25 Ja, drei Nein und zwei Enthaltungen

Landtag: Gesetz zum Großraubwild verabschiedet

Freitag, 06. Juli 2018 | 11:52 Uhr

Bozen – Am Freitag wurde im Südtiroler Landtag die Generaldebatte zum Landesgesetzentwurf Nr. 162/18 – Vorsorge und Entnahmemaßnahmen bei Großraubwild. Umsetzung von Artikel 16 der Richtlinie 92/43/EWG (vorgelegt von der Landesregierung auf Vorschlag von Landesrat Schuler) – wieder aufgenommen.

Sigmar Stocker (Freiheitliche) stellte die Frage, was man unter Tierschutz verstehen solle. Der Wolf, der keine natürlichen Feinde habe, reiße Tiere nicht nur aus Hunger und auf grausame Art und Weise. Ein Tierschutz müsse auch für Schafe gelten. Wer nur auf den Wolf schaue, sei eigentlich ein Tierquäler und sehe die Schafe nur als Nutztiere des Menschen. Es gehe heute nicht darum, den Wolf in unserer Gegend auszurotten – wogegen er auch nichts hätte -, sondern um eine Regulierung, betonte Stocker. Man müsse auch die enorme Geldverschwendung durch die Herdenschutzmaßnahmen sehen. 360 Wölfe würden den Franzosen 26 Mio. Euro kosten. Für den Wolf, der nicht auf der roten Liste stehe, sei er nicht bereit, 73.000 Euro pro Tag auszugeben. Zu den 36 gemeldeten Wolfsrissen in Südtirol müsse man auch die versprengten Schafe dazu zählen, die abstürzen. Den Grünen, die im Ausschuss gegen das Gesetz gestimmt hätten, würden nicht alle Tiere am Herzen liegen, jedenfalls nicht die grausam gerissenen Schafe.

Bernhard Zimmerhofer (Süd-Tiroler Freiheit) wies auf das mangelnde Verständnis in Rom und Brüssel für die Anliegen Südtirols hin. Die zeige auch das Wahnsinnsurteil gegen Alt-LH Durnwalder und Amtsdirektor Erhard. Daher müsse man die Sache selbst in die Hand nehmen, und dieses Gesetz sei ein kleiner Schritt dazu, auch wenn es ein Gutachten aus Rom vorsehe.

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) erinnerte an den abgelehnten Antrag der Grünen vor vier Jahren, Südtirol auf die Rückkehr des Wolfs vorzubereiten. Nun sei der Notstand ausgebrochen, und es herrschten – kurz vor den Wahlen – Alarmstimmung und Populismus, auch wenn weit mehr Tiere durch Unfälle umkommen würden als durch den Wolf. Dieser Gesetzentwurf – und das sollte man dem Bauernbundobmann sagen – habe kein wolfsfreies Südtirol zum Ziel, sondern die Regelung des Umgangs mit dem Wolf. Es gehe um einzelne Wölfe, die Probleme machten, und abgesehen davon um das Zusammenleben zwischen Wolf, Mensch und anderen Tieren. Die wolfsfreie Zeit sei nur eine kurze Klammer, man könne die Natur nicht nach den eigenen Vorstellungen formen. Der Mensch sei nicht der Herr der Natur, sondern ein Teil von ihr. Ein wolfsfreies Südtirol sei eine Illusion, man könne nicht einfach das ganze Land mit einem elektrischen Draht umzäunen. Vorliegender Gesetzentwurf sei verfassungswidrig. Laut Habitat-Richtlinie könnten nur die Staaten Regulierungen vornehmen. Dieses Gesetz werde angefochten werden, aber das sei der Mehrheit egal; sie wolle vor den Wahlen zeigen, dass sie alles getan habe, und an der Ablehnung sei dann Rom schuld. Dasselbe sei in der vergangenen Legislaturperiode mit der Toponomastik passiert. Damit täusche man den Leuten etwas vor. Wenn das Gesetz Bestand haben solle, dann müsste man wenigstens ein bindendes ISPRA-Gutachten vorsehen. Der Gesetzentwurf gehe zudem bereits davon aus, dass die Herdenschutzmaßnahmen nicht greifen würden – das werde auch das bereits vorbereitete Ergebnis von Nogglers Sonderkommission sein. Dello Sbarba plädierte daher dafür, zuerst den Beweis zu erbringen, dass sie nicht greifen, bevor man den Abschuss erlaube.

Brigitte Foppa (Grüne) prophezeite, dass die Themen Wolf und Migration den Wahlkampf begleiten würden. Beide hätten mit Angst vor Kontrollverlust zu tun. Sie warnte davor, den Menschen aus der Stadt das Urteilsvermögen abzusprechen. In einer Zeit, in der alles mobil sei, sei dieses Argument gefährlich. Die Städter könnten sich gegen die Landbevölkerung und ihre Interessen richten. Die Landschaft sei ein Allgemeingut, sie gehöre nicht nur der Landbevölkerung. Man sehe sich die Entwicklung der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts an, wo die Städte aufgehört hätten, offen und fortschrittlich zu sein.

Foppa zeige, dass sie mit der betroffenen Bevölkerung, mit den Bergbauern, nie geredet habe, meinte Sigmar Stocker (F). Die Bergbauern fühlten sich von den Städtern nicht verstanden, denn diese wüssten nicht, was es bedeute, ein Schaf zu verlieren. Man könne lange philosophieren, aber die Praxis werde dazu führen, dass es zu einer Regelung kommen werde.

Foppa wohne am Waldrand, daher verstehe er nicht, dass sie diesen Unterschied zwischen Stadt und Land mache, erklärte Oswald Schiefer (SVP). Am Land werde das Thema sehr stark wahrgenommen. Die betroffenen Bergbauern hätten sich immer wieder beklagt, dass das Land nichts tue. Dieser Gesetzentwurf sei ein Versuch einer Lösung, kein Abschussbefehl, man wisse noch nicht, wie es ausgehen werde.

Der Wolf sei nicht mehr vom Aussterben bedroht, erklärte LR Arnold Schuler, die Situation sei eine ganz andere als zur Zeit, in der die Habitat-Richtlinie erlassen wurde. Die Wolfspopulation sei mittlerweile so groß, dass eine Regulierung notwendig. Südtirol habe keine direkte Zuständigkeit für den Wolf. Man müsse an die Grenzen des Möglichen gehen, eine Anfechtung riskiere man immer. Mit Pessimismus könne man die Sache jedenfalls nicht angehen. Er hoffe, man bekomme vom ISPRA ein Gesamtgutachten, damit es nicht für jeden Fall ein eigenes brauche. In Apulien würden die Wölfe durch die Dörfer spazieren, und die Hoffnung, der Wolf würde die Wildschweinplage bekämpfen, habe sich zerschlagen. Der Vergleich mit der Migration sei weit hergeholt. Landschaft gehöre allen, aber vielen sei die Situation der Betroffenen nicht bewusst. Die Folgen des Nichtstuns wären schlimmer, ohne Regulierung würden viele Almen nicht mehr bewirtschaftet. Nichts zu tun wäre auch für den Wolf schädlich, denn mittlerweile bestünde ein Viertel der Population aus Hybriden. Eine transparente Regulierung sei notwendig, auch weil sonst die illegalen Abschüsse zunehmen würden.

Der Übergang zur Artikeldebatte wurde mit 24 Ja und drei Nein genehmigt.

Zu Art. 1, der den sachbezogenen Teil des Gesetzentwurfs ausmacht, betonte Riccardo Dello Sbarba, dass auch er Maßnahmen für nötig halte. Sein Vorschlag für Präventivmaßnahmen von 2014 sei aber abgelehnt worden. Er forderte mit einem Änderungsantrag, das Gutachten der Höheren Anstalt für Umweltschutz und Forschung (ISPRA) bindend zu machen. Außerdem sollte vor einer Abschussgenehmigung der Nachweis erbracht werden, dass die bestmöglichen Präventivmaßnahmen nicht greifen. Ohne diese Änderungen habe das Gesetz vor dem Verfassungsgericht keine Chance.
Sven Knoll fragte, wie man das Problem der Individualisierung löse. Ein Wolf, der hier ein Schaf reiße, könne morgen schon in der Lombardei sein.
Die Änderungsanträge (auch die Freiheitlichen hatten zwei eingebracht) wurden abgelehnt.
Der Artikel wurde mit 26 Ja und drei Nein genehmigt.

Art. 2 (Finanzierung) und 3 (Inkrafttreten) wurden ohne Debatte genehmigt.

Erklärungen zur Stimmabgabe

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) sagte dem Gesetz ein kurzes Leben voraus. Die Grünen würden, unabhängig vom Wahlkampf, bei ihrer Überzeugung bleiben.

Brigitte Foppa (Grüne) erklärte, dass ihr natürlich auch die gerissenen Schafe leid täten. Aber kein Raubtier betäube ein anderes Tier, bevor es dies fresse. Der Wolf konfrontiere uns mit einer Brutalität, die wir aus unserem Leben verdrängt und in die Schlachthöfe verbannt hätten. Die Bilder würden zur Propaganda benutzt.

Hans Heiss (Grüne) sprach von der Notwendigkeit von Herdenschutzmaßnahmen. Er hoffe, dass Land und Bauernbund mehr in diese Richtung gingen. Die Grünen seien nicht die Verteidiger des Wolfs, wohl aber des Rechtsstaats, und dieses Gesetz habe rechtlich keinen Bestand. Man greife in das Strafrecht ein, wofür das Land keine Zuständigkeit habe. Heiss betonte auch, dass Städter wie er sehr wohl auch die Landbevölkerung verstehen könnten.

Sigmar Stocker (Freiheitliche) bezeichnete die Grünen als Verbotspartei. Dieses Gesetz sei nicht zur Ausrottung der Wölfe da, sondern zur Regulierung. Eine solche werde sicher in ganz Europa bald kommen.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) unterstrich seine Skepsis: Das Land habe für diese Materie nicht die Zuständigkeit. Eine Anfechtung vor dem Verfassungsgericht sei wahrscheinlich, aber auch in anderen Fällen habe man die Grenzen aus politischen Gründen ausgereizt. Urzì wunderte sich, dass die Landesregierung nun auch Hirtenhunde finanzieren wolle, obwohl man von Kollegin Hochgruber Kuenzer gehört habe, dass diese eine Gefahr für die Touristen seien. Er kündigte seine Enthaltung an.

Das Gesetz nehme Bezug auf die Bereiche, in denen das Land die Zuständigkeit habe, betonte LR Arnold Schuler. Es schaffe die Voraussetzung, dass eine Entnahme nicht mehr unter das Strafrecht falle. In der Schweiz müssten die Entnahmen auf ein bestimmtes Tier bezogen werden; er hoffe, dass man für Südtirol eine allgemeine Lösung finde. Schuler wehrte sich gegen den Vorwurf Dello Sbarbas, er habe bisher nichts unternommen. Er habe Herdenschutzmaßnahmen studiert, Experten konsultiert, mit anderen betroffenen Regionen Kontakt aufgenommen. Auch der Sonderausschuss könne beitragen, Lösungen zu finden. Dieses Gesetz eröffne neue Möglichkeiten und gebe ihnen einen rechtlichen Rahmen.

Der Gesetzentwurf wurde mit 25 Ja, drei Nein und zwei Enthaltungen genehmigt.

Damit war die Tagesordnung erschöpft. Der Landtag tritt am 23. Juli wieder zusammen.

Von: mk

Bezirk: Bozen