Von: apa
Standing Ovations für eine Inszenierung, die sich ebenso kritisch wie selbstironisch mit dem kulturellen Selbstverständnis der Slowaken auseinandersetzt, für eine anschließende, unmissverständlich Position beziehende, Erklärung der Schauspieler auf offener Bühne, und für die anwesende Ex-Präsidentin Zuzana Čaputová: Die Wiederaufnahmepremiere von “Der Hund auf der Straße” im Slowakischen Nationaltheater von Bratislava geriet am Freitag zum eindeutigen politischen Statement.
Dabei ist Politik oder gar politischer Aktionismus das, was Kulturministerin Martina Šimkovičová von der Slowakischen Nationalpartei SNS auf gar keinen Fall auf der Bühne dulden möchte. Im August hat sie deswegen den Generalintendanten des Slowakischen Nationaltheaters, Matej Drlička, entlassen. Noch ist Drlička aber einfacher Angestellter des Theaters, hat kein Hausverbot und nahm bei der Premiere schmunzelnd neben dem APA-Reporter Platz. “Meine Kündigung ist noch nicht unterschrieben. Man ist sich offenbar noch uneinig.” Seine Nachfolgerin steht jedoch seit 27. August fest: Zuzana Ťapáková, 63-jährige Managerin mit langer Radio- und TV-Erfahrung und guten Beziehungen zu einem Großteil der slowakischen Theaterszene, hat den undankbaren Job und damit die kommissarische Leitung übernommen. “Viele, die dafür angefragt wurden, haben abgelehnt”, weiß Schauspieldirektorin Miriam Kičiňová.
Bereits dreimal hat die 38-jährige Kičiňová, die vor 15 Jahren als Dramaturgieassistentin am Slowakischen Nationaltheater begonnen hat, in den vergangenen Tagen die neue Generalintendantin getroffen, zuletzt am Freitagvormittag. Denn die Situation ist äußerst heikel und hat sich seit der Uraufführung dieser Dramatisierung einer Erzählung von Pavel Vilikovský im April verschärft. Im Mai wurde auf den slowakischen Ministerpräsident Robert Fico ein Attentat verübt. Regisseur Dušan David Pařízek hat daher eine nun möglicherweise irritierende bzw. unpassende Passage aus seiner Inszenierung gestrichen – die einzige Veränderung seither, wie er versichert.
Die Kulturministerin hat über den Sommer jedoch ihren Kampf für eine “nationale slowakische Kultur” verschärft und nicht nur eine irritierende personelle Säuberung eingeleitet, sondern auch einige Gesetze, die ihre Agenda unterstützen, durchgebracht, berichtet Drlička. “Sie beschließen die unglaublichsten Sachen, und wenn man dann dagegen protestiert, sagen sie: Was wollt ihr? Alles verfassungsmäßig zustande gekommen!”
Drlička glaubt, dass Šimkovičová keinen nationalistischen Masterplan von Fico umsetzt, aber zu einer hoch willkommenes Verbündeten wurde. “Sie ist ihm ‘passiert’, und jetzt ist er glücklich darüber – zumal sie mit ihren Maßnahmen und den damit verbundenen Aufregungen davon ablenkt, was noch alles auf die Slowaken zukommen wird. Wir erleben dasselbe, was in Ungarn passiert ist – nur sechsmal schneller.”
Deswegen ist Drlička nun Teil des neuen Streikkomitees, das einen Kulturstreik vorbereitet und den Streikalarm ausgerufen hat. Kulturschaffende aus bereits 255 Institutionen im ganzen Land haben sich der Initiative angeschlossen, die am 19. September einen nationalen Protesttag plant. Ob es tatsächlich zu einer Arbeitsniederlegung kommen wird, hängt von der weiteren Entwicklung ab – und von den Gewerkschaften. Nur diese könne tatsächlich einen Streik ausrufen, nämlich im Lohn- und Arbeitskampf, oder wenn die Verfassung in Gefahr sei, erklärt Kičiňová im Gespräch mit der APA.
Die Schauspieldirektorin versucht in dieser Situation eine Gratwanderung. Die Kulturstreik-Plakate sind im Haus nur in jenen Bereichen geduldet, die nicht unmittelbar mit dem Betrieb des Theaters in Verbindung stehen – in der Kantine etwa. Und ihre Bürgerrechte dürfen die Angestellten des Hauses nur privat und nicht in offizieller Funktion ausüben. Dies sei die klare Vorgabe der neuen Generalintendantin, erzählt sie. Die der Regierung politisch wohl nicht genehme Inszenierung könne stattfinden, und auch eine Verlesung einer Erklärung der Schauspieler samt anschließender Diskussion – sofern dabei eine klare Trennung gezogen werde. “Die Bühne wird also nach der Aufführung zum Versammlungsort der Bürger”, erklärt Pařízek, der selbst Tscheche ist und das erste Mal am Slowakischen Nationaltheater arbeitet. So einfach sei es freilich nicht, schränkt die Schauspieldirektorin ein. Um den Text der “privaten” Erklärung juristisch wasserdicht zu machen, habe sie am Vormittag mit vier Anwälten konferiert …
Die zweistündige Aufführung erweist sich nicht nur als selbstironisches Reflexieren über die slowakische Wesensart, sondern enthält überraschender Weise auch zahlreiche Österreich-Bezüge. Der frühere Verlagslektor Pavel Vilikovský hat für seine Geschichte den Redakteur Iks Ypsilon erfunden, der in Österreich zwei slowakische Literaten präsentieren soll und für seine Wahl auf Proteste selbst ernannter slowakischer Patrioten stößt. “Meine Lieben Slowaken! Wann werdet ihr endlich verstehen, dass wenn jemand einen Slowaken genau nach seinen Vorstellungen haben will, er sich die Mühe machen und ihn selbst erschaffen muss?”, heißt es in dem 2009 erschienenen Buch, das heute geradezu prophetisch wirkt. Immer wieder wird konkret auf Thomas Bernhard Bezug genommen, und nicht nur dieser, sondern auch Ex-Bundespräsident Kurt Waldheim (und sein SS-Pferd) sind in einer Szene auch fotografisch präsent. Viele Gründe also für eine künftige Einladung der Aufführung zu den Wiener Festwochen oder ans Burgtheater, zumal Regisseur Dušan David Pařízek in Wien bestens bekannt ist: Seine triumphale Uraufführung von “Die lächerliche Finsternis” 2014 im Akademietheater verhalf dem Burgtheater in der Saison zum Titel “Theater des Jahres”.
In Bratislava wurde die Wiederaufnahme gestern mit stehenden Ovationen gefeiert. Und die Erklärung, die anschließend verlesen wurde, war unmissverständlich. Sie erinnerte an die in der slowakischen Verfassung garantierte Freiheit der Kunst und sprach die angespannte Situation direkt an. Man befinde sich nicht in einem Richtungsstreit zwischen modernen und klassischen oder nationalen oder kosmopolitischen Auffassungen. “Manche Leute stört nur die Tatsache, dass wir ein THEATER sind – ein Ort zum Denken, zum Hinterfragen. Wir sollten aufhören zu zeigen, wer wir sind und wer sie sind.” Die Forderungen nach freien Bedingungen für freies Schaffen und dessen Präsentation, einer Transparenz der Auswahlverfahren und nach Formulierung klarer und nachvollziehbarer Schritte im Ministerium sind natürlich politisch. Sie sollen künftig nach jeder Vorstellung verlesen werden. Am Freitagabend fanden sie deutliche und lautstarke Unterstützung des Publikums.
Ex-Präsidentin Zuzana Čaputová bedankte sich in der anschließenden Diskussion für die Inszenierung – “und auch dafür, womit sie sich auseinandersetzt, da sie ins Lebendige schneidet”. Keinen Zweifel ließ sie daran, auf welcher Seite sie steht: “Ich danke Ihnen für das, was Sie tun, dass Sie sie sich engagieren, weil ihre Themen universal sind, uns alle betreffen. Und danke auch dafür, dass dies ein freier Raum ist, der diesen Dialog ermöglicht.”
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E – https://kulturnystrajk.sk/)