Von: mk
Moskau – In Russland breitet sich die schleichende Furcht einer tatsächlichen Niederlage im Angriffskrieg gegen die Ukraine aus. Offizielle Stellungnahmen dazu gibt es natürlich nicht. Doch an anderer Stelle werden die Ängste deutlicher. Vor allem in den prorussischen Telegram-Kanälen hinterlässt die Gegenoffensive der Ukraine immer tiefere Spuren, schreibt der Merkur.
„Die Front bricht zusammen“, stand am Mittwochabend etwa bei „Alex Parker Returns“ – einem Kanal, dem immerhin 153.000 Personen folgen. Demnach wird befürchtet, dass ukrainische Truppen bald die besonders hart umkämpfte Kleinstadt Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk beherrschen könnten. Wenn alles so weiterlaufe, müsse die Stadt „bald aufgegeben“ werden, hieß es.
Im Kanal „Alex Parker Returns“ wird für die Schwierigkeiten die Tatsache verantwortlich gemacht, dass es keine zweite Wagner-Gruppe gebe, die den Kampf dort übernimmt. Die Söldner rund um den verstorbenen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatten im Gebiet Donezk unter hohen Verlusten die Stadt Bachmut erobert. Ein Rückzug aus der mittlerweile völlig zerstörten Stadt wäre für den russischen Präsidenten Wladimir Putin zwar aus militärstrategischer Sicht kein allzu großer Verlust. Allerdings würde eine Niederlage symbolisches Gewicht haben.
In der Zwischenzeit kritisierte auch der Militärjournalist Roman Saponkow die Situation. Seinen Informationen zufolge hätten die russischen Einheiten offenbar die Dörfer Klischtschijiwka und Andrijiwka verlassen. Auch die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar bestätigte nach einem Dementi dann doch am Morgen die Einnahme von Andrijiwka.
Sorgen bereiten den Russen offenbar die ukrainischen Vorstöße an der Südfront. Nach dem Teil-Durchbruch an der russischen Hauptverteidigungslinie bei Robotyne hoffen die Ukrainer auf einen größeren Durchbruch, der einen Vorstoß der mechanisierten Verbände möglich macht. Das versucht Russland zu verhindern und setzt zunehmend auf Verteidigung.
Das strategische Konzept der „aktiven Verteidigung“, das Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow implementiert hat, besteht aus einer Mischung aus Verteidigungsmanövern und Gegenangriffen. Russland rotiert seine Truppen regelmäßig an der Front, um diese bei Offensiv- und Defensivoperationen abzuwechseln. Zuletzt zog Moskau allerdings Truppen aus Kupjansk ab, ohne sie zu ersetzen, nachdem der Druck an der Südfront zu groß geworden war, schreibt Focus online.
Der australische Ex-General Mick Ryan sagt, der Kreml sei darauf aus, den für ihn nützlichen Krieg so lange wie möglich andauern zu lassen. Während Putin auf die einsetzende Kriegsmüdigkeit hofft, versucht Kiew aus Ryans Sicht, den Krieg so schnell wie möglich erfolgreich zu beenden, um das Leid der Bevölkerung so gering wie möglich zu halten.
Auch laut Mychajlo Podoljak, dem Berater des ukrainischen Präsidenten, ist das aktuelle Ziel der Russen momentan, die Kampfhandlungen für mindestens vier bis fünf Monate herunterzufahren. Die Pause sei einerseits nötig, um die Armee mit Hilfer einer weiteren Mobilisierungswelle, mit zusätzlichem Training und Nachschub sowie dem Aufbau neuer Produktionsstätten aufzurüsten. Andererseits wolle Russland die Pause auch nutzen, um weitere Unterstützer in einer „Koalition der Kriegsmüden“ hinter sich zu vereinen. Eines dieser Länder sind die USA. Putin hofft offenbar, dass Donald Trump Anfang 2025 wieder zum US-Präsidenten gewählt ist und auf Grundlage seines „America First“-Ansatzes die Ukraine-Hilfen auf ein Minimum reduziert.
„Jede Pause wird zwangsläufig zu einer weiteren Eskalation führen“, schreibt Podoljak auf X, vormals Twitter. Es sei wichtig, zu erkennen, dass nur militärische Niederlagen Russlands in den besetzten Gebieten zu einer realistischen Aussicht auf Frieden führen würden.