"Sind glücklich"

Das Teatro la Ribalta – Kunst der Vielfalt erhält den HYSTRIO Preis

Samstag, 17. Juli 2021 | 16:34 Uhr

Bozen – Das Theatermagazin Hystrio verleiht alljährlich den nationalen Hystrio Theaterpreis an Personen, Schauspieler sowie Theater- und Tanzkompanien, die sich durch den künstlerischen Wert ihrer Arbeit und die Qualität ihrer Produktionen auszeichnen. Den Preis vergibt eine renommierte Jury aus Fachleuten und Theaterkritikern der größten italienischen Zeitschriften. 2021 wurde der Hystrio-Preis in der Kategorie Altre Muse [Weitere Musen] dem Teatro La Ribalta –Kunst der Vielfalt (Bozen) verliehen.

“Somit wird erneut auf gesamtstaatlicher Ebene die künstlerische Qualität unseres Projektes anerkannt und unsere Mühe belohnt. Dies macht uns glücklich. Gegründet im Jahr 2014, hat es die Theaterkompanie in kürzester Zeit geschafft, als wichtiger Teil der Theaterlandschaft anerkannt und nicht als Sonderkategorie begriffen zu werden, obgleich die Truppe anders ist: seltsam, poetisch, mit vielen körperlichen und geistigen Asymmetrien und Schwierigkeiten, in gewisser Weise häretisch. Das war unser Ziel. So wollten wir werden und sein: ein Theater, eine Kompanie, eine Gemeinschaft von Schauspielern und Schauspielerinnen (attrici di-versi), die in der Lage sind, durch die Qualität ihrer Werke und ihrer Arbeitsethik im Rahmen eines lehrreichen Projektes und mit einer klaren kulturpolitischen Entscheidung weit über das Gewohnte hinauszugehen. Unter anderem geht es auch darum, Vorurteile zu besiegen, Inklusion zu praktizieren, die Paradigmen zu ändern, Vielfalt zu leben. Wir sind ein integraler, innovativer und aufrüttelnder Teil des Theatersystems und offen für neue Visionen. Eine künstlerische, gesellschaftliche und politische Utopie.  Ein Theater, in dem wir heilen und von unseren Wunden erzählen können, ein Ort, der uns erlaubt, in unsere Krankheiten zu schauen. Ein Ort, an dem wir uns mit dem Blut und dem Dreck von allem, was uns als ‘menschlich’ definiert, beschmutzen. Ein kranker Ort, ansteckend, in den wir Viren einschleusen, damit unser Immunsystem reagieren kann, sich verteidigt, Antikörper entwickelt, um uns zu vermenschlichen, anstatt uns zu immunisieren. Wir versuchen, in unserer täglichen Arbeit und Weiterbildung mit Leichtigkeit und Hartnäckigkeit dran zu bleiben. Wir versuchen, der Gesellschaft durch die Arbeit auf der Bühne jene ‘Schönheit’ und ‘Poesie’ zurückzugeben, die eine Gemeinschaft wachsen lässt. Manchmal haben wir Erfolg, manchmal scheitern wir, aber das ist das Risiko jeder Wette und wahrer künstlerischer Forschung”, so das Teatro La Ribalta.

“Unser Theaterabenteuer ist erst sieben Jahre alt, aber es waren sieben sehr intensive Jahre, in denen wir neun Theater- und Tanzaufführungen auf die Bühne gebracht und es darüber hinaus geschafft haben, unseren eigenen Probenraum zu eröffnen, eine Theatersaison in der Gemeinde Bozen zu organisieren und hochkarätige Ensembles und Schauspieler in die Stadt zu bringen. Wir haben ein regionales Festival organisiert und geleitet und 16 Mitarbeiter im Bereich der darstellenden Künste beschäftigt. Davon sind elf Schauspieler und Schauspielerinnen in Situationen ‘psychischer, mentaler und sozialer Benachteiligung’.  Wir sind darüberhinaus eine zweisprachige Truppe mit einem Repertoire an Aufführungen, die wir zum größten Teil sowohl in italienischer als auch in deutscher Sprache vorführen. Wir haben letzthin eine Koproduktion in Wales und eine in Frankreich verwirklicht. Auf regionaler Ebene realisierten wir jedes Jahr und jede Saison mehr als 35 Vorstellungen. Unsere Stücke, die wir in Bozen entwickelten, gingen in ganz Italien auf Tournee und wurden in Folge bei Theaterfestivals in Polen, Argentinien, Österreich, Deutschland, Spanien, Portugal, Belgien, Frankreich, Iran, England, der Schweiz und Russland aufgeführt.  Wir machten und machen weiterhin Theater- und Tanzworkshops, Praktika, ESF-Schulungen, Praktika mit neuen ‘Nutzern’, die an unserer Arbeit interessiert sind. Wir haben eine nationale Konferenz zum Thema ‘Die Krankheit, die das Theater heilt’, organisiert. Diese brachte Schauspieler und Schauspielerinnen, Choreographen, Regisseure, Akademiker und Theaterwissenschaftler (*innen) nach Bozen, um die Bedeutung der Theaterkunst in der heutigen Welt zu hinterfragen. All das führte auch zu drei Publikationen, für alle, die uns kennenlernen und die Materie vertiefen wollen. Durch die Anerkennung unserer Kulturarbeit als Initiative von gesamtstaatlichem Interesse seitens des Kulturministeriums, erhalten wir nun mit unseren Drei-Jahres-Projekten Fördermittel aus dem Fondo Unico dello Spettacolo und haben die höchste Punktzahl beim Qualitätskriterium erreicht”, heißt es weiter.

“All dies ist unser kulturelles und theatralisches Erbe, doch gehört nicht uns, sondern der ganzen Gemeinschaft, der Stadt Bozen und dem Land Südtirol, die an diese ‘konkrete Utopie’ geglaubt haben. Wo immer wir waren, haben wir mit unserer Tätigkeit den Wert einer Stadt und einer Provinz, welche die Kultur der sozialen Eingliederung unterstützen, unterstrichen. Wir haben innovative Ideen und Programme eingebracht, welche denjenigen, die als ‘anders’ definiert werden, neue Türen und neue Möglichkeiten der Lebensführung und Beschäftigung öffnen. Zugleich aber konnten wir so den Zuschauern neue Welten aufzeigen, die diese Wertschätzung erst entdeckten. Wir hatten von Anfang an den Anspruch, eine vollwertige Theatertruppe zu sein, kein ‘gesellschaftlich nützliches’ Projekt, sondern ein ‘kulturell notwendiges’ Projekt, dessen gesellschaftlicher Nutzen darin besteht, dass es ein Projekt für die Öffentlichkeit ist. Wo sein gesellschaftlicher Nutzen darin besteht, vollwertiges Theater zu sein. Der Hystro Preis 2021 gesellt sich in unserer Vitrine zu etlichen anderen Auszeichnungen wie den UBU-Spezial-Preis, den ANCT Theatre Critics Award, zwei Eolo Awards für die Produktion von Stücken für Kinder und Jugendliche und einen Preis für Figurentheater. Wir nutzen diese Anerkennung des Theatermagazins Hystrio, um einen dringenden Appell an die öffentliche Verwaltung zu richten. Unser Wachstum ist das Ergebnis harter, anspruchsvoller Arbeit, doch das derzeit zu leistende Arbeitspensum ist nicht mehr tragbar. Wir sind nicht mehr die Theaterkompanie, die wir vor ein paar Jahren waren und unsere menschlichen und wirtschaftlichen Ressourcen, die unverändert geblieben sind, reichen nicht mehr aus, um unsere Arbeit mit Würde, Professionalität und Ehrgeiz fortzusetzen. Wir riskieren zu implodieren. Darum ist jetzt die Zeit reif, um eine neue Vision zu entwerfen, das unserem Projekt ein neues Zuhause, einen neuen Impuls, einen neuen Einsatz und eine neue Chance gibt. Darum haben wir ein neues Projekt, ‘TRAUM 381 space’ entworfen und als Vorschlag den Öffentlichen Institutionen unserer Region unterbreitet. Es sieht die Schaffung eines neuen kulturellen Zentrums in der Stadt vor; eines Ortes, an dem mehr als 20 bis 25 als ‘benachteiligt’ geltende Personen arbeiten, wachsen, einen Job finden oder erfinden, diesen Raum leiten und verwalten können. Ein kulturelles Zentrum, in dem ein bewährtes künstlerisches Kernteam sowie andere Vereine, Genossenschaften und Theaterprofis ein kleines, aber gut ausgestattetes Theater, eine Bar, ein Restaurant, einen Ort für musikalische und theatralische Aufführungen betreiben können”, so die Theaterleute.

“Zudem retten wir dadurch ein altes Fabriksgebäude, das wir durch diese kulturellen Aufwertung sinnvoll der Gemeinschaft rückerstatten. In vielen Städten Europas finden wir solche Orte, welche die Stadtteile beleben und Angebote und Aktivitäten vervielfachen. Dieser Raum wird nicht mehr nur der Sitz unseres Unternehmens sein, sondern ein offener Raum, ein öffentlicher Ort für neue kulturelle Projekte und Akteure, die sich zusammenschließen, um das Projekt gemeinsam zu leiten. Ein Raum, der vor allem unserer Schaffenskraft gewidmet ist. Ein Raum, der aber auch einen interdisziplinärem Charakter hat, denn es ist schwierig, in bereits bestehenden Strukturen der Stadt, die von Gastgewerbe und ansässigen Unternehmen belegt sind, Räume zu finden. Es soll aber auch ein Ort für ‘Künstler-Residenzen’ werden. Diese sind heute ein Wachstumsmotor für junge Künstler, die nach Räumen suchen. Sie verkörpern ein System, das in der Region bereits bekannt und anerkannt ist.

“Des weiteren es Künstlerresidenzen für junge Künstler geben, die auf der Suche nach einem Freiraum für ihre Kreativität sind. Einrichtungen dieser Art sind in der Region bereits bekannt. Wir glauben, dass diese ‘konkrete Utopie’, diese neue Herausforderung, vorstellbar, nützlich, notwendig und möglich ist.  Auch aus notwendigen pragmatischen Überlegungen heraus glauben wir an das Projekt ‘TRAUM 381’. Unseres Erachtens hätten sich die Bürger dieser Stadt und die gesamte Provinz einen solchen Raum verdient. Sollte der politische Wille vorhanden sein, so werden die Provinz und Gemeinde Bozen ein Projekt dieser Art unterstützen. Denn es hätte ohne Zweifel einen großen sozialen und kulturellen Mehrwert, der weit über unsere Landesgrenzen hinausginge”, schließt das Teatro La Ribalta.

 

Von: luk

Bezirk: Bozen