Im Auge des Orkans: Papageno (Schmutzhard) und Pamina (Nelsen)

“Die Zauberflöte” als Zeichenflöte in der Wiener Volksoper

Montag, 15. September 2025 | 08:10 Uhr

Von: apa

Die Volksoper ist in die neue Saison gestartet – und Freimaurer-Connaisseure schauen durch die Finger. Die neue “Zauberflöte” am Gürtel lässt jegliche Logen-Romantik beiseite und bietet stattdessen einen kinderfreundlichen Zugang in die Mozart/Schikaneder-Welt. Lotte de Beer macht aus der “Zauberflöte” einen Zeichentrickfilm, ein psychologisches Familiendrama, entsprungen dem Kopf eines Pubertierenden. Nichts für Puristen, in sich aber schlüssig und detailliert gearbeitet.

Aquarell-Märchen

Die Hausherrin inszeniert den Start in die neue Spielzeit selbst und hat ihren Barrie Kosky wohl gesehen, dessen heute schon legendäre Berliner Inszenierung mit den Animationen der Formation 1927 die Stoßrichtung vorgab. Die Wiener “Zauberflöte” kommt da allerdings weit reduzierter, zurückhaltender daher. In Aquarelltechnik entstehen auf einer flexiblen Leinwand die Welten der “Zauberflöte”, erwachsen dem Skizzenbuch und der Psyche eines Buben.

Die parabelhafte Märchenwelt der Oper wird hier psychologisch als Familiendrama eines streitenden Ehepaares gedeutet, das der Sohn als Konflikt von Sarastro und Königin der Nacht sublimiert. Die Tempelbrüder erscheinen gleich “Alice im Wunderland” als Schachfiguren, sowohl Prinz Tamino als auch sein Sidekick Papageno und letztlich sogar die Dienerfigur des Monostatos dienen als Alter Ego des pubertierenden Masterminds.

Die Interaktion zwischen Bühne und Leinwand fällt dabei weniger dezidiert aus wie bei Kosky, eher selten werden von den Bühnenfiguren explizit die Zeichnungen adressiert. Doch die filmische Umsetzung und die fragmentierte Leinwand als Metapher auf einen vom Buben in der Verzweiflung zerbrochenen Spiegel erlauben fließende Übergänge, schnelle Wechsel. Dies ist ein stimmiger Umgang mit der dramaturgisch nicht minder fragmentierten Vorlage.

Genaue Choreografie

Dabei arbeitet de Beer sehr genau in der Personenführung und der Bühnenchoreografie, erliegt nicht der Versuchung, sich allzu sehr auf das Leinwandgeschehen zu verlassen. Auf- und Abtritte ergeben hier Sinn, manch Librettozeile wird hier erst verständlich. Und zugleich kommt der Humor nicht zu kurz, wenn etwa die drei Damen mehr drei Golden Girls sind, mit dem herausragenden Haustrio Hedwig Ritter, Katia Ledoux und Jasmin White üppig besetzt. Daniel Schmutzhard untermauert hingegen gewohnt uneitel seine Position als der wohl führende Papageno des Landes.

Die Königin der Nacht der polnischen Sopranistin Anna Simińska ist nicht die koloraturstärkste ihres Fachs, liegt jedoch schon zu Beginn Marat-mäßig und suizidal in der Badewanne, bevor sie in ihrer Rachearie das Bild einer echten Wahnsinnigen bietet. Die Positionierung als verzweifelt um sich schlagende Ehefrau verleiht der Figur eine Facette abseits der barocken Furie, die von Stefan Cerny als gravitätischem Sarastro gespiegelt wird. Souverän-burschikos ergänzt die Pamina von Rebecca Nelsen den Talon der Darstellenden. Einzig der junge Tiroler David Kerber weicht hier mit seinem eher eng-nasalen Tenor vom stimmlichen Gesamtbild ab.

Barrierefrei für junge Menschen

Umspielt wird das Ensemble nach dem Rückzug von Musikdirektor Ben Glassberg nun von Tobias Wögerer am Pult, der meist elegant und schlank den Sängerinnen und Sängern das Primat überlässt – und damit den Charakter der Inszenierung spiegelt. De Beer verschlankt in ihrer Deutung der “Zauberflöte” den Interpretations- und Anspielungskosmos der Freimaureroper und des Volkstheaterstücks auf einen einzigen Strang, konzentriert sich auf ihre Linie.

Dabei weicht sie selten weit vom Libretto ab – wenn man von kleineren Beispielen wie der richtigen Entscheidung, die rassistische Komponente aus der Monostatos-Arie zu entfernen, absieht. Am Ende steht das, was “Die Zauberflöte” ungeachtet ihrer Fama meist eigentlich nicht ist: eine für junge Menschen barrierefrei zugängliche Oper mit Schauwert – wofür es von wenigen reiferen Zuschauern bei der Premiere am Ende sogar ein Buh gab.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E – “Die Zauberflöte” von Wolfgang Amadeus Mozart in der Volksoper, Währinger Gürtel 78, 1090 Wien. Musikalische Leitung: Tobias Wögerer, Regie: Lotte de Beer, Bühne/Illustrationen: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek, Licht: Alex Brok. Mit Tamino – David Kerber, Pamina – Rebecca Nelsen, Papageno – Daniel Schmutzhard, Papagena – Jaye Simmons, Sarastro – Stefan Cerny, Königin der Nacht – Anna Simińska, Erste Dame – Hedwig Ritter, Zweite Dame – Katia Ledoux, Dritte Dame – Jasmin White, Monostatos – Karl-Michael Ebner, Sprecher – Josef Wagner, Erster Priester – Daniel Ohlenschläger, Zweiter Priester – Aaron-Casey Gould, Erster Geharnischter – Seiyoung Kim, Zweiter Geharnischter – Aaron Pendleton, Drei Knaben – Wiener Sängerknaben, Ein Junge – Leopold Sommer, Kleine Pamina – Eliza Sloane. Weitere Aufführungen am 18., 21. und 28. September, am 3., 6., 15. und 18. Oktober, am 5., 9. 18. und 30. Dezember, am 7., 16., 18. und 21. Jänner, am 7., 15., 20. und 28. Februar, am 4., 15. und 23. März, am 4. und 14. Mai sowie am 8. Juni. www.volksoper.at/produktion/die-zauberflote-2025.1009322438.de.html)

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