Von: mk
Bozen – Der Landtag hat sich mit der jüngeren Zeitgeschichte Südtirols befasst. Die SVP hat einen Antrag eingereicht, um die Erinnerungskultur zu fördern und die Geschehnisse aufzuarbeiten.
Beschlussantrag Nr. 452/21: Wider das Vergessen (eingebracht vom Abg. Lanz am 19.05.2021). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, 1. auf breiter wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und sprachgruppenübergreifender Basis in transparenter und inklusiver Art und Weise die Südtiroler Zeitgeschichte im Sinne dieses Beschlussantrages aufzuarbeiten; 2. durch die Einführung eines jährlichen Gedenktages „Wider das Vergessen” und durch geeignete Initiativen (z. B. Bereitstellung von didaktischem Material, museale Darstellung, Publikationen, Ausstellungen…) die Erinnerungskultur zu stärken und die Ergebnisse dieser Aufarbeitung der Südtiroler Zeitgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. (Neue Fassung gemäß Änderungsantrag von Lanz)
“Jede Nation, jedes Land und auch jedes Volk hat in seiner Geschichte Ereignisse, die für die weitere Entwicklung prägend sind”, erklärte Gerhard Lanz (SVP). “Sehr oft, und Gott sei Dank im Europa des 20. Jahrhunderts, gehören die Entscheidungen auf kriegerischer Ebene oder Gewaltebene der Vergangenheit an. Nichts desto weniger sind die Auswirkungen auch heute noch spürbar, ist erlittenes Unrecht auch heute noch immer nicht gesühnt. Ein Zurück in dem Sinn gibt es nicht, und in den meisten Fällen würde ein Zurück auch nicht das gutmachen, was angerichtet wurde. Viele meinen, leider allzu oft auf Basis oberflächlicher Bewertung, es wäre zumindest eine Genugtuung. Aber ist es das wirklich? Auch die Südtiroler Bevölkerung hat in ihrer Geschichte viele Episoden von Gewalt erleben müssen und hat vor allem die Auswirkungen völkerrechtlicher Entscheidungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg voll zu spüren bekommen. Ein geteiltes Land, fremd in einem neuen Staat. In das Doppeljahr 2021/22 fallen drei für Südtirols Politik und Gesellschaft, aber auch für einen weiteren Zusammenhang wichtige Gedenkjahre: 50 Jahre Zweites Autonomiestatut, 60 Jahre „Feuernacht“ und 100 Jahre Machtergreifung des italienischen Faschismus. Damit verknüpfen sich die Themen politischer Gewalt, ihrer Hintergründe und Legitimation. Hinzu kommen die Frage der Stabilität und Gefährdung von Demokratie und Pluralismus durch totalitäre Systeme sowie die Kernfrage von Versöhnung, Gerechtigkeit und Freiheit. Der ehemalige Landeshauptmann von Südtirol Dr. Silvius Magnago meinte: „Wer Gewalt anwendet, lasse sich auf das Gesetz des Stärkeren ein, und der Stärkere diesbezüglich werde immer der Staat sein – diesen Kampf könne man nicht gewinnen.“ Er war die treibende Kraft innerhalb der Südtiroler Volkspartei, der den Weg zur Autonomie und zu einem Miteinander ebnete.”
Brigitte Foppa (Grüne) begrüßte den Antrag, dessen Titel an das Buch Franz Thalers “Unvergessen” erinnere. In diesem Land würden die verschiedenen Erinnerungen immer wieder gegeneinander aufgerechnet, es brauche eine gemeinsame Erinnerung. Sie schlug vor, in den Antrag zu schreiben, dass es sich um öffentliche Veranstaltungen handeln sollte, ansonsten würden viele wieder getrennte Wege gehen.
Alex Ploner (Team K) fand es gut, dass Lanz in der neuen Fassung auf ein Komitee verzichtet habe. Südtirol habe ein Forschungszentrum für Zeitgeschichte, und dem sollte man diesen Auftrag erteilen. Es solle eine kritische, aber auch selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte werden.
Nicht in seinem Namen, betonte Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia). Man sollte nicht die Fehler wiederholen, die beim Autonomiekonvent gemacht worden seien. Die SVP möchte, dass er einem Dokument zustimme, das von einem geteilten Land und einem fremden Staat spreche. Hier wolle sich ein Regime feiern, nicht eine Institution.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) sprach sich für eine wissenschaftliche Aufarbeitung aus, aber was bisher geschehen sei, habe nichts mit Wissenschaft zu tun. Aus falscher Rücksicht meide man gewisse Themen. Am 25 April gedenke man der Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus am Lager in der Reschenstraße, aber nicht in Blumau. Im Museum unterm Siegesdenkmal dürfe man die Unterschriften jener Intellektuellen ausstellen, die sich gegen das Monument ausgesprochen hatten. Man bedenke auch, wie mit faschistischen Denkmälern umgegangen werde. Aus diesen Gründen werde sich seine Fraktion der Stimme enthalten.
Grundsätzlich sei sie für eine Aufarbeitung der Geschichte, erklärte Ulli Mair (Freiheitliche), gab aber auch Sven Knoll in vielem recht. Die Zeitgeschichte werde in den Schulen stiefmütterlich behandelt. Mit italienischen Gedenktagen tue sie sich schwer, wenn kurz nach dem Gedenktag für Falcone der Attentäter in die Freiheit entlassen werde. Es gebe bereit viele Gedenktage.
„Es gibt kein Zurück, nur ein Hindurch. Hindurch aber werden wir nur schreiten, wenn wir wissen, wo wir hin wollen“, erinnerte Hanspeter Staffler (Grüne) an das Zitat des jüdischen Theologen Martin Buber im Antrag. Wenn man das ernst nehme, müsse man beim Gedenken auch das Schicksal der Juden in Südtirol berücksichtigen. Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) teilte die Zielsetzung des Antrags. Solche Initiativen seien aber immer eine Steilvorlage für die Extremisten beider Seiten. Vor diesem Hintergrund sei vielleicht ein Vergessen besser. Man sollte besser in die Zukunft schauen. Er werde sich der Stimme enthalten.
Jeder sehe seine eigene Geschichte als die Geschichte dieses Landes, meinte Magdalena Amhof (SVP), daher sei eine wissenschaftliche Aufarbeitung wichtig. Das Zentrum für Regionalgeschichte sei dafür nicht der richtige Ort. Es könnte auch das Büro für politische Bildung sein, das im anstehenden Gesetzentwurf zur direkten Demokratie vorgesehen sei.
Er sehe sich in seiner Meinung bestätigt, dass den Südtirolern ein eigenes Narrativ der Geschichte fehle, erklärte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). Im Antrag werde Magnago zitiert, der aber auch für das Nebeneinander und die Trennung gewesen sei, was heute nicht mehr zeitgemäß sei. Sinnvoller als ein Tage wider das Vergessen sähe er einen Südtirol-Tag, um das Zusammenleben und den gegenseitigen Respekt hochzuhalten. Als Franz Innerhofer ermordet wurde, sei auch ein italienischsprachiger Südtiroler, Giuseppe Dalprà, angegriffen worden und später verstorben. Auch er sei in das Gedenken einzubeziehen. Beim Gedenken müsse man ehrlich sein.
LH Arno Kompatscher sah die Reaktion auf den Antrag als Zeichen, dass er wichtig sei. Geschichte sei überall wichtig, man müsse wissen, woher man komme. Es gebe bereits vieles zur wissenschaftlichen Aufarbeitung, unter anderem das Zentrum für Regionalgeschichte. Was fehle, sei die Aufarbeitung für eine breite Öffentlichkeit. Südtirol lebe eine Opferkultur, aber es habe auch Täter gegeben. Die Wissenschaft könne das leisten, dass die Aufarbeitung inklusiv und sprachübergreifend werde und dass nichts weggelassen oder schöngeredet werde. Es sei wichtig, dass die öffentliche Hand die Initiative ergreife, um Objektivität zu garantieren, wie auch Foppa es fordere.
Gert Lanz präzisierte gegenüber Urzì, dass der Antrag von einem “neuen Staat”, nicht von einem “anderen Staat” spreche, das sei ein Übersetzungsfehler. Er habe in der Debatte gemerkt, dass man hier etwas tun müsse. Lanz begrüßte den Änderungsvorschlag von Foppa, dass die öffentliche Hand die Regie übernehmen müsse. Manchmal habe er auch den Eindruck wie Nicolini, dass man etwas besser vergessen sollte. Aber das sei nicht der richtige Weg. Und selbstverständlich brauche es eine selbstkritische Darstellung. Zur Geschichte gehörten auch die Schattenseiten, auch die Zeit des Nationalsozialismus. Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) dankte Lanz für die Präzisierung, mit der er Sensibilität zeige. Aber viel ändere dies am Antrag nicht. Die Prämissen des Antrags wurden mit 20 Ja, ein Nein und zwölf Enthaltungen angenommen, Punkt 1 (mit der Einfügung “öffentliche Initiativen”) mit 25 Ja, einem Nein und acht Enthaltungen und Punkt 2 mit 22 Ja, einem Nein und zehn Enthaltungen.
Beschlussantrag Nr. 453/21: Nein zum wilden Campen/Maßnahmen ergreifen (eingebracht von den Abg. Lanz und Tauber am 20.05.2021). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, 1. über die IDM in der touristischen Werbung in Südtirol die legalen Campingmöglichkeiten auf Campingplätzen/Stellplätzen zu bewerben und gleichzeitig auf das Verbot des freien Campens hinzuweisen; 2. in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und den Polizeiorganen die Kontrollen zu verschärfen und illegales Campieren konsequent zu bestrafen; 3. die Gemeinden dahingehend zu sensibilisieren, dass die Führung von Stellplätzen in Zusammenarbeit mit den Campingplatzbetreibern vor Ort erfolgen, um den Anspruch nach „Qualitätstourismus“ gerecht zu werden; 4. mit den Interessenvertretern, den Gemeinden und IDM zu prüfen, inwieweit ein einheitliches Verkehrsleitsystem auf digitaler Basis für Camper in Südtirol eingeführt werden kann; 5. weiters zu prüfen, welche Maßnahmen mittel- und langfristig zu einer verbesserten Reglementierung des „Camper Tourismus“ führen.
Es gebe zum Glück wieder Bewegung in unserem Land, die Touristen kämen wieder, erklärte Gert Lanz (SVP), mit dabei seien auch viele Camper. Vor allem das freie Campen sei seit Corona immer beliebter, weil man damit Kontakte meiden könne und unkompliziert zu den Hotspots komme. Leider würden viele auf Plätzen halten, auf denen sie nicht bleiben dürften, und das sei schwer zu kontrollieren. Der Antrag enthalte einige Maßnahmen, die mit den Campingbetreibern besprochen worden seien. Mit diesen sollten auch die Gemeinden zusammenarbeiten, da sie über das nötige Fachwissen verfügten. Der Campertourismus sei inzwischen zum durchaus interessanten Sektor für Südtirol geworden.
Alex Ploner (Team K) bemängelte, dass man dem Antrag nicht anmerke, in welche Richtung man gehen wolle. IDM bewerbe bereits die Campingmöglichkeiten, ebenso werde auf den Seiten der Betreiber auf das Verbot des wilden Campens verwiesen. Die Kontrollen seien vorgesehen, die Polizei müsse einfach ihre Arbeit machen. Eine Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und privaten Campingplatzbetreibern sehe er schwierig. Aus diesen Gründen werde sich seine Fraktion der Stimme enthalten.
Hanspeter Staffler (Grüne) fragte, ob der Antrag auch das freie Zelten in der Natur betreffe. Ein Land wie Südtirol müsse das freie Campen natürlich im Auge behalten, aber derzeit scheine das Problem nicht allzu groß.
Noch sei der Tourismus nicht wieder voll auf Touren, bemerkte Helmut Tauber (SVP), und trotzdem seien die Straßen voll. Die Gemeinden hätten die Möglichkeit, Stellplätze außerhalb der Campingplätze zu errichten, aber nicht alle hätten dies getan. Auf jeden Fall müsse das wilde Campen vermieden werden.