf Premier Modi
“Viele Inder fordern Vergeltungsmaßnahmen gegen Pakistan”, sagt Praveen Donthi von der Denkfabrik International Crisis Group (ICG). Zudem stehe die Regierung in der Kritik, unfähig zu sein, die Zivilbevölkerung zu schützen. “Die Inder haben sofort mit einer Eskalation gegenüber Pakistan begonnen”, beobachtet Mélissa Levaillant vom Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR). “Aber was genau wollen die Inder eigentlich? Das ist nicht ganz klar, vor allem weil die pakistanische Unterstützung für terroristische Gruppen doch stark zurückgegangen ist.”
Präzedenzfall von 2019
Die aktuelle Situation erinnert an 2019, als in Pulwama im indischen Teil Kaschmirs bei einem Anschlag 40 indische Paramilitärs getötet wurden. Die Verantwortung dafür übernahm Jaish-e-Mohammed (JeM), eine pakistanische Islamistengruppe, die angeblich Verbindungen zum pakistanischen Auslandsgeheimdienst hat. Indien flog daraufhin zum ersten Mal seit dem Krieg von 1971 Luftangriffe gegen das Nachbarland. Pakistan schoss ein indisches Flugzeug ab und nahm einen Piloten gefangen.
Zweifel an USA als Vermittler
“Damals wurde die Lage schließlich auch dank des diplomatischen Drucks durch Washington entschärft”, sagt Analyst Donthi. Ob sich die US-Regierung auch heute derart einsetzen würde, ist fraglich. “Die USA haben mit der Ukraine, Gaza und dem Atomabkommen mit dem Iran genug zu tun, was Peking eine Chance bieten könnte, sich einzumischen”, befürchtet Colin Clarke vom Soufan Center, einer Denkfabrik in New York. “Aber angesichts der engen Beziehungen Chinas zu Pakistan ist es wenig wahrscheinlich, dass Indien China als objektiven Vermittler sieht.”
Mit der Regierung von US-Präsident Donald Trump “besteht die Gefahr, dass sich die USA weniger engagieren”, sagt auch Levaillant. “Ihre Beziehung zu Pakistan hat sich verschlechtert, und Islamabad ist kein strategischer Trumpf mehr im Umgang mit den Taliban in Afghanistan.”
Entwicklung des Konflikts völlig offen
Wie sich der Konflikt entwickeln wird, ist den Experten zufolge völlig offen. “Es ist unklar, ob Indien militärisch gegen seinen Nachbarn vorgehen wird”, sagt Donthi. Noch halte der Waffenstillstand an der Demarkationslinie, die beide Länder trennt. “Aber Neu-Delhi könnte sich zu einem Angriff entschließen, vor allem, wenn es sich durch die weltweite Unterstützung nach dem Anschlag ermutigt fühlt.”
Levaillant hält es für “wahrscheinlich, dass beide Armeen Truppen zusammenziehen werden. Aber wir stehen noch ganz am Anfang der Krise, und es gibt noch viele Unbekannte”. Eine Ungewissheit, die nicht gerade beruhigend ist: “Manchmal, vor allem zwischen langjährigen Gegnern, bekommt die Trägheit die Oberhand (…) und macht die Situation viel gefährlicher”, warnt Clarke. Zumal beide Länder Atombomben besitzen. Eigentlich ist deren Einsatz seit 1945 tabu, aber der russische Präsident Wladimir Putin drohte im Krieg gegen die Ukraine seit 2022 immer wieder damit.
“Es gibt einen enthemmten globalen Kontext, der zeigt, dass sich die roten Linien beim Thema Atomwaffen tatsächlich verschieben”, stellt Levaillant fest. Im konkreten Fall “ist das Eskalationsmanagement riskant, da die pakistanische Nukleardoktrin sehr unklar ist”. Die Inder könnten jedoch versuchen, “diese Doktrin auf die Probe zu stellen und zu zeigen, dass sie sich ein Stück Territorium aneignen können, ohne dass die Pakistaner zurückschlagen”.
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