Beschlussanträge

Landtag befasst sich mit Hilfsgeldern für Straftäter und Wehrpflicht

Mittwoch, 11. Januar 2023 | 14:37 Uhr

Bozen – Der Südtiroler Landtag hat sich heute unter anderem mit Hilfsgeldern für Straftäter befasst: Mit dem Ziel Kleinkriminalität, Gewaltverbrechen und Drogenhandel Einhalt zu gebieten – allesamt Straftaten, die anständigen Bürgern Sorgen bereiten und zu einem Klima der Unsicherheit beitragen –, möge der Landtag die Landesregierung auffordern, konkrete Lösungen zu erdenken, die in der Lage sind, auf die Unterstützungsmaßnahmen einzuwirken, indem dafür gesorgt wird, dass Personen, die gesellschaftlich besorgniserregende Straftaten begehen, keinen Zugang zu Landesbeiträgen erhalten, oder dass ihnen diese gestrichen werden können, verlangte der Abgeordnete Marco Galateo im Beschlussantrag Nr. 649/22. Der Antrag war noch am 06.12.2022 eingebracht worden.

Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) bedankte sich beim Abg. Galateo, dass er über das “soziale Mindesteinkommen” (reddito minimo di inserimento) gesprochen habe – eine Ergänzungsmaßnahme zum Bürgereinkommen, das häufig kritisiert werde. Das soziale Mindesteinkommen sei im Vergleich zum Bürgereinkommen einfacher erhältlich. Für die Sicherstellung des “Gefühls der Sicherheit” sei jedoch die Regierung in Rom zuständig; durch das Inkrafttreten der Cartabia-Reform, mit der die Verfolgung zahlreicher Straftaten von Amts wegen abgeschafft worden sei, habe sich die Unsicherheit noch verstärkt. Beim sozialen Mindesteinkommen sei nun die Einführung von mehr Kontrollen und der Ausschluss von Personen geplant, die weniger als zehn Jahre im Land seien; damit sei er nicht einverstanden. Er finde es seltsam, dass die Lega nie darauf hingewiesen habe, sondern sich stets auf die Kritik am Bürgereinkommen konzentriere.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) bemerkte, dass der Entwurf des Abg. Galateo auf Abschreckung setze, das befürworte er in bestimmten Ausmaß. Auch in Südtirol gebe es immer mehr Straftaten, wenn man diese aufzeige würde, würde man in eine bestimmte Ecke gestellt. Doch die Straftäter seien zuhauf Ausländer. Was passiere, wenn man denjenigen, die Straftäter seien, die Beiträge nehme? Wenn sie dann auf der Straße seien, würden sie erst recht kriminell werden. Deshalb gelte es, für konsequente Abschiebungen von ausländischen Straftätern zu sorgen.

Paul Köllensperger (Team K) erklärte, dass es in Bozen und Meran ein gewisses Kriminalitätsproblem gebe, das mit Jugendbanden, Ein- und Zuwanderern zusammenhänge. Die Lösung sei aber nicht die durch den Beschlussantrag vorgegebene, durch diese Methode würde eine Diskriminierung gefördert und man unterstütze eine Kriminalisierung. Die richtige Methode sei viel eher eine bessere Integration:  mehr Bildung, mehr Begleitung, mehr Mitnahme.

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) wandte ein, dass die vom Antrag erwähnten Maßnahmen bereits in der Fornero-Reform berücksichtigt seien. Diese Reform sei aber vom Verfassungsgericht gekippt worden. Die Unterstützungsmaßnahmen seien meist für eine ganze Familie gedacht, die man aber nicht für die Straftat eines Einzelnen mitverantwortlich machen könne. Bestimmte Unterstützungsmaßnahmen seien auch hilfreich im Sinne der Wiedereingliederung von Straftätern.

Massimo Bessone (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) dankte Galateo für den Antrag, der eines der drängendsten Probleme Italiens betreffe. Die Lega habe bereits entsprechende Änderungen bei der Wohnbauförderung vorgeschlagen. Er kündigte seine Zustimmung zum Antrag an, der beschließende Teil sei jedoch zu präzisieren. Es müsse um Straftäter gehen, egal ob Ausländer oder nicht.

Die Bestrafung von Straftätern sei Sache des Gerichts, meinte Magdalena Amhof (SVP), das Gesetz sehe Strafen und Nebenstrafen vor. Der Landtag sei nicht dazu da, das Strafrecht zu erweitern. Wer seine Strafe abgebüßt habe, solle nicht noch einmal bestraft werden.

Auch Landesrätin Waltraud Deeg betonte, dass der Landtag nicht für das Strafrecht zuständig sei. Er könne nicht anstelle des Staates neue Nebenstrafen einführen. Es gebe in der Rechtslehre verschiedene Ansätze über den Sinn des Strafens. Am wichtigsten scheine ihr die Gewaltprävention, hier könne das Land tätig werden, ohne seine Kompetenzen zu überschreiten. Deeg mahnte, keine Sippenhaftung einzuführen, das sei gegen das Prinzip des Rechtsstaats.

Marco Galateo (Fratelli d’Italia) kritisierte, dass man seinen Antrag nicht gelesen habe. Er schlage nicht vor, jemandem die Wohnung zu nehmen oder die Angehörigen zu bestrafen. In dem Antrag gehe es um Landesbeiträge. Wer mit Drogen handle oder Gewaltverbrechen begehe, dürfe bei den Beiträgen nicht auf die gleiche Ebene wie unbescholtene Bürger gestellt werden. Der Antrag sei nicht detailliert, die Landesregierung könne entscheiden, welche Maßnahmen angemessen seien. Der Antrag wurde mit zehn Ja und 21 Nein abgelehnt.

Beschlussantrag Nr. 651/22 Nein zu (jeglicher) Wehrpflicht in Südtirol! (eingebracht von den Abg. Knoll und Atz Tammerle am 16.12.2022): Der Landtag möge sich gegen jedwede Form einer Wiedereinführung der Wehrpflicht in Italien aussprechen sowie die Landesregierung beauftragen, für den Fall, dass die italienische Regierung die Wehrpflicht dennoch einführt, für Südtirol eine Ausnahmeregelung zu erwirken, damit kein einziger Südtiroler gegen seinen Willen zum italienischen Heer einberufen wird und es nicht zur Wiederinbetriebnahme bzw. zum Neubau von Kasernen in Südtirol kommt. Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, damit die möglichen Vergünstigungen für die Ableistung des 40-tägigen Wehrdienstes – welche zu einer Diskriminierung für all jene führen würden, die keinen Dienst an der Waffe für Italien leisten wollen – in Südtirol nicht greifen.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) ergänzte, dass eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht sowohl junge Männer als auch junge Frauen betreffen könnte. Er erinnere sich noch gut daran, dass er zu den ersten Glücklichen gehört habe, die nicht mehr zum Militärdienst eingezogen wurden. Als 18-Jähriger habe er mit anderen Jugendlichen die Aktion “Kein Soldat für diesen Staat” initiiert. Wenn jemand zum Heer gehen wolle, dann soll er das auch können, das sei durch das Berufsheer auch möglich. Er frage sich, ob es zumutbar sei, dass man als Südtiroler die Liebe zum italienischen Staat lernen müsse, wie es Senatspräsident Ignazio La Russa formuliert habe. Aufgrund der Remilitarisierung in Europa sei es möglich, dass in Italien die Militärdienstpflicht wieder eingeführt werde. In Freiwilligenorganisationen in Südtirol leisteten viele junge Menschen tagtäglich ihren Einsatz für die Allgemeinheit; dies werde ihnen aufgrund der Vorgaben aus Rom immer schwerer gemacht. Die Remilitarisierung Europas sei eine möglicherweise gefährliche Entwicklung.

Brigitte Foppa (Grüne) erinnerte daran, dass die Grünen die Friedenstaube im Logo hätten. Die Grünen teilten die Kritik des Abg. Knoll am verpflichtenden Wehrdienst und verwies auf die vielen Männer in Italien, die den Militärdienst verweigert hätten und deshalb auch Unannehmlichkeiten erfahren mussten. Das Ansinnen, wieder zu Zeiten zurückzukehren, die eigentlich überholt seien, könne sie nicht teilen. Die Grünen folgten dem Antrag nicht, wenn es um die Thematik von Italien als ausländischem Staat gehe. Deshalb beantrage sie eine Abstimmung getrennt nach Punkten.

Es scheine ihm, so Marco Galateo (Fratelli d’Italia), er habe ein Déjà-vu: Senatspräsident La Russa habe keinen formellen Vorschlag in diesem Sinne gemacht, er hatte nur an einen früheren Vorschlag für eine dreiwöchige “Mini-Naja” erinnert, dabei sei es um ein Zugehörigkeitsgefühl gegangen. Es habe auch den Vorschlag einer Gruppe von Senatoren für eine freiwillige 40-tägige “Naja” gegeben, die ähnlich einem Zivildienst sei und den Bürgersinn forcieren sollte. Es wäre dies ein Modell, das dem der Schützen sehr ähnlich sei und das nützlich sei, um gemeinsame Ideen und Traditionen weiterzubringen – dagegen könne der Abg. Knoll nicht sein. In Zeiten, in denen vor den Toren Europas Krieg geführt werde, könne man nicht in diesen Tönen, wie sie Knoll anschlage, sprechen. Es sei dies ungerechtfertigte Panikmache in der deutschsprachigen Bevölkerung.

Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) unterstrich, sie spreche auch als Mutter und sie wolle niemals, dass ihr Sohn oder schon gar nicht ihre Tochter für einen Staat, der nicht der ihre sei, in den Krieg ziehen müsse. Es gehe darum, dass man auch nicht Italianisiert werden wolle. Gegen das sei klar und deutlich nein zu sagen. Man habe gedacht, dass man solche Diskussionen nicht mehr führen müsse. Es sei nachvollziehbar, dass die Staaten nervös würden, wenn in der Ukraine Krieg geführt werde. Die Diskussion sei krass: Es werde immer von Frieden und vom geeinten Europa gesprochen, dass man allen gegenüber solidarisch sein solle; im gleichen Moment werde darüber gesprochen, dass man in den Krieg ziehen müsse und andere töten.

Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) erinnerte daran, dass sich die Freiheitlichen schon mehrmals für eine Landesverteidigung ausgesprochen hätten. Die Thematiken dürften nicht vermischt werden. Punkt 2 sei wichtig, denn niemand solle gegen seinen Willen eingezogen werden. Aber Punkt 1 sehe er anders; sollte die Autonomie auf ein neues Level gebracht werden und dann eine Landesverteidigung für angebracht erachtet werden, dann wäre er damit einverstanden. Es wäre gut, wenn man einmal in seinem Leben – nicht unbedingt als Jugendlicher, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt – für eine bestimmte Zeit für die Gesellschaft arbeiten sollte, eventuell auch die Tätigkeit in sozialen Einrichtungen.

Massimo Bessone (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) merkte an, dass er den Einsatz des Abg. Knoll für seine Ideale bewundere. Andererseits wirke es so, als sei mancher von Knolls Vorschlägen politische Propaganda. Er erinnere sich gerne an seine Zeit beim Militär und habe sich während dieser gut unterhalten und einiges gelernt. Er möge sowohl die italienische als auch die Südtiroler Flagge. Man müsse dafür arbeiten, die Menschen zu vereinen, nicht zu trennen.

Ulli Mair (Freiheitliche) erklärte, dass gerade seit dem Ukrainekrieg aufgefallen sei, dass sämtliche europäischen Berufsheere am Boden seien. Sie sei nie ein großer Fan davon gewesen, dass sich Europa so dagegen gesträubt habe, ein gemeinsames Berufsheer einzuführen. Vor über einem Jahr sei ein Antrag der Freiheitlichen zu einem freiwilligen Landeszivildienst angenommen worden; sie frage sich, ob diesbezüglich etwas passiert sei.

Carlo Vettori (Forza Italia Alto Adige Südtirol) kritisierte, dass in diesem Fall über Dinge diskutiert werde, die nicht Realität sind, dies sei Zeitverschwendung. Es gebe keine Militärpflicht und auch keinen freiwilligen Militärdienst. Was sei andererseits mit dem Schützenbund? Sollten den Schützen ihre Waffen genommen werden?

Der Vorschlag von Senatspräsident La Russa entspringe einem Vorschlag aus den Reihen der Alpini, bemerkte Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten). Denn die Alpini würden seit der Abschaffung des Militärdienstes immer weniger. Militärpflicht gebe es aber keine, das sei auch nicht vorgesehen, auch weil es enorme Kosten mit sich brächte.

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) erklärte, er finde die Diskussion interessant, weil sie Einblicke in das Thermometer des gesunden Menschenverstands gebe. Aus den Beiträgen gehe hervor, dass die Atmosphäre des Krieges bereits verinnerlicht worden sei. Denn wäre das nicht der Fall, hätte man nur vom Zivildienst gesprochen, für den viele freie Plätze zur Verfügung stünden, oder auch vom zivilen Friedenskorps. Dieses sei eine Bozner Erfindung, initiiert von der Langer-Stiftung und finanziert von der EU. Es gebe mittlerweile mehr als 90 Projekte für 500 junge Menschen in verschiedenen Krisen- und Konfliktgebieten. Der Abgeordnete unterstrich dann seine Zustimmung zu Punkt 1 des Beschlussantrags, wies aber auch darauf hin, dass der Antrag nicht gegen den Krieg sei, sondern lediglich auf die Problematik des “Kampfes für den richtigen Staat” abziele. Denn die Abg. Atz Tammerle habe davon gesprochen, dass sie ihre Kinder nicht für den falschen Staat in den Krieg schicken wolle. Möchte sie das für den richtigen tun? Atz Tammerle antwortete, dass sie es für keinen Staat tun möchte.

Magdalena Amhof (SVP) unterstrich, dass auch die SVP dem ersten Teil des beschließenden Teils zustimmen könne, den beiden anderen Punkten werde man nicht zustimmen, da es Was-wäre-wenn-Punkte wären. Man werde sich dann darüber unterhalten, wenn es diesbezüglich konkrete Entscheidungen gegeben habe.

Landeshauptmann Arno Kompatscher sagte, er gehe davon aus, dass er nicht der einzige in der Aula sei, der der Meinung sei, dass die Abschaffung des allgemeinen Militärdienstes eine vernünftige Entscheidung gewesen sei; dieser sei teuer gewesen und habe wenig gebracht. Deshalb stimme die Landesregierung Punkt 1 zu, den anderen Punkten sowie den Prämissen jedoch nicht. Alles andere stelle sich nicht bzw. stehe nicht zur Debatte. Wohl aber, so Kompatscher an die Abg. Mair gerichtet, sei die Landesregierung für die Ausweitung des Zivildienstes, entsprechende Initiativen seien gesetzt worden. Die Mittel im Landeshaushalt dafür seien nicht gekürzt worden.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) ergänzte, dass die Debatte gezeigt habe, dass die Diskussion um den Militärdienst noch immer ethnisch aufgeladen sei. Das Problem der ethnischen Minderheiten, die in einem anderen Land den Militärdienst leisten müssten bzw. sollten, sei nicht allein ein Südtiroler Problem. Ethnische Minderheiten seien oft nur Kanonenfutter. Es gebe auch den Fall, dass ethnische Minderheiten nicht zum Wehrdienst eingezogen würden.

Brigitte Foppa (Grüne) erkundigte sich, ob der Titel des Beschlussantrags geändert werden könne und Südtirol daraus gestrichen werde, sodass der Titel “Nein zu jeglicher Wehrpflicht” wäre. Knoll stimmte dem zu.

Die Prämissen des Antrags und die Punkte zwei und drei wurden mehrheitlich abgelehnt; Punkt eins wurde mit 26 Ja, vier Nein und zwei Enthaltungen angenommen.

Von: mk

Bezirk: Bozen