Von: mk
Bozen – Der Landtag hat ich heute mit dem Beschlussantrag Nr. 252/20: Menschen in schwierigen sozialen Situationen (eingebracht von der Demokratischen Partei – Bürgerlisten am 14.02.2020) befasst.
Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, a) eine Überprüfung im gesamten Landesgebiet durchzuführen, um den Grad an sozialer Verwundbarkeit aufgrund der drei Faktoren Arbeit, Familie und Wohlfahrtssystem zu erfassen; b) diese drei Faktoren in die entsprechende Tabelle für die Finanzierung der übertragenen Sozialdienste aufzunehmen; c) das Finanzierungsbudget für die Bezirksgemeinschaften und die Sozialdienste Bozen (Pro-Kopf-Anteil) entsprechend dem Grad an sozialer Verwundbarkeit zu erhöhen.
“In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Trend abgezeichnet: Die Bevölkerung konzentriert sich vermehrt in den Stadtgebieten, wodurch auch in den größeren Städten die Gefahr der sozialen Ausgrenzung zunimmt”, erklärte die Demokratische Partei. “Die verschiedenen Wohlfahrtssysteme sind nicht mehr in der Lage, eine breite soziale Eingliederung zu gewährleisten. Die Familien sind tendenziell kleiner, wobei das Alter der Familienmitglieder im Durchschnitt steigt. Niedrige Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung führen zu einer Wechselwirkung, die sich negativ auf die traditionelle Rolle der Familie niederschlägt. Was die Arbeitsverträge betrifft, so besteht die Tendenz einer geringeren Sicherheit gegenüber jener der Vergangenheit (prekäre Arbeitsverhältnisse) sowie schrumpfender Gehälter, was in naher Zukunft dazu führen könnte, dass das Rentensystem Krankheiten und die Bedürfnisse älterer Menschen nicht mehr abfedern wird. Dieses Phänomen führt zu einer sozialen Verwundbarkeit, sodass sich folglich wirtschaftliches und soziales Unbehagen breit macht und das Leben einer Gemeinschaft immer mehr in Mitleidenschaft gerät.” Der PD verwies diesbezüglich auf eine Eurac-Studie zur erhöhten Gefährdung des sozialen Gleichgewichts in den Städten. Die Grünen stellten fest, dass der Unterschied zwischen Stadt und Land immer stärker diskutiert wird. In der Stadt gebe es mehr Freiheit und weniger Kontrolle, aber auch weniger Aufmerksamkeit aus dem Umfeld.
L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia sah ebenfalls das soziale Umfeld in den Städten fragmentierter, dafür brauche es auch mehr Mittel für Dienste, die dieses Netz ersetzen. In den Städten gebe es mehr Unsicherheiten und Ängste, was auch zu entsprechenden Reaktionen führe. Das dürfe man nicht einfach zur Kenntnis nehmen, man müsse intervenieren.
Die Süd-Tiroler Freiheit sprach sich gegen den Antrag aus, der ein falsches Bild von Südtirol biete. Es gehe ihm darum, mehr Geld nach Bozen zu bringen. Es gebe einen verstärkten Zuzug, daher müsse die Politik Maßnahmen gegen die Landflucht ergreifen. Auch in den Landgemeinden gebe es soziale Herausforderungen.
Die Landesregierung bestätigte die unterschiedlichen Herausforderungen zwischen Stadt und Land, aber sie sei bestrebt, einen Ausgleich zu schaffen. Die Einwanderung konzentriere sich in der Stadt, und man wolle hier die Landgemeinden mehr in die Verantwortung nehmen. Bozen habe andererseits eine hohe Konzentration von sozialen Einrichtungen: Dienste, Sozialwohnungen u.a. Es habe jüngst ein Treffen mit den Bezirksgemeinschaften zum Thema gegeben. Dem Mehrbedarf der Stadt Bozen werde bereits Rechnung getragen, so trage z.B. das Land die Kosten für das Lemayr-Zentrum, was eigentlich Aufgabe der Stadt sei. Die Gemeinden würden in Zukunft immer mehr ihren Teil der Verantwortung übernehmen müssen, z.B. in der Pflege. Bozen habe sich über die Jahre geändert, die Stadt sei gewachsen, und das Durchschnittsalter der Bevölkerung habe zugenommen, replizierte der PD. Dem müsse auch das Land Rechnung tragen. Die Zahl der Obdachlosen habe seit 2000 von 30 auf 1.000 zugenommen, vor allem durch die Einwanderung. Der Antrag wurde mit elf Ja und 18 Nein abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 254/20: Geteilte Verantwortung ist halbe Armut (eingebracht von den Grünen am 17.02.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. alles dafür zu tun, dass das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf als gemeinsamer Auftrag an alle Familienmitglieder dargestellt und verstanden wird; 2. die Bemühungen um die Sensibilisierung für gemeinsame Verantwortung gerade in der Phase der Familiengründung/der Kinderbetreuung/- der Pflege mit den daraus erwachsenen Einkommensunterschieden, vor allem auch im Alter, zu intensivieren. 3. jene Familien und Partnerschaften gezielt zu fördern und/oder mit anderen Maßnahmen zu unterstützen, die nachweisen können, dass sie in der Phase der Familiengründung/der Kinderbetreuung/der Pflege keinen der beiden PartnerInnen finanziell benachteiligen; 4. Sensibilisierungskampagnen in der Wirtschaft anzustoßen und durchzuführen, damit Familienfreundlichkeit vermehrt als Standortfaktor und zentraler Unternehmenswert angesehen wird. Dem Beispiel Schwedens folgend soll das Ziel erreicht werden, dass Firmen ihre Angestellten – ob Frau oder Mann – ermutigen, in Elternzeit zu gehen und es gesellschaftlich nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht wird, dass auch Väter bei ihren Kindern sind; 5. ein besonderes Augenmerk auf die Schwierigkeiten von Alleinerziehenden zu legen.
“Frauen unterbrechen oft ihre Berufslaufbahn, um Familie und Arbeit vereinbaren zu können und steigen dabei auch vielfach für einen längeren Zeitraum aus dem Arbeitsmarkt aus”, stellten die Grünen fest. “Die direkte Folge ist, dass Frauen in ihrem Berufsleben weniger verdienen und somit im Alter nur halb so viel Rente wie Männer beziehen. Das Phänomen nennt sich „Gender Pay Gap“ und bedeutet im Klartext: weniger Lohn für Frauen.” Die Schieflage bestehe auch darin, dass das Ganze als Problem bzw. Anliegen der Frauen wahrgenommen werde. Stattdessen müsse es eine Entscheidung beider Partner sein.
Das Team K fand es richtig, auf die Situation hinzuweisen, aber der Antrag greife zu kurz. Sensibilisierungskampagnen seien zu wenig. Der Landtag sollte sich für diesen Tag jedes Jahr ein, zwei konkrete Themen vornehmen.
Die Süd-Tiroler Freiheit sprach sich grundsätzlich für das Anliegen aus, sah aber den Punkt zur Benachteiligung skeptisch, denn in einer Familie werde immer einer mehr verdienen als der andere. Der Staat sehe keine Unterstützung für die Betreuung daheim vor, daher sei in erster Linie die Politik auf Staatsebene zu sensibilisieren, um den Familien die Wahlfreiheit zu garantieren. Die Erziehungszeit müsse für die Rente angerechnet werden.
Die SVP sprach sich gegen den Antrag aus, denn in weiten Teilen sei der Antrag bereits im Tätigkeitsprogramm des Beirats für Chancengleichheit stehe, dessen Auftrag genau diese Sensibilisierungsarbeit sei. Es seien sehr wertvolle Initiativen, die auch in die Breite gingen. Die Aufgabe der Politik sei es, Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Freiheitlichen sehen die Aufwertung der Familie und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als wichtig an, aber dazu brauche es konkretere Maßnahmen. Der Antrag würde für die Familien nichts ändern, auch fehle ihm die Freiheit für die Familien, die Rolle von Vater und Mutter selber zu definieren.
Den Gender-Gap, der auch Auswirkungen auf die Rente habe, könne man nicht weiter einfach so hinnehmen, betonten die Grünen. Die Entscheidungsfreiheit für die Frau sei bei den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht gegeben. Diese Bedingungen seien durch intelligente Maßnahmen zu verbessern. Das italienische Rechtssystem lasse keine Wahlfreiheit, es erleichtere den Wartestand der Frauen und erschwere jenen der Männer. Natürlich sei auch auf die Änderung dieses Systems hinzuarbeiten, aber man könne auch lokal Maßnahmen setzen, um die Dinge mehr ins Gleichgewicht zu bringen.
Die SVP fragte sich, ob man mit dem Antrag nicht das Thema ins Lächerliche ziehe, denn da werde z.B. die Landesregierung aufgefordert, ihr Augenmerk auf die Alleinerziehenden zu richten, als ob sie das nicht schon täte. Außerdem seien nicht alle Betriebe imstande, die Forderungen des Antrags zu erfüllen. Die Sensibilität für das Thema sei vorhanden, und es würden auch zahlreiche Maßnahmen ergriffen.
Viele Punkte des Antrags könne man mittragen, andere nur schwer, erklärte die Landesregierung. Frauen würden aus verschiedensten Gründen zurückstecken, das sei eine innerfamiliäre Entscheidung. Die Sensibilisierung sei wichtig, aber dafür werde bereits viel getan, auch vom Landesbeirat für Chancengleichheit. Vor allem Aufklärung sei wichtig, und sie zeige auch Wirkung. Man sei immer zu Verbesserungen bereits, aber einen solchen Weltverbesserungsantrag könne man nicht unterstützen. Die Grünen replizierten, dass auch die SVP oft allgemein gehaltene Anträge bringe. Man erkenne an, dass im Sinne des Antrags bereits etwas getan werde, aber es brauche durchaus noch mehr Sensibilisierung zum Thema. Der Antrag wurde mit 14 Ja, 17 Nein und einer Enthaltung abgelehnt (Punkt drei mit elf Ja und 21 Nein).
Beschlussantrag Nr. 213/19: Überlandbuslinien in Rentsch (eingebracht vom Team K am 11.12.2019). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen, um in Rentsch und der Innsbrucker Straße im Vorfeld einer zukünftigen Umsetzung Verbesserungsvorschläge für die Stadt- und Überlandbuslinien des ÖPNV sowie für den Individualverkehr zu überprüfen. (Neue, heute von Team K und SVP vorgelegte Fassung). Der Antrag war bereits gestern andiskutiert worden. Die Landesregierung erklärte sich mit der neuen Fassung einverstanden. Der Antrag wurde mit 28 Ja und drei Enthaltungen angenommen.
Beschlussantrag Nr. 255/20: Der kleine Unterschied im Haushalt (eingebracht von den Grünen am 17.02.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. mit einer neuen Sensibilisierungskampagne, einem Wettbewerb oder anderen geeigneten Maßnahmen erneut auf das Thema aufmerksam zu machen; 2. die Männer zu ermutigen, im Haushalt nicht nur „zu helfen“, sondern gleich wie die Frauen die Verantwortung dafür zu übernehmen; 3. die Frauen zu ermutigen, im öffentlichen Leben vermehrt ihre Stimme zu erheben; 4. eine Tagung oder öffentliche Veranstaltung zu organisieren, in der Forschungsergebnisse und Praxiserfahrungen präsentiert werden und eine weitere Öffentlichkeit für das Thema geschaffen werden kann.
“Die Analyse der Daten der Mehrzweckerhebung der Haushalte 2015 ergab, dass 66,2 Prozent der Männer weniger als zehn Stunden in der Woche im Haushalt mitarbeiten”, bemerkte die Grünen. “Im Gegensatz dazu arbeitet mehr als ein Drittel der Frauen (35,1 Prozent) mehr als 30 Stunden in der Woche in den eigenen vier Wänden. Jeder fünfte Mann in Südtirol arbeitet weiterhin 0 Stunden pro Woche im Haushalt – bei den Frauen ist es jede 20-te. Es gab zwar eine positive Entwicklung zwischen 2010 und 2015, da die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit in diesen Jahren leicht zugenommen hat, von 7,5 auf fast neun Stunden. Die Belastung für die Frauen, deren Anteil an der Hausarbeit ebenfalls gestiegen ist, hat sich dadurch aber nicht verringert. Frauen arbeiten damit in der bezahlten Arbeit 13,4 Stunden weniger als die Männer, bei der nicht bezahlten Arbeit aber 17,0 Stunden mehr als die Männer. Das hat Folgen. Frauen ziehen sich gerade durch diese Doppelbelastung in ihren zentralen Lebensjahren oft aus dem öffentlichen Leben, aus Beruf/Karriere, Politik u.ä. zurück.”
Das Team K nahm den Antrag mit einem Augenzwinkern. In den Partnerschaften werde die Aufteilung der Hausarbeit nach unterschiedlichsten Kriterien vorgenommen – z.B. sie kocht, er pflegt den Garten. Politik sollte sich nicht ins Privatleben der Menschen einmischen.
Ein Single erledige seine Hausarbeit zu hundert Prozent selber, gab die Süd-Tiroler Freiheit zu bedenken und stellte die Frage, was die Politik diese Frage überhaupt angehe. Das sei allein Angelegenheit der Familie. Vom klassischen Rollenbild sei man längst entfernt. Das Thema gehe die Politik sehr wohl etwas an, meinte hingegen die Grünen. Viele Frauen würden nach ihrem Studium auch deshalb an ihrem Studienort bleiben, denn in den großen Städten gebe es nicht dieses Rollenbild.
Die Männer würden sich heute nicht mehr vor der Hausarbeit drücken, meinte hingegen Alto Adige Autonomia und kritisierte die Beliebigkeit des Antrags. Die SVP bezweifelte, dass die Rolle der Frauen im Haushalt in Südtirol schlimmer sei als in den großen Städten. Die Frauen würden heute ihre Kinder so erziehen, dass Mädchen und Buben gleichermaßen mithelfen müssen. Das Ganze sei Angelegenheit der Familie, nicht der Politik.
Dass es selbstbewusste Frauen nur im Ausland gebe, sei kein stichhaltiges Argument, meinte auch das Team K. Die Grünen wandten sich gegen die Auffassung, dass alles, was im Haushalt geschehe, Privatsache sei. Das Familienrecht und andere Bestimmungen würden sehr wohl in häusliche Angelegenheiten eingreifen. Der Antrag fordere keinen Eingriff, sondern eine Sensibilisierung, denn zu 99 Prozent sei es keine freie Entscheidung der Frau, dass sie den Haushalt führe.