Von: mk
Kiev – Seit 564 Tagen führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Während die meisten Menschen in Europa die russische Aggression verurteilen, fallen die Lösungsvorschläge durchaus verschieden aus. Auch ob die Gegenoffensive der Ukraine von Erfolg gekrönt sein wird, schätzen viele unterschiedlich ein. Doch wie denkt die Bevölkerung in der Ukraine darüber? Eine Umfrage bringt erstaunliche Geschlossenheit ans Licht.
Das ukrainische Umfrageinstitut Democratic Initiatives Foundation hat für Bild am Sonntag eine repräsentative Umfrage durchgeführt. 1025 Menschen, die in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten leben, wurden befragt.
Das Ergebnis: Eine übergroße Mehrheit von 90 Prozent glaubt daran, dass die ukrainische Armee das gesamte Gebiet der Ukraine zurückerobern kann. Nur sechs Prozent halten dies nicht für möglich.
Die Zahl ist deshalb erstaunlich, weil die ukrainischen Geländegewinne im Rahmen der Gegenoffensive bislang relativ klein sind. Doch die Ukrainer sind fest entschlossen, sich weiterhin gegen die russische Armee zu wehren. 83 Prozent der Befragten befürworten eine weitere Gegenoffensive im nächsten Jahr, sollte die Ukraine in diesem Jahr nicht genügend Erfolge erzielen. Tatsächlich hatte sowohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (45) als auch sein Außenminister Dmytro Kuleba (42) bereits öffentlich bekanntgegeben, dass dies auch der Plan der Regierung sei.
Die Frage über mögliche Verhandlungen mit Russland wird in der Bevölkerung hingegen weniger entschieden abgelehnt als von der ukrainischen Regierung. 30 Prozent antworten auf die Frage, ob sie direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gut fänden, um den Krieg zu beenden, mit Ja. Immerhin 63 Prozent lehnen dies aber nach wie vor ab – ebenso wie das Militär und Soldaten, die direkt an der Front kämpfen. Für sie gibt es keinen anderen Weg, um Russland und Wladimir Putin die Grenzen aufzuzeigen. “Verhandlungen mit dem Feind wären derzeit das Unklügste, was wir tun könnten. Es wäre so, als ob wir das Bluten einer Wunde nicht stoppen, sondern darauf warten würden, bis sie sich unheilbar entzündet”, erklärte ein Soldat an der Achse der Gegenoffensive gegenüber dem Welt-Chefreporter Ibrahim Naber.
Interessant ist auch: Neun Jahre nach der Annexion der Krim durch Russland würden es 40 Prozent der Ukrainer nicht als Niederlage empfinden, wenn die Halbinsel nach dem Krieg in russischer Hand bliebe. Nur für 50 Prozent wäre das ein Rückschlag. Die Spaltung bei dieser Frage ist insofern spannend, da die Regierung in Kiew als Bedingung für Friedensgespräche die Wiederherstellung der Grenzen vor Februar 2022 gestellt hat – einschließlich der im Jahr 2014 von Russland annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim.
Klar abgelehnt wird hingegen in der Bevölkerung laut Umfrage die Idee aus dem Umfeld der NATO, die Ukraine könne um des Friedens willens auf Teile ihres Territoriums verzichten, dafür aber die NATO-Mitgliedschaft erhalten. 86 Prozent der Befragten waren klar dagegen.
In Zusammenhang mit der Unterstützung aus Deutschland sind die Ukrainer gespalten: 43 Prozent sind nicht zufrieden mit den deutschen Waffenlieferungen, die bisher erfolgt sind, 40 Prozent hingegen schon. 17 Prozent waren bei der Frage unentschlossen. In Bezug auf den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und die Frage, ob er eine führende Position bei möglichen Verhandlungen mit Russland einnehmen sollte, fällt die Meinung klarer aus: 52 Prozent sind dagegen und nur 28 Prozent dafür.
Die Umfrage zeigt auch auf, wie schrecklich der russische Angriffskrieg in der Ukraine gewütet hat. 85 Prozent der Befragten kannten jemanden, der seit dem 24. Februar 2022 im Krieg ums Leben gekommen ist.