Selenskyj und die Ukraine erhalten den Karlspreis

Selenskyj bei Karlspreis: Ukraine streitet für Europa

Sonntag, 14. Mai 2023 | 22:25 Uhr

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei der Verleihung des Karlspreises seine Forderung nach einem Beitritt seines Landes zur EU und zur NATO bekräftigt. “Die EU wird nicht vollständig sein ohne die Ukraine”, sagte er am Sonntagabend bei der Zeremonie in Aachen. Es gebe auch keine rationalen Gründe, der Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO zu verweigern. Er stehe hier für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die für ihre Freiheit und für die Werte Europas kämpften.

“Jeder von ihnen würde es verdienen, hier zu stehen.” Selenskyj betonte, dass die Ukraine nichts lieber wolle als den Frieden – dieser könne in dem derzeitigen Konflikt aber nur mit einem Sieg gewonnen werden. Der Krieg in der Ukraine entscheide auch über das Schicksal Europas, weil es Russland darum gehe, die Geschichte der europäischen Einigung ungeschehen zu machen. Russland sei “zu jeder Grausamkeit und Gemeinheit fähig”.

Der ukrainische Präsident rief die westlichen Verbündeten zu weiteren Waffenlieferungen auf. Nur so sei die russische Aggression zu stoppen. “Die Ukraine wird siegen, Europa wird siegen, der Frieden wird siegen”, betonte Selenskyj zum Abschluss seiner Rede.

Nach seinem Deutschland-Besuch wird Selenskyj voraussichtlich noch am Sonntagabend in Paris eintreffen, berichten der Sender BFM TV, die Zeitung “Le Figaro” und die Nachrichtenagentur AFP. Selenskyj wird Medienberichten zufolge in Frankreich auf dem Flughafen Vélizy-Villacoublay von der französischen Regierungschefin Elisabeth Borne und Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna begrüßt werden. Das französische Präsidialamt war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Verleihung des Karlspreises an Selenskyj und sein Volk als Auftakt für das weitere Zusammenwachsen in Europa. In seiner Laudatio am Sonntag in Aachen nannte der SPD-Politiker dabei neben der Ukraine auch die Staaten des Westlichen Balkans, Moldau “und perspektivisch auch mit Georgien”.

“Falls Wladimir Putin geglaubt hat, er könnte die ukrainische Nation mit Gewalt von ihrem Weg nach Europa abbringen, dann hat er – mit all seinen Panzern, seinen Drohnen und Raketenwerfern – nichts als das Gegenteil bewirkt”, sagte Scholz laut Redemanuskript. “Ihr Freiheitswille und Ihre Widerstandskraft in dunkler Zeit spenden Hoffnung und Ihr Freiheitswille und Ihre Widerstandskraft in dunkler Zeit spenden Hoffnung und Inspiration weit über die Ukraine hinaus. An der Spitze des gesamten ukrainischen Volks verteidigen Sie die Werte, für die Europa steht.”

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte das ukrainische Volk. “Sie kämpfen buchstäblich für Freiheit, Menschlichkeit und Frieden”, sagte sie am Sonntag in Aachen laut Redemanuskript. Sie sicherten mit ihrem Blut und ihrem Leben die Zukunft ihrer und auch unserer Kinder, so die deutsche Spitzenpolitikerin. Selenskyj habe den unbedingten Glauben, dass diejenigen, die für etwas kämpften, immer stärker seien als diejenigen, die anderen ihr Joch aufzuzwingen wollten.

Sie erinnerte auch an ihre erste Reise in der Ukraine nach Kriegsausbruch. “Ich habe die Massengräber neben der Kirche gesehen, die dicht an dicht liegenden Leichensäcke”, sagte sie mit Blick auf ihren Besuch des Kiewer Vororts Butscha, der im Frühjahr 2022 von russischen Truppen besetzt war und wo später die Leichen Hunderter Zivilisten gefunden wurden. “Ich werde niemals das Bild der unzähligen Kerzen vergessen”, betonte sie. Jede einzelne habe für das Leben eines Vaters, einer Mutter, eines Sohnes, einer Tochter, eines Bruders oder einer Schwester gestanden, das sinnlos ausgelöscht worden sei.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki würdigte Selenskyj als einen Verteidiger europäischer Werte. Er sei “ein großer europäischer Führer”, ein “Held” und herausragender Staatsmann des 21. Jahrhunderts, sagte Morawiecki. “Präsident Selenskyj ist ein Vorbild für jeden Politiker.” Russlands “barbarische Angriffe” seien dagegen der Gegenpol zum freien Europa, das von der Ukraine verteidigt werde.

Morawiecki zitierte in seiner Rede den französischen Außenminister und Pionier der europäischen Einigung, Robert Schuman, der gesagt hatte, dass das vereinte Europa prinzipiell jedem demokratischen europäischen Land offen stehen müsse. Der Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union ist eines der wichtigsten Ziele Selenskyjs.

Der Karlspreis für Verdienste um die europäische Einigung wurde dieses Jahr Selenskyj und dem ukrainischen Volk für ihre Verteidigung europäischer Werte bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs zuerkannt.

Selenskyjs Teilnahme an der Zeremonie in Aachen war monatelang ungewiss. Der Präsident des Landes, das sich gegen den Angriffskrieg Russlands wehrt, gilt als sehr gefährdet. Die Zeremonie im Aachener Rathaus wird von extrem strengen Sicherheitsauflagen begleitet. 700 Gäste sind geladen. Der Karlspreis erinnert an Karl den Großen (748-814). Aachen war seine Hauptresidenz.

Die österreichischen Grünen gratulierten der Ukraine zum Erhalt des Karlspreises. “Die Zukunft des Landes und seiner Menschen liegt eindeutig in Europa. Der Mut und die Entschlossenheit, mit der die Ukrainerinnen und Ukrainer Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung gegenüber einem autoritären Aggressor verteidigen, verlangen nicht nur tiefen Respekt ab, sondern haben auch das übrige Europa näher zusammenrücken lassen”, sagte die Sprecherin der Grünen für Außenpolitik, Ewa Ernst-Dziedzic, laut Aussendung. Die Vergabe sei ebenso schlüssig wie verdient.

Von: APA/dpa/Reuters/AFP