Libyen ist Transitland für Migranten

Libyscher Experte kritisiert EU-Politik gegenüber Libyen

Mittwoch, 30. Juli 2025 | 07:17 Uhr

Von: apa

Der libysche Journalist Ali Albadwi kritisiert die EU-Politik gegenüber seinem Land. “Es ist an der Zeit, dass Europa im Umgang mit Libyen einen umfassenden, fairen und proaktiven Ansatz verfolgt, der über das bloße ‘Blockieren von Migranten auf See’ hinausgeht.” Europa solle vielmehr Libyen unterstützen, die politische Spaltung zu überwinden und die Ursachen von Migration bekämpfen, sagte der Korrespondent des marokkanischen Newsportals Maghribna 24 gegenüber der APA.

Libyen ist insbesondere seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ein zentraler Transitstaat für Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Seit 2014 ist das Land politisch und territorial tief gespalten. Neben der international anerkannten Regierung in Tripolis existiert eine rivalisierende Gegenregierung in Benghazi, im Osten des Landes. Die Regierung unter Osama Hamad wird durch das libysche Parlament unterstützt und von General Khalifa Haftar kontrolliert.

Albadwi sagte: “Die derzeitige europäische Politik, die sich nur auf die Verteidigung der Grenzen und die Finanzierung von Barrieren konzentriert, verzögert die Krise nur, anstatt sie zu lösen.” Der Experte betonte weiter: “Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann Libyen nicht als geeignetes Land für die Aufnahme abgeschobener Migranten angesehen werden – weder rechtlich noch institutionell noch ethisch -, auch wenn dies in der politischen Rhetorik manchmal behauptet wird.”

Chaos in Migrationsfrage

Libyen verfüge durch das Fehlen eines einheitlichen Staates nur über eingeschränkte Fähigkeiten im Bereich Migration. Aufgrund des institutionellen Vakuums habe sich das nordafrikanische Land mit einer Küste von mehr als 1.800 Kilometern zu einem wichtigen Transitpunkt für irreguläre Migranten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara auf dem Weg zu den europäischen Küsten entwickelt. Die institutionelle Spaltung mache “jede Partnerschaft unwirksam”. Europa werde im Unklaren gelassen, wer der offizielle Partner ist: Die international anerkannte Regierung oder die Behörde mit der tatsächlichen Kontrolle vor Ort? Infolgedessen seien bilaterale Abkommen oft nicht bindend und würden später von der anderen Seite abgelehnt oder ausgesetzt, betonte Albadwi.

“Das Fehlen einer einheitlichen Zentralbehörde ist ein Schlüsselfaktor, der das Chaos in der Migrationsfrage anheizt, da bewaffnete Gruppen und gesetzlose Akteure das Leid der Migranten in Ermangelung einer kohärenten nationalen Migrationspolitik zu ihrem Vorteil ausnutzen.” Milizen und bewaffnete Gruppen haben nach Angaben des Experten in mehreren Gebieten die militärische Kontrolle und operieren außerhalb des offiziellen staatlichen Rahmens.

Humanitären Bedingungen für Migranten katastrophal

“Die humanitären Bedingungen für Migranten in Libyen sind katastrophal”, warnte der Journalist. “Viele sind willkürlicher Inhaftierung, Misshandlung und Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen sowie ohne rechtlichen Schutz ausgesetzt – was sie dazu zwingt, den Tod auf See zu riskieren, um einer noch schlimmeren Realität zu entkommen.” Jede erzwungene Rückkehr nach Libyen ohne echte Garantien gefährde direkt ihr Leben.

Gemäß Berichten der Vereinten Nationen und internationaler Menschenrechtsorganisationen herrschen in den meisten libyschen Haftanstalten katastrophale humanitäre Zustände. Unterkünfte von irregulärer Migration würden gelegentlich durch bewaffnete Gruppen, die außerhalb des Gesetzes agieren, belästigt.

Gleichzeitig steigern die sich verschlechternden Lebensbedingungen und die unzureichenden öffentlichen Dienstleistungen den Unmut der Bevölkerung. Dem Land drohe die Gefahr innerer Unruhen. “Vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit und Inflation wächst der öffentliche Widerstand gegen die Rückkehr von Migranten”, sagte Albadwi.

Einsatz für einheitliche politische Lösung gefordert

Europa sollte sich nach Ansicht Albadwis mit ausgewogener Diplomatie für eine umfassende, national verantwortete politische Lösung in Libyen einsetzen, die nicht auf einem ausländischen Machtgleichgewicht beruhe. Dazu gehöre auch die Unterstützung einer Vereinheitlichung der Institutionen wie Zentralbank, die nationale Ölgesellschaft, Justiz und Sicherheitsbehörden, um die politische und wirtschaftliche Einheit zu gewährleisten und die Migrationsströme einzudämmen.

Anstelle einer “maritimen Isolation” müsse Europa zudem in echte Alternativen investieren, forderte der Experte. Er sprach von einer Unterstützung nachhaltiger Entwicklungsprojekte in den Herkunftsländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, und im Süden Libyens, um wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen und die Ursachen für Vertreibung zu verringern. Außerdem brauche es nach seiner Ansicht legale Wege für saisonale oder temporäre Migration, um den Druck auf irreguläre Routen zu verringern. Europa sollte Zuwanderungsmechanismen für schutzbedürftige Asylbewerber wie Frauen, Kinder oder Opfer von Menschenhandel einführen. Die humanitäre Verantwortung müsse geteilt werden. Transitländer wie Libyen könnten nicht “die gesamte Last der Migranten tragen”.

“Pragmatische Zusammenarbeit” mit bewaffneten Gruppen

Statt Migrantenlagern, in denen UNO-Berichte systematische Misshandlungen dokumentiert haben, sollten humanitäre Zentren unter direkter Regierungsaufsicht und internationaler Überwachung entstehen, in denen Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Albadwi sah darüber hinaus die Notwendigkeit, die “pragmatische Zusammenarbeit” mit bewaffneten Gruppen zu beenden. “Einige europäische Staaten finanzieren oder unterstützen weiterhin Milizen unter dem Vorwand der ‘Grenzkontrolle'”. Dies sei “ein kurzsichtiger Ansatz, der das Chaos aufrechterhält und die libysche Staatlichkeit untergräbt”.

Stattdessen solle Europa den Aufbau professioneller, staatlich geführter Sicherheitsorgane unter einer legitimen, vereinten Regierung unterstützen. “Die wirkliche Lösung liegt im Aufbau eines stabilen libyschen Staates mit effizienten Institutionen, einer widerstandsfähigen Wirtschaft und sicheren Grenzen – nur dann kann eine echte Partnerschaft zur Gewährleistung von Sicherheit und Entwicklung im gesamten Mittelmeerraum aufgebaut werden”, betonte Albadwi.

(Das Gespräch führte Alexandra Demcisin/APA)

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