Zwei Großprojekte im Vergleich

Brücken durch die Zeit

Samstag, 21. Juni 2025 | 17:43 Uhr

Von: mk

Franzensfeste – Zwei monumentale Bauwerke: die Festung Franzensfeste und der Brenner Basistunnel. Eines sollte abwehren, das andere verbinden. Beide forderten und fordern enorme menschliche und finanzielle Ressourcen. In der Ausstellung „Brücken durch die Zeit: Architektur des Unsichtbaren“ werden Fotografien zum Bau des BBT des Tiroler Fotografen Gregor Sailer dem Bau der Festung Franzensfeste gegenübergestellt.

Der Bau von Großprojekten wie der Festung (gebaut zwischen 1833 und 1838) und dem Brenner Basistunnel (BBT), einem der größten Infrastrukturprojekte Europas, hinterlässt deutliche Spuren in Landschaft und Gesellschaft. Sie sind technische Meisterwerke, aber auch Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels und des menschlichen Eingriffs in Natur und Umwelt – mit langfristigen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Die heute in der Festung Franzensfeste eröffnete Ausstellung „Brücken durch die Zeit: Architektur des Unsichtbaren“ stellt die Fragen: Wer sind die Menschen, die hier bauen? Für wen bauen sie? Und mit welchen Folgen für Natur, Gesellschaft und Geschichte? Auch lädt sie dazu ein, über die Geschichte und Zukunft des Alpenraums nachzudenken und genauer hinzuschauen, auch auf das, was oft übersehen wird: die Arbeit im Verborgenen, Landschaften, die sich verändern, Spuren, die bleiben, Menschen, die im Schatten stehen.

Die Erzählung des BBT übernimmt der Tiroler Fotograf Gregor Sailer: 2023 und 2024 begleitete er mehrere Monate lang das Baugeschehen rund um das monumentale Vorhaben – über und unter Tage, nördlich und südlich des Brenners. Mit seiner analogen Großformatkamera hielt er die verborgene Welt der Baustellen mit ihren enormen Tunnelräumen, Maschinen und landschaftlichen Umbrüchen fest. Die entstandenen Bilder (Fotografien und eine Videoinstallation) beleuchten die gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Dimensionen des Projekts. Sie sind kühl und menschenleer, lenken den Blick auf Strukturen und ihre Wirkung und erzählen von architektonischer Ästhetik. Sailer erklärt, er sei mehr an den Spuren und Zeichen des Menschen interessiert als an dessen Abbild. Oft würde die surreale Atmosphäre, die den Aufnahmeorten ohnehin anhaftet, durch das Nichtzeigen des Menschen weiter gesteigert.

Dem gegenüber steht die Festung als Symbol imperialer Macht, errichtet von vielen, meist namenlosen Arbeitern. Bis zu 4.500 Menschen aus dem gesamten Habsburgerreich sollen an ihrem Bau beteiligt gewesen sein, auch Frauen; rund 670 Fachkräfte stammten aus Tirol, der Großteil waren Militärangehörige aus dem Habsburgerreich: Regimenter aus Salzburg, Tiroler Schützen, Soldaten aus Serbien und Bergleute aus Niederösterreich. Zum Vergleich: Heute sind rund 1.500 Arbeiter beim BBT im Einsatz, auf Südtiroler Seite stammen viele aus Kalabrien. Ihre Präsenz prägt Orte wie Franzensfeste oder Mauls – jedoch nur temporär.

Gemeinsam haben sie auch die Kontroversen, beide Bauwerke waren umstritten: Hielten im 19. Jahrhundert Militärs die Franzensfeste für überholt, sind es heute vor allem Umweltverbände, Bürgerinitiativen und politische Stimmen, die vor hohen Kosten, unklarem Nutzen, Eingriffen in Landschaften und sensiblen Ökosystemen sowie Risiken für das Trinkwasser warnen.

Ein weiteres gemeinsames Merkmal der beiden Bauvorhaben betrifft die Migration: Schon beim Bau der Festung Franzensfeste kamen Menschen aus verschiedenen Regionen zusammen. So auch heute beim BBT. Push-Faktoren wie Armut und Arbeitslosigkeit und Pull-Faktoren wie sichere Jobs und bessere Löhne bestimmen Migrationsbewegungen damals wie heute.

In puncto Sicherheit gibt es hingegen Unterschiede: Beim Bau der Franzensfeste gab es kaum Schutz. Unfälle, Epidemien wie Cholera und fehlende Absicherung bestimmten den Alltag. Erst Jahrzehnte später wurden die ersten Arbeitsschutzgesetze eingeführt. Beim Bau des BBT hat die Sicherheit hingegen höchste Priorität: Bereits in der Planungsphase wurden Notfallsysteme wie eine Laser-Branderkennung und Spezialfahrzeuge für Einsätze bei schlechter Sicht oder Sauerstoffmangel integriert. Dennoch bleibt der Tunnelbau riskant. Hinzu kommen psychische Belastungen: Schichtarbeit stört den Schlafrhythmus und die Isolation sowie die Dunkelheit führen oft zu Erschöpfung oder Angstzuständen. Viele leben monatelang fernab ihrer Familien.

Die Ausstellung wurde von Esther Erlacher, Stefan Graf und Patrick Moser kuratiert und findet im Rahmen des Euregio Museumsjahres 2025 „Weiter sehen“ statt. Zu sehen ist sie bis Anfang November.

Sie wurde heute in der Festung Franzensfeste von Direktor Emanuel Valentin, den beiden Kurator:innen Esther Erlacher und Patrick Moser in Anwesenheit des Tiroler Fotokünstlers Gregor Sailer eröffnet.

Gregor Sailer (geb. 1980 in Schwaz, Tirol) studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie und Experimentalfilm an der Fachhochschule Dortmund, wo er nach dem Diplom auch seinen Master in Photographic Studies absolvierte. Seine Arbeiten führen ihn häufig an entlegene oder politisch aufgeladene Orte, wo er inszenierte Bilder zwischen Dokumentation und Kunst schafft. Sailers Werk wurde international ausgestellt und vielfach ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Vomp in Tirol.

Bezirk: Wipptal

Kommentare

Aktuell sind 0 Kommentare vorhanden

Kommentare anzeigen