Von: APA/Reuters/dpa
Israel hat am Dienstag seine Angriffe im Norden und Süden des Gazastreifens mit Kampfflugzeugen und Panzern massiv ausgeweitet. Dabei wurden nach Angaben von Anrainern und örtlichen Gesundheitsbehörden ganze Häusergruppen zerstört und mindestens 20 Menschen getötet. Das israelische Militär tötete palästinensischen Angaben zufolge allein sieben Menschen in der Nähe eines Verteilzentrums für humanitäre Hilfe im Gazastreifen.
Die Palästinenser hätten in der Nähe eines Zentrums der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) im Zentrum des Gebiets auf Hilfsgüter gewartet, hieß es aus Kreisen der von der palästinensischen Terrororganisation Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde. Laut einem Bericht der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA feuerten israelische Soldaten Schüsse auf die Wartenden ab.
Israels Armee sagte auf Anfrage, Soldaten hätten in der Nacht in der Gegend Warnschüsse abgegeben, um Verdächtige, die sich ihnen genähert hätten, auf Distanz zu halten. Die Warnschüsse seien aber nicht innerhalb des Verteilzentrums abgegeben worden, hieß es. Das Militär habe derzeit keine Informationen über Verletzte. Der Vorfall werde geprüft.
Mindestens 20 Tote
WAFA meldete unter Berufung auf medizinische Kreise insgesamt mindestens 20 getötete Palästinenser bei israelischen Angriffen seit dem Morgen. Das israelische Militär rief erneut zu Evakuierungen auf, woraufhin Tausende von Palästinensern erneut die Flucht ergriffen. Augenzeugen zufolge stießen israelische Panzer in östliche Stadtteile von Gaza-Stadt sowie in Khan Younis und Rafah im Süden vor.
Israels Armee teilte mit, sie setze ihre Einsätze gegen Terrororganisationen im Gazastreifen fort. Am Montag habe die israelische Luftwaffe mehr als 140 Ziele im Gazastreifen angegriffen. “Zu den getroffenen Zielen gehörten Terroristen, militärische Einrichtungen, Abschussrampen für Panzerabwehrraketen, die eine Bedrohung für die Soldaten darstellten, Waffenlager und weitere terroristische Infrastruktur”, hieß es in einer Mitteilung des israelischen Militärs. Die Angaben beider Seiten lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren.
Israels Militär ändert nach Todesfällen Vorgehen bei Hilfszentren
Das israelische Militär kündigte unterdessen an, seine Vorgehensweise im Umfeld von Verteilzentren für humanitäre Hilfsgüter neu zu organisieren, nachdem es zu einer Reihe von Vorfällen gekommen war, bei denen Soldaten auf Menschenmengen geschossen hatten, die ihrer Meinung nach eine Bedrohung für die Soldaten darstellten. Dabei kamen laut Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden Hunderte Palästinenser ums Leben.
Die israelische Armee gab an, sie habe die von der umstrittenen Stiftung GHF betriebenen Verteilungszentren umzäunt, zusätzliche Zugangswege geöffnet und Barrieren errichtet, um “Spannungen mit der Bevölkerung” zu reduzieren. Die Armee bestätigte auf Anfrage Medienberichte, wonach das Militär wegen mehrerer Vorfälle ermittelt, bei denen Zivilisten Opfer von israelischem Beschuss nahe den Zentren wurden.
Soldaten hätten in der Vergangenheit scharf geschossen, wenn sich Menschen außerhalb der vorgesehenen Routen oder außerhalb der Öffnungszeiten den Verteilzentren genähert und für die Soldaten eine Bedrohung dargestellt hätten, schrieb die “Times of Israel”. Dabei seien “wenige Menschen” getötet worden, hieß es unter Berufung auf Israels Armee. In drei Fällen gab das Militär demnach auch Artilleriefeuer ab. Dabei habe es 30 bis 40 Opfer gegeben, darunter “mehrere Tote”. Die Armee sprach demnach von einem “ungenauen Artilleriebeschuss”, der nicht als Angriff auf Zivilisten gedacht gewesen sei.
Palästinenser: Rund 550 Tote nahe den Verteilstellen
Palästinensischen Angaben zufolge sollen in der Umgebung der Verteilstellen der GHF seit deren Eröffnung Ende Mai rund 550 Palästinenser getötet worden sein. Die von Behörden in Gaza veröffentlichten Zahlen zu Opfern bei den Zentren seien übertrieben, zitierte die “Times of Israel” die israelische Armee. Die Angaben beider Seiten lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren.
Israel hatte die GHF-Zentren nach einer wochenlangen Totalblockade des Gazastreifens ins Spiel gebracht, um die Verteilung von Hilfsgütern durch die UNO und andere Organisationen zu umgehen. Nach israelischer Lesart wird der Großteil der Hilfen, die durch diese Organisationen in das Küstengebiet kommen, von der Hamas gestohlen. Beweise für einen systematischen Raub dieser Hilfsgüter durch die Terrororganisation gibt es allerdings keine.
Netanyahu-Vertrauter Dermer in Washington
Die Angriffe erfolgten, während sich Ron Dermer, ein enger Vertrauter von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, zu Gesprächen in Washington aufhielt. Einer Sprecherin von US-Präsident Donald Trump zufolge trifft Dermer dort Regierungsvertreter. Einem israelischen Regierungsvertreter zufolge soll er die Möglichkeiten für einen Waffenstillstand und regionale diplomatische Abkommen ausloten. Netanyahu selbst wird nächste Woche in Washington erwartet und soll Trump am 7. Juli treffen.
Die Verhandlungen über eine Verlängerung eines sechswöchigen Waffenstillstands von Anfang des Jahres sind seit Längerem festgefahren. Die Vermittler Katar und Ägypten haben palästinensischen und ägyptischen Kreisen zufolge ihre Kontakte zu beiden Seiten intensiviert, ein Datum für eine neue Verhandlungsrunde gibt es jedoch noch nicht. Die radikal-islamische Hamas will die verbliebenen Geiseln nur im Rahmen eines Abkommens freilassen, das den Krieg beendet. Israel fordert die Freilassung der Geiseln, will den Krieg aber erst dann für beendet erklären, wenn die Hamas entwaffnet ist und nicht mehr über den Gazastreifen herrscht.
Der Krieg begann am 7. Oktober 2023 mit einem Überfall von Hamas-Kämpfern auf Israel, bei dem 1.200 Menschen getötet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Bei der anschließenden Militäroffensive Israels wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 56.000 Palästinenser getötet. Fast die gesamte Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen wurde vertrieben. Die humanitäre Lage in dem Küstenstreifen wird als katastrophal beschrieben.
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