Flüchtliger Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek

Journalisten spüren Marsalek in Moskau auf

Dienstag, 16. September 2025 | 16:31 Uhr

Von: APA/AFP

Journalisten unter anderem von “Standard”, “Spiegel” und ZDF sowie der russischen Plattform The Insider und des US-Senders PBS haben den flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek in Moskau aufgespürt. Der 45-Jährige arbeitete dort offenbar für den russischen Geheimdienst, berichteten die Medien am Dienstag. Der Österreicher Marsalek befindet sich seit der Insolvenz des Zahlungsunternehmens Wirecard im Juni 2020 auf der Flucht und wird international gesucht.

Die Medien haben demnach eine aktuelle Handynummer des Ex-Managers. Sie veröffentlichten am Dienstag auch zahlreiche Fotos des gebürtigen Wieners – etwa in Krawatte und Anzug auf dem Weg von der U-Bahn in die Zentrale des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau. Zwischen Jänner und November 2024 sei sein Handy 304-mal in der Nähe der FSB-Zentrale in Moskau Lubjanka erfasst worden, berichtete das ZDF. Quellen in der russischen Hauptstadt hätten bestätigt, dass er für den russischen Dienst tätig sei.

Sechs Scheinidentitäten

Den Recherchen zufolge nutzt Marsalek mehrere Scheinidentitäten, darunter auch einen russischen Pass. “Im Dienst des russischen Geheimdiensts FSB dürfte der ehemalige Wirecard-Manager mittlerweile eine weitere, komplett neue Identität angenommen haben: als in Lettland geborener Russe namens Alexander Nelidow. Es ist eine von inzwischen mindestens sechs Identitäten, die Marsalek nach seiner Flucht genutzt haben soll, um sein Leben zu verschleiern”, schreibt der “Standard” (online).

Nelidow scheine inzwischen zur zentralen Tarnidentität des Österreichers geworden zu sein. Unter diesem Namen soll er in der Ukraine im Einsatz gewesen sein, Firmen in Moskau gegründet haben und sich in Russland frei bewegen – auch mit E-Scooter in Moskau.

Möglicher Kampf in der Ukraine

Datenanalysen belegten Reisen von Marsalek ins Kriegsgebiet in der Ostukraine und ins russisch besetzte Mariupol. Er soll gemäß geleakter Daten mindestens fünfmal auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim gefahren sein. Geortet wurde sein Smartphone im russischen Grenzort Mitrofanowka, nur wenige Kilometer von der Ostukraine entfernt. Weitere Daten zeigen einen Grenzübertritt von Mariupol auf die Krim im November 2023. Fotos, die Marsalek in Militärmontur mit dem russischen Kriegssymbol “Z” zeigen, deuten zudem auf einen möglichen Kampfeinsatz hin.

Die den Journalisten vorliegenden Fotos zeigen Marsalek häufig in Begleitung der 41-jährigen Übersetzerin Tatiana S. Der Ex-Manager sei regelmäßig in ihrem Apartment im Zentrum Moskaus, berichteten die Medien. S. soll selbst Agentin sein und drei Smartphones österreichischer Spitzenbeamter in Istanbul übernommen und zum FSB nach Moskau transportiert haben. Das geht aus Flugdaten und sichergestellten Chats von Marsalek, die dem Rechercheteam vorliegen, hervor.

Einer der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands

Geschnappt werden konnte Marsalek bisher nicht. Die deutschen Behörden haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben und ein Rechtshilfeersuchen an Moskau gestellt. Offiziell bestreiten die russischen Stellen, seinen Aufenthaltsort zu kennen.

Nach dem Abbruch des Gymnasiums in Korneuburg arbeitete Marsalek seit Jänner 2000 bei Wirecard und war seit 2010 Mitglied des Vorstands. Dabei war er vor allem für das Asien-Geschäft verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt unter anderem wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, des besonders schweren Falls der Untreue sowie weiterer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte gegen ihn. Die Insolvenz des ehemaligen Dax-Konzerns gilt als einer der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik Deutschland.

Schon im März 2024 hatten der “Spiegel”, das ZDF, der “Standard” und die russische Plattform The Insider unter anderem unter Berufung auf westliche Geheimdienstinformationen berichtet, dass Marsalek offenbar seit Jahren für russische Geheimdienste aktiv gewesen ist.

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