Von: mk
Bozen – Der Landtag hat heute mit der Debatte zu den drei Gesetzentwürfen zum Haushalt begonnen. Brigitte Foppa (Grüne) hielt eine Rückschau auf das vergangene Jahr und stellte fest, dass viele Fäden gerissen seien: Nervosität, Angst, Spaltung der Gesellschaft.
Nervosität und Orientierungslosigkeit kennzeichneten auch die Politik, es sei eine Kleinkriegerei im Gange, und eine Kleinkrämerei. Foppa ordnete ihre Rede nach vier Schlüsselbegriffen dieser Zeit: Nachhaltigkeit, Verzicht, soziale Achtsamkeit, Pandemie.
Die Implementierung der Nachhaltigkeit müsse zuerst auf Bildung aufbauen, denn diese sei die treibende Kraft für Veränderungen. Sie schätze es, wenn die Landesregierung die Nachhaltigkeit betone, aber der Begriff werde inflationär verwendet und damit schwammig. Nachhaltigkeit werde auch die Basis für den nächsten Wahlkampf des Landeshauptmanns sein, und das sei gut so. Nachhaltigkeit müsse ein harmonisches Dreieck aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem sein, sie brauche eine interdisziplinäre Sichtweise. Das gelte auch für den Haushalt: Zuerst müssten die laufenden Kosten von Sanität, Bildung, Sozialem und Verwaltung kommen, dann der Rest, die Investitionen.
Die Erderwärmung sei nicht eine beiläufige Begleiterscheinung unserer Lebensweise, sie sei deren logische Folge. Auch der Landeshauptmann habe erkannt, dass es ohne Verzicht nicht gehen werde, dass man dem Klimawandel mit rein technischen Mitteln nicht begegnen könne. Die Landwirtschaft mache ein Fünftel unserer Emissionen aus, werde aber im Klimaplan nicht berücksichtigt, der Tourismus sei für zehn Prozent verantwortlich. Zu Achten sei auch auf Mobilität, Wohnen und Ernährung. “Verzicht ist nicht zwingend mit Verlust gleichzusetzen. Wir können auch gewinnen, etwa an Lebensqualität. Der jetzige Augenblick könnte uns dazu führen, zu überlegen, wo wir mit unserem Modell zu weit gegangen sind. Wenn wir’s richtig machen, kommen wir vielleicht auch weg vom Stress und Druck der Leistungs- und Konsumgesellschaft. Vielleicht wird unser Leben tatsächlich so, wie unsere Vordenker Langer und Glauber imaginierten: Langsamer, tiefer, zarter – und schöner.”
“Eine echte Klimawende gibt es nur mit sozialer Gerechtigkeit”, meinte Foppa, “Südtirol ist ein reiches Land, aber es ist nicht voller reicher Menschen.” Fast ein Fünftel der Familien sei verarmungsgefährdet, die Suizidrate sei hoch, Frauen seien mehrfachbelastet. Der Pflegebedarf steige, die Lohndebatte in diesem Sektor sei mehr als berechtigt. Foppa fragte, warum um jede Aufbesserung jahrelang gerungen werden müsse.
Die Pandemie habe in das Leben aller eingegriffen. Die anfängliche Grundsolidarität sei nun gebrochen, die Gesellschaft sei gespalten. Die forcierte Isolierung habe tiefe Spuren hinterlassen und tiefe Bedürfnisse offengelegt, vielleicht ein Grund dafür, dass wir andere Meinungen nicht mehr vertragen. Die Politik sei in dieser Zeit vor allem auf die Exekutive beschränkt worden. Die Grünen hätten es unterlassen, aus dem Dissens zu den Maßnahmen politisches Kapital zu schlagen. Man sei zu wenig auf die Zweifel und Ängste eingegangen: “Empathie, Augenhöhe, Zuhören hätte auch in diesem Fall mehr gebracht als Verkünden, Dekretieren und Verordnen.”
Hanspeter Staffler (Grüne) betonte, dass in diesen Tagen die Politik des kommenden Jahres festgelegt werde. Daher sei es wichtig, nachzuschauen, welche Beträge den Ankündigungen des Landeshauptmanns entsprächen. 6,4 Mrd. seien ein beachtlicher Haushalt, auch dank der Verhandlungen mit dem Staat. Positiv sehe er auch die leichte Irap-Erhöhung, aber die Wirtschaftsverbände hätten sich bereits gemeldet. Für Familien und Soziales seien eher spärliche Mittel vorgesehen, das Gesundheitsbudget sei gesichert. Einen Löwenanteil bekomme die Mobilität, aber in diesen Beträgen seien auch Straßen und Seilbahnen enthalten. Es sei eine neue Welle der Erschließung des alpinen Raums im Gange, entgegen den Ankündigungen. Stattdessen wäre mehr in die Bahn zu investieren. Statt in Strukturen sollten mehr in Köpfe investiert werden, in Dienste für die Bevölkerung. Stattdessen spare das Land bei den Kollektivverträgen für ihre Mitarbeiter. Für Investitionen werde in Südtirol mehr ausgegeben als im europäischen Schnitt, während man für das Gesundheitspersonal weniger zahle. Es sei eine Umverteilung im Gange, denn der Großteil des Steueraufkommens komme von Lohnabhängigen und Kleinunternehmen.
Der Klimawandel, vor dem Wissenschaftler schon vor 30 Jahren gewarnt hätten, sei jetzt für alle sichtbar. Sie führe auch zu Migrationsströmen. Man schiebe die Schuld gern auf andere ab, auf China oder Brasilien, aber man dürfe sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Man müsse auf allen Ebenen aktiv werden, vom Staat bis zur Gemeinde. Wenn man von Plänen spreche, aber keine konkreten Maßnahmen vorsehe, müssten unsere Kinder die Zeche zahlen. Der Landeshauptmann habe in seiner Rede gesagt, dass es auch Verzicht geben müsse. Südtirol habe die Mittel, einen wirklichen Klimaschutz anzugehen. Es brauche eine strengere Politik zum Artenschutz, z.B. durch Eindämmung der Güllewirtschaft.
Bei Bildung und Sanität gebe es große Konfusion. In beiden Bereichen gebe es großen Personalbedarf, aber die Mitarbeiter müssen um jeden Cent kämpfen, während man für Seilbahnen Geld habe. Er frage sich, ob die Absicht bestehe, die öffentlichen Leistungen zu kommerzialisieren. Die nötigen Mittel für die Kollektivvertragsverhandlungen seien in diesem Haushalt nicht vorgesehen. Die Lage sei ernst, aber noch nicht aussichtslos. Das Land habe die Mittel, rechtzeitig einzugreifen.
Staffler kritisierte die vorgesehenen Mittel für Straßeninfrastrukturen, man sollte mehr in die Bahn investieren. Auch mit den neuen alpinen Infrastrukturen sollte Schluss sein, es brauche nicht die neue Schutzhütte, die neue Panoramastraße, auch nicht die Olympiaden und die Weltmeisterschaften. Man sollte auch mit dem Bodenverbrauch durch Tourismus und Handwerk aufhören. Die Landwirtschaft müsse bei der Berechnung der Treibhausgasemissionen berücksichtigt werden. Milch- und Fleischwirtschaft sollten flächenbezogen funktionieren, und das bedeute keinen Zukauf von Futtermitteln. Das Einsparungspotenzial bei Treibhausgasen sei hier enorm. Alle Investitionen sollten einem Klimacheck unterzogen werden, ebenso alle Gesetze. Und alle paar Jahre brauche es einen unabhängigen Monitoringbericht zu den Treibhausgasen. Laut Weltbiodiversitätsbericht stehe man kurz vor dem Kollaps, aber in diesem Haushalt sei wieder eine Krasse Unterfinanzierung des Naturschutzes festzustellen. Es bräuchte rund 200.000 Euro jährlich, um das Bestehende zu retten, weitere 200.000 sollten für den Klimaschutz in anderen Ländern bereitgestellt werden. Die Landwirtschaft müsse biologisch werden, mit einem Abbau der Viehbestände um 50 Prozent. Der Einsatz von Pestiziden sei zu überwachen. Es bräuchte mehrere gezielte Initiativen zu einzelnen Umweltbereichen.
Der Umgang mit der Pandemie sei ein Navigieren auf Sicht gewesen, und die Grünen hätten die Maßnahmen der Landesregierung im Wesentlichen mitgetragen. Rückblickend sehe man, dass die Länder mit gutem Gesundheitssystem die Krise besser gemeistert hätten. Daher werde man diese Entwicklung im Lande genauer verfolgen, denn man müsse mehr in das öffentliche Gesundheitswesen investieren. Man kenne noch nicht genau den Ursprung dieses Virus, das Überspringen von Tieren auf Menschen sei jedoch am plausibelsten. Gerade deshalb sollte man Naturschutz auch als Präventionsmaßnahme in diesem Sinne sehen.
Corona habe sich auch deshalb rasend schnell ausbreiten können, weil die Mobilität heute weltweit stattfinde. Die grenzenlose Mobilität, für die wesentlich der Tourismus gesorgt habe, sei mit ein Grund für die weltweite Verbreitung. Auch das Virus Auto habe die ganze Menschheit durchdrungen, alles sei auf das Auto ausgerichtet, Parkplätze, Arbeitsplätze usw. Südtirol könne nicht in die Autobranche eingreifen, aber es könne seine Förderungspolitik überdenken. Die Pandemie habe auch das soziale Ungleichgewicht in der Welt offengelegt. Die Schere vergrößere sich auch in Südtirol. Die Einkommen der öffentlichen Bediensteten seien an das Niveau der Privatwirtschaft und an jenes in Österreich und Deutschland anzugleichen.
Stellungnahmen von Urzì und Rieder
Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) bezeichnete den Aufruf des Landeshauptmanns zum persönlichen Verzicht als ungewöhnlich, es klinge danach, als wolle die Politik darauf verzichten, die Veränderung zu steuern, und alles der Verantwortung der Bürger überlassen. Urzì kritisierte die neue Bestimmung (Art. 24 im Begleitgesetz), die den Läden die nächtliche Schaufensterbeleuchtung verbiete, das sei auch ein Verzicht auf Sicherheit. Das könne für Völs oder das Ahrntal gutgehen, aber nicht für eine Stadt. Es mache auch nachdenklich, wenn das Land mit der Verdunkelung der Schaufenster das Weltklima retten wolle. Es sei schlimm, wenn man Privatunternehmen – die Steuern für die Werbeschilder zahlten – ihr Verhalten vorschreibe, wenn es auch mit der Sicherheit der Gesellschaft zu tun habe. Im Übrigen seien die Überwachungskameras im Dunkeln nutzlos. Urzì wandte sich gegen eine Politik, die den Privaten Verzicht vorschreibe, er sei für eine freie und offene Gesellschaft. Man habe sich zu sehr an die Corona-Einschränkungen gewöhnt. Während das Land von Nachhaltigkeit rede, verlose die Stadt Bozen einen Porsche statt E-Bikes.
LH Kompatscher habe mehr Vertrauen in die Institutionen gefordert, aber das Vertrauen hänge vom Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft ab. Vertrauen entstehe nicht, wenn man von der SVP nur als Mittel genutzt werde, nicht als Partner auf einem politischen Weg. Das sei mit Forza Italia bei den Europawahlen passiert und auch mit den wechselnden Koalitionspartnern. In Kompatschers Haushaltsrede werde nur eine Partei erwähnt, die SVP, und nicht die Koalition – ein institutioneller Fauxpas. Fratelli d’Italia sei grundsätzlich von den Koalitionsverhandlungen für die Landesregierung ausgeschlossen worden. In Meran habe man auch die Lega ausgeschlossen, während man jemanden zum Gemeinderatspräsidenten mache, der eine Ausstellung zum Befreiungsausschuss Südtirol organisiert habe. Bei ihm schaue man nicht auf die politische Vergangenheit, bei Fratelli d’Italia schon. Wenn Casapound 5 Abgeordnete stellen würde, wären sie heute auch in der Landesregierung, denn das Prinzip sei der Opportunismus. Das habe Kompatscher gezeigt, als er nach einer Regierungssitzung mit der Lega den Bürgermeisterkandidaten Caramaschi unterstützt habe. Bei der Regierungskoalition habe die SVP keine Wahl gehabt, denn die interethnischen Grünen wollte sie nicht, und das Team K hatte keinen Italiener zur Verfügung. Es sei nur klar, dass die SVP die Macht nicht teilen wolle. Sie musste die Lega wählen, nicht aber deren politischen Partner Fratelli d’Italia, der der Lega ungleich mehr Verhandlungsstärke in der Koalition gegeben hätte. Dies alles sage er, weil Kompatscher Vertrauen und gegenseitigen Respekt fordere. Die eben angesprochenen Verhaltensweisen seien aber keine gute Voraussetzung dafür. Die SVP sei nicht mehr jene von früher, sie sei ein verlängerter Arm der Arbeitnehmer geworden, eine sozialdemokratische Partei. Vielleicht werde sie beim nächsten Mal nur mehr 13 Abgeordnete stellen und mit mehr Parteien verhandeln müssen. Wer Loyalität fordere, müsse sie auch dem Koalitionspartner gegenüber beweisen. Wenn Mitterhofer trotz seiner Vergangenheit mit einem einfachen Bekenntnis zur Autonomie Gemeinderatspräsident in Meran werden könne, verweigere man Fratelli d’Italia, die sich schon unzählige Male zur Autonomie bekannt habe, jegliche Zusammenarbeit. Die SVO verfolge immer nur ihre Interessen, das sehe man auch bei den Kandidaturen von Bressa und Boschi.
Kompatscher habe eine Erhöhung der GIS angekündigt, die nichts bringe, obwohl er wisse, dass die Lega italienweit dagegen kämpfe. Diese Steuer auf das Vermögen sei Kommunismus. Damit löse man die Wohnungsnot nicht, das sei reine Demagogie. Im Jänner werde man dagegen auf die Straße gehen, ebenso wegen dem nächtlichen Beleuchtungsverbot. Die Erhöhung der Irap solle 66 Mio. Euro bringen, das sei nicht bei so einem Haushalt, aber es sei die Botschaft, dass man die Betriebe höher besteuern wolle.
Und vor diesem Hintergrund werde eine Kommission eingerichtet, die die Parteienfinanzierung wieder einführen solle, was italienweit abgeschafft worden sei. Man verweise dabei auf Tirol, aber Südtirol sei nicht Österreich! In Südtirol sei ein neuer Staat im Entstehen, Leute, die sich von allem lossagten und ihre Kinder in den Wald zum Unterricht schickten. Darum müsse man sich kümmern, es sei Ausdruck eines starken sozialen Unbehagens. Urzì bezeichnete die Sprachgruppenerhebung als veraltet. Die Sprachgruppen würden sich vermischen, und neue Bürger kämen hinzu. Man müsse sich fragen, welche Gesellschaft man wolle, eine, die immer gleichbleibe, oder eine, die sich entwickle.
Maria Elisabeth Rieder (Team K) wies auf die große Verantwortung des Landtags hin, aber dieser habe das wichtigste Dokument, über das er zu entscheiden habe, wieder sehr spät bekommen. Vorher sei der Haushalt den Verbänden und den Medien vorgestellt worden. Das mache eine Befassung mit dem Haushalt schwierig.
Alle, die in diesem Land arbeiteten, verdienten sich Teilhabe am Reichtum und an der Macht. Der Landeshauptmann fordere mehr Vertrauen in die Politik, aber es sei schwer, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, etwa nach der Lex Griessmair. Vor allem sollte man gegebene Versprechen halten, z.B. die 20 Millionen für die öffentlich Bediensteten, die auf den Nachtragshaushalt vertröstet würden. Dieser solle diesmal aber nicht üppig ausfallen und werde vor allem für den Bereich Soziales verwendet, was richtig sei. LR Achammer habe Gehaltserhöhungen für das Lehrpersonal versprochen, aber auch dies werde wieder ein Versprechen bleiben. Rieder fragte, ob es richtig sei, stattdessen das Geld für Straßen und Tunnels auszugeben. Unser Konsum zerstöre z.T. unsere Lebensgrundlage, er müsse aber erhöht werden, wenn man das bisherige Wirtschaftssystem erhalten wolle. Ohne Verzicht werde man die Klimaziele nicht erreichen. Man müsse konkrete Maßnahmen setzen und dürfe dabei die soziale Ausgewogenheit nicht außer Acht lassen. Sie werde immer wieder ihre Stimme für die soziale Gerechtigkeit erheben, für die Arbeitenden, die Frauen, die Kinder, für die Schwächsten. Das Ranking zur Lebensqualität des Sole 24 Ore sei erschütternd. Südtirol rangiere in der Frauenpolitik auf dem beschämenden Platz 40. Bei den Frauen habe Südtirol gar einiges aufzuholen. Ein Gesetzentwurf des Team K zur Verringerung der Lohnschere zwischen Mann und Frau liege vor, man werde die Frauenpolitik der Landesregierung auch an ihrem Abstimmungsverhalten messen. Die berufliche Erziehungs- und Pflegearbeit müsse angemessen bezahlt, jene daheim gerecht zwischen Mann und Frau aufgeteilt werden. Der Personalmangel in der Pflege werde weiter ein großes Thema bleiben. Die Landesregierung habe ihren Vorschlag zur dezentralen Ausbildung nun angenommen, aber sie werde prüfen, ob das auch umgesetzt werde.
Ein großer Grund zur Sorge für die Bürger seien die Lebenshaltungskosten, zuletzt die hohen Energiepreise. Erspartes werde oft in Immobilien gesteckt, und das erhöhe die Wohnungspreise. Die Landesrätin verspreche hier schon lange Maßnahmen – man werde sehen, ob das eingehalten werde. In diesem Zusammenhang seien auch die Gehälter wichtig. Wenn diese nicht für ein würdevolles Leben ausreichten, müsse die öffentliche Hand einspringen oder man müsse die Arbeitgeber an ihre Verantwortung erinnern. Die Menschen müssten sich erwarten können, dass das Versprochene auch umgesetzt werde, habe Kanzler Olaf Scholz jüngst gesagt.
Die Debatte wird am Nachmittag wieder aufgenommen.