Wende nach dem Eklat

Weltverband hebt Suspendierung ukrainischer Fechterin auf – Startplatz für Olympia

Montag, 31. Juli 2023 | 10:12 Uhr

Mailand – Die vierfache Säbel-Weltmeisterin aus der Ukraine Olha Charlan hat bei der WM in Mailand ihrer russischen Gegnerin den Handschlag verweigert und ist deshalb disqualifiziert worden. Nun erhält sie vom IOC einen Startplatz für Olympia 2024.

Der Fecht-Weltverband FIE hat die Suspendierung der Ukrainerin aufgehoben. Die FIE änderte zudem ihre Regeln und erklärte den Handschlag nach einem Gefecht für nicht mehr verpflichtend, teilte Bruno Gares, Mitglied des FIE-Exekutivkomitees, auf einer Pressekonferenz mit.

Charlan hatte am Donnerstag nach ihrem Gefecht gegen die Russin Anna Smirnowa den Handschlag verweigert und war daraufhin disqualifiziert worden – wegen „unsportlichen Verhaltens“.

Die Ukrainerin hatte am Donnerstag in der Runde der letzten 64 die Russin Anna Smirnowa klar mit 15:7 besiegt. Die 23-Jährige durfte in Mailand unter neutraler Flagge antreten. Als sie mit ausgestreckter Hand auf sie zugegangen war, hatte Olha Charlan nur kurz den Kopf geschüttelt und der Russin den Säbel entgegengehalten. Nach ihrer Niederlage weigerte sich Smirnowa die Planche zu verlassen, und forderte mittels 45-minütigen Sitzstreiks die Disqualifikation ihrer Gegnerin, die dann auch erfolgte – zunächst zumindest.

Brief von IOC-Präsident

Die Entscheidung blieb allerdings nicht ohne Kritik und sorgte für Diskussionen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte wenige Stunden danach die internationalen Sportverbände aufgefordert, sensibel mit dem Aufeinandertreffen zwischen Athletinnen und Athleten aus der Ukraine und Russland umzugehen, berichtet die Online-Ausgabe der Zeit. Auch in anderen Sportarten wie Tennis reichen ukrainische Profis Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus nicht die Hand.

IOC-Präsident Thomas Bach hat Charlan am Freitag außerdem eine Startplatzgarantie für die Olympischen Spiele 2024 in Paris gegeben. „Angesichts deiner besonderen Situation wird dir das Internationale Olympische Komitee einen zusätzlichen Quotenplatz für die Olympischen Spiele Paris 2024 zuweisen, falls du dich in der Zwischenzeit nicht qualifizieren kannst“, schrieb Bach am Freitag in einem persönlichen Brief an die Säbelfechterin. Der ukrainische Sportminister Vadym Hutzajt hat den Brief veröffentlicht.

“Für mich ist es unmöglich, mir vorzustellen, wie Sie sich in diesem Moment fühlen”, schrieb Bach. Er versprach der Ukrainerin „volle Unterstützung“.

„Die Regeln müssen sich verändern, weil sich die Welt verändert“

Charlan hat sich auch selbst zum Vorfall geäußert. „Das Land, das unseren Staat, unser Volk und unsere Familien terrorisiert, terrorisiert auch den Sport“, erklärte die Fechterin nach ihrer WM-Disqualifikation. Niemand könne jemals zum Frieden gezwungen werden. „Die Regeln müssen sich verändern, weil sich die Welt verändert.“

Russland wird für zahlreiche Kriegsverbrechen und Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine verantwortlich gemacht. Eklatantestes Beispiel, das weltweit einen Schrei der Entrüstung hervorgerufen hat, ist das Massaker von Butscha. 458 Leichen wurden im Frühjahr 2022 in der ukrainischen Ortschaft gefunden, von denen 419 Anzeichen dafür trugen, dass die Opfer erschossen, gefoltert oder erschlagen worden waren. Nach Abzug der russischen Truppen berichteten Vertreter der Ukraine, in Butscha noch lebende Bewohner sowie dort eingetroffene Journalisten von während der russischen Besatzung erschossenen Frauen und Kindern, von vergewaltigten und anschließend getöteten Frauen, deren Leichname nackt hinter Hecken oder in Gebäuden zurückgelassen wurden.

Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine überlagert der Umgang mit den Athletinnen und Athleten aus Russland immer wieder sportliche Fragen. So ist zum Beispiel ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris noch immer nicht geklärt, ob Sportler aus Russland als neutrale Athleten antreten dürfen. Das IOC will zu gegebener Zeit darüber entscheiden.

Außerdem wird das Thema je nach Sportart bei Wettkämpfen derzeit ganz unterschiedlich gehandhabt. Die Verbände finden keine einheitliche Linie, berichtet der WDR. Bei der Schwimm-WM in Japan etwa durften Russen und Belarussen nicht antreten. Anders sieht es beim Tennis und im Fechten aus.

Wie mit russischen Sportlern umgehen?

ARD-Sportjournalist Robert Kempe sprach von einer „Zerreißprobe“ im internationalen Sport. Die Folge sei ein immenser „Imageschaden“. Kempe findet die Empfehlungen des IOC in dieser Hinsicht zu schwammig: Demnach sollen keine Sportlerinnen und Sportler teilnehmen dürfen, die aktiv den russischen Krieg unterstützen. Doch an was man die Gesinnung misst, lässt sich schwer sagen.

Fechterin Léa Krüger, die den Verband Athleten Deutschland vertritt, ist für eine klare Handhabe: Der Ausschluss russischer Athleten sei ihrer Ansicht nach der einzige Weg, um “ein bisschen Ruhe reinzubringen”.

Die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht es ähnlich. “Russland hat im Moment im internationalen Sport nichts zu suchen”, twitterte die SPD-Politikerin. Die volle Solidarität des Sports müsse der Ukraine gelten.

Von: mk