Von: mk
Bozen – Das Thema „Notstand in der Betreuung und Pflege“ ist längst zum Wahlkampfthema aufgestiegen. Doch die aktuelle Situation in der Betreuung und Pflege braucht mehr als die tägliche Diskussion über Lösungsvorschläge in den Medien. Davon ist zumindest die Geschäftsführerin des Landesverbandes der Sozialberufe, Marta von Wohlgemuth, überzeugt.
„Alle reden und schreiben darüber. Was wäre wenn, man auch mal mit den Ausübenden von Sozial- und Gesundheitsberufen darüber reden würde, ganz nach dem Grundsatz, reden wir mit den Vertretern der Gesundheits- und Sozialberufe und nicht über sie. Denn wer weiß besser, was es brauchen würde als sie selber. Letztendlich sind sie die Expertinnen und Experten im Bereich Betreuung und Pflege“, so von Wohlgemuth.
In den Medien kursiert derzeit der Begriff des Pflegenotstands. Er beschreibt ein Problem, das sich besonders seit der Corona-Pandemie drastisch verschärft hat. Unsere Gesellschaft altert schnell und immer mehr Menschen sind im Alltag auf professionelle Betreuung und Pflege angewiesen. Doch überall fehlen Mitarbeiter in Gesundheits- und Sozialberufe. „Weil die Arbeitsbedingungen nicht einfach sind und es immer noch keine Lohngerechtigkeit in und zwischen diesen Berufen gibt“, so von Wohlgemuth. Der Landesverband kritisiert die unzureichenden Maßnahmen der Gesundheits – und Sozialpolitik in Bezug auf diese Situation.
Die Haupttreiber des Pflegenotstands seien der demographische Wandel, schwierige Arbeitsbedingungen im Betreuungs- und Pflegebereich, unterdurchschnittliche Gehälter, der Einfluss von Zeitarbeitsfirmen, der Trend zur stationären Pflege und die Tatsache, dass mehr und mehr Angehörige mit ihrer Pflegetätigkeit überfordert sind. „Schon seit Jahren erleben wir dieses Ungleichgewicht: Immer mehr Pflegebedürftige müssen von immer weniger Pflegekräften betreut werden. Die Bedingungen in der Betreuung und Pflege sind jetzt vor den Wahlen ein emotionales und heißdiskutiertes Thema“, erklärt von Wohlgemuth.
Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst würden Betreuung und Pflege als Beruf als wichtig und sinnstiftend wahrgenommen, jedoch werde er überschattet durch hohe Arbeitsbelastung, Stress, Fachkräftemangel und fehlende Wertschätzung. „Viele Versprechungen und Ankündigungen, welche vor allem in der Zeit der Corona-Pandemie gemacht wurden, warten immer noch auf ihre Umsetzung. Wir brauchen multifaktorielle Ansätze, um einerseits das öffentliche Bild der Berufsgruppen hin zur Profession Pflege zu verbessern und andererseits deren Arbeitsumfeld und Tätigkeiten vermehrt wertzuschätzen. Das erfordert Maßnahmen auf Politik- und Managementebene, so von Wohlgemuth.
Anstatt immer wieder scheibchenweise Vorschläge zu präsentieren, brauche es jetzt eine umfassende Reform der Sozialberufe, welche die Ausbildung, den Auftrag der Sozialberufe, die Arbeit mit Betroffenen und deren Angehörigen, die Entwicklung der Sozialberufe, die Betreuung und Pflege mit Zukunft, die Betreuenden und Pflegenden, die Angehörigen, die sozialen Dienstleistungen, die 24-Stunden-Pflege, die soziosanitäre Zusammenarbeit, den Berufskodex, das Berufsverzeichnis, das Landesgesetz und die Qualitätssicherung betreffe.
„Es braucht einen ganz großen Wurf, um den Pflegenotstand entgegen zu treten. Unser Umgang mit dem Thema Betreuung und Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt“, ist von Wohlgemuth überzeugt.
Der Landesverband der Sozialberufe will außerdem dafür sorgen, dass die Sozialberufe organisiert, professionalisiert und selbstbewusst auftreten, um so das Bild nach außen selbst vermehrt zu beeinflussen.