Von: apa
“Europa kämpft”: Mit diesen Worten hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch ihre Rede zur Lage der Union im Straßburger EU-Parlament begonnen. Von der Leyen kündigte einen Stopp der Zahlungen der EU-Kommission an Israel, einen Fahrplan für Verteidigung bis 2030, strengere Maßnahmen gegen Schlepper sowie Initiativen für Wohnen und saubere Energie an. Sie appellierte an die EU-Länder und die Institutionen um “Geschlossenheit”.
“Was in Gaza geschieht, ist inakzeptabel”
Harte Worte fand die Deutsche zum Krieg in Nahost: “Was in Gaza geschieht, ist inakzeptabel.” Es sei für viele Bürgerinnen und Bürger schmerzhaft, “dass sich Europa nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen kann”. Sie kritisierte, dass sich die EU-Staaten bisher nicht auf die vorgeschlagene Aussetzung der israelischen Beteiligung am EU-Forschungsprogramm einigen konnte; auch Österreich war hier dagegen gewesen. Die Kommission schlage daher ein Maßnahmenpaket vor.
Die Kommission selbst werde ihre bilaterale Unterstützung für Israel aussetzen. Dem Rat der EU-Länder werde ihre Behörde Sanktionen “gegen die extremistischen Minister und gegen gewalttätige Siedler” sowie eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens im Bereich des Handels vorschlagen. Sie sei sich bewusst, dass es schwer werde, eine Mehrheit dafür zu finden. Die Deutsche bekräftigte, sie fühle sich dem israelischen Volk schon seit langem freundschaftlich verbunden. Viele Abgeordnete hatten das mangelnde Engagement der EU wegen der katastrophalen humanitären Lage in Gaza kritisiert.
Israels Außenminister Gideon Saar zeigte sich kritisch und sagte laut dpa, die EU-Kommissionspräsidentin gebe dem Druck von Kräften nach, die die Beziehungen zwischen Israel und Europa untergraben wollten. Die EU ist in der Frage, ob und wie Sanktionen gegen Israel erfolgen sollen, gespalten. Außenministerin Beate Meinl-Reisiniger (NEOS) hatte sich zuletzt gegen eine Aussetzung des EU-Israel-Abkommens, aber für Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland ausgesprochen. Zur Höhe der bilateralen Zahlungen, die die Kommission selbst gegenüber Israel nun stoppen will, machte die Behörde am Mittwoch vorerst keine Angaben.
EU-US-Handesdeal verteidigt, Sanktionen gegen Schlepper
Von der Leyen verteidigte in ihrer Rede auch den vielfach kritisierten EU-USA-Handelsdeal, den sie mit US-Präsident Donald Trump geschlossen hatte: “Wir haben das Bestmögliche für Europa herausgeholt.” Zugleich betonte sie, Europa müsse “unsere Diversifizierungsanstrengungen und unseren Einsatz für Handelspartnerschaften verdoppeln”. Als Beispiel für globale Abkommen nannte sie Mercosur, das auch in Österreich umstrittene Abkommen mit südamerikanischen Staaten. Die Texte liegen derzeit zur Billigung bei den EU-Staaten.
Der Vorschlag der Kommission für das nächste mehrjährige EU-Budget sieht dreimal mehr Mittel für Migration vor, betonte von der Leyen. Sie kündigte ein härteres Vorgehen gegenüber Schleppern und Menschenhändler mit einem neuen Sanktionsregime an. Dieses soll ermöglichen, ihre Vermögenswerte einzufrieren, Bewegungsmöglichkeiten einzuschränken sowie Gewinne zu kappen. Die neue europäische Rückführungsrichtlinie sowie der Asyl- und Migrationspakt müssten schnell umgesetzt werden, fordert sie. Er werde aber “nur funktionieren, wenn alle ihren Anteil leisten”. Der Pakt muss bis Mitte 2026 umgesetzt werden.
“Europa kämpft”
Europa kämpfe “einen Kampf für einen unversehrten Kontinent in Frieden”, für ein “freies und unabhängiges Europa” und “für unsere Freiheit und dafür, dass wir selbst über unser Schicksal bestimmen können”, betonte von der Leyen. In “einer Welt mit Großmachtfantasien und imperialistischen Kriegen” müsse ein “neues Europa entstehen”, dass über sein eigenes Schicksal bestimmt, appellierte sie an die EU-Abgeordneten. Angesichts der zunehmenden Kritik an ihr aus dem EU-Parlament und auch von einigen EU-Staaten forderte sie die “Geschlossenheit der Mitgliedstaaten untereinander” und der EU-Institutionen ein.
Gemeinsam mit der Ukraine und weiteren Partnern wolle sie einen Gipfel für die Rückkehr ukrainischer Kinder organisieren. Der Krieg müsse “mit einem gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine enden”. Nie zuvor habe Russland so viele Drohnen und ballistische Raketen bei einem einzigen Angriff eingesetzt wie vergangene Woche. Angesichts der vergangene Nacht über Polen abgefangenen russischen Drohnen erklärte die Deutsche: “Europa steht auf der Seite Polens.” Sie fordert “mehr Druck” auf Russland.
Europa müsse dringend an einer neuen Lösung arbeiten, um auf Grundlage der eingefrorenen russischen Vermögenswerte die ukrainischen Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Vermögenswerte selbst blieben davon unberührt, betonte sie aber. Ein neues Programm namens “Qualitative Military Edge” soll Investitionen in die Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte unterstützen, beispielsweise Drohnen. Von der Leyen kündigte an, beim nächsten EU-Gipfel einen Fahrplan für neue gemeinsame Verteidigungsprojekte vorlegen zu wollen, um “klar definierte Ziele für 2030” festzulegen. Auch ein “Europäisches Semester für Verteidigung” soll kommen.
Schwächelnde Wirtschaft unterstützen
Die konservative Politikerin kündigte in ihrer Rede auch ein Batterie-Booster-Paket und einen Industrial Accelerator Act (Gesetz zur industriellen Beschleunigung) für innovative und strategische Industrien sowie ein neues, langfristiges Instrument für Stahl-Schutzmaßnahmen an. Die aktuellen Stahlmaßnahmen laufen 2026 aus. Um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu senken, soll auch mehr Atomenergie erzeugt werden. Auch eine Botschaft an die Autoindustrie hat die Deutsche: “Die Zukunft der Autos muss in Europa geschrieben – und die Autos der Zukunft müssen in Europa hergestellt werden.”
Ein neuer Rechtsakt für hochwertige Arbeitsplätze, eine neue Strategie zur Armutsbekämpfung sowie Pakete für erschwingliche Lebenshaltungskosten sollen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger abfangen. Ein erster europäische Plan für erschwinglichen Wohnraum soll Wohnen erschwinglicher, nachhaltiger und hochwertiger machen. Eine Überarbeitung der EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen soll mehr Maßnahmen zur Unterstützung des Wohnungsbaus ermöglichen, ein EU-Wohnraum-Gipfel einberufen werden.
Ein neues Europäisches Zentrum für demokratische Resilienz sowie ein neues Programm für Medienresilienz sollen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie unabhängigen Journalismus und Medien fördern. Der Zugang von Kindern zu sozialen Medien sollte stärker beschränkt werden, fordert die siebenfache Mutter. Nachdem es Altersgrenzen für Rauchen und Trinken gebe, sollte dies auch für Social Media eingeführt werden.
Viel Kritik aus dem EU-Parlament
Nach ihrer ersten Rede nach ihrer Wiederwahl und nach einem abgelehnten Misstrauensvotum stellte sich die Deutsche der Debatte mit den EU-Abgeordneten in Straßburg. Bereits währende der Rede musste Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mehrfach Abgeordnete, die mit Schreien unterbrachen, zur Ruhe mahnen, und auch Saalverweisungen androhen. Der Großteil der Abgeordneten zeigte sich sehr kritisch gegenüber der Kommissionspräsidentin und ihren Ankündigungen; einige forderten gar ihren sofortigen Rücktritt.
“Die EU ist in einer ihrer schwierigsten Stunden überhaupt in der Nachkriegszeit”, sagte FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky im EU-Parlament. Er warf von der Leyen vor, den Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Sanktionspaketen zu “befeuern”. ÖVP-Delegationsleiter Reinhold Lopatka begrüßte gegenüber der APA im Wesentlichen die Inhalte der Rede, bis auf jene zu Israel. “Die Kommissionspräsidentin hat richtigerweise klargemacht: Wettbewerbsfähigkeit ist eine Zukunftsfrage für Europa.” Kritisch sehe er die Aussagen zu Israel: “Es ist ein falscher Schritt, das Assoziierungsabkommen jetzt auszusetzen.”
SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder erklärte, eines der größten Probleme der Europäerinnen und Europäer seien die Lebenskosten und vor allem die Wohnungskosten. “Wohnen darf kein Luxus werden, wohnen ist ein Grundrecht.” Es sei höchste Zeit, “ins Tun zu kommen”, so der Koordinator der S&D-Fraktion im Wohnausschuss. “Herzlichen Dank, dass Sie jetzt sagen, dass das russische Vermögen in die Ukraine gehört. Als Leihe zunächst. Aber bitte tun sie es endlich!”, sagte NEOS-Delegationsleiter Helmut Brandstätter im Plenum. Der grüne Delegationsleiter Thomas Waitz begrüßt in einer Aussendung zwar die Aussagen zu Gaza, kritisiert aber fehlende Visionen gegen die soziale Spaltung in der EU.
“Es ist enttäuschend, dass die Rede zur Lage der Union keine konkreten Maßnahmen zur dringend notwendigen Entlastung von unnötiger Bürokratie beinhaltete. Dieses Ziel könnte von der Leyen zum Beispiel mit Erleichterungen bei der Entwaldungsverordnung schnell erreichen,” kritisiert Konrad Mylius, Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich. “Die Weichen sind gestellt. Jetzt muss Europa aber auch tatsächlich das Abstellgleis verlassen und in Fahrt kommen, sonst droht uns eine Verspätung, die wir nicht mehr aufholen können”, erklärte Jochen Danninger, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) laut Aussendung.
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