Möglichkeiten und Grenzen von Aufarbeitung in der Kirche

Missbrauch in der Kirche: Kinderschutzexperte Zollner in Bozen

Freitag, 04. März 2022 | 16:07 Uhr

Bozen – Bei einer internen Weiterbildung für Verantwortliche der Diözese, der Ordensgemeinschaften sowie der kirchlichen Vereine und Verbänden hat der Jesuitenpater Hans Zollner, Kinderschutzexperte und Leiter des internationalen Safeguarding-Instituts (IADC) in Rom, heute im Bozner Pastoralzentrum die Möglichkeiten und Grenzen der Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche aufgezeigt. „Wie lernen wir, über Missbrauch zu sprechen und über das, was damit an Schmerz, Scham, Schuld und Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft verbunden ist?“, sagte Zollner.

Bischof Ivo Muser hat erst in diesen Tagen in seinem Hirtenbrief zur Fastenzeit unterstrichen, dass die Kirche an der Seite der Menschen sein muss, die Missbrauch, Erniedrigung und Gewalt erfahren haben. „Es tut weh zu erkennen, dass wir auch als Kirche hier gefehlt haben und fehlen, weil wir uns zu wenig den Opfern zugewandt haben, ihrer Not, ihrer Verletzung, ihrem großen Leid. Aufarbeitung und Prävention bleiben der Auftrag – als Kirche und als Gesellschaft. Ich erkenne, dass wir als Diözese uns noch deutlicher diesem Auftrag stellen müssen“, erklärt Bischof Ivo Muser.

Vor diesem Hintergrund haben heute unter der Leitung des Priesters und Psychologen P. Hans Zollner SJ im Bozner Pastoralzentrum zwei interne Weiterbildungsveranstaltungen stattgefunden, in denen es um Möglichkeiten und Grenzen von Aufarbeitung ging. Zollner ist ausgewiesener Kinderschutzexperte und seit 2014 Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. Der Jesuit Zollner hat 2012 das Centre for Child Protection (CCP) mitbegründet und ist seit 2021 Direktor des aus dem CCP hervorgegangenen internationalen Safeguarding-Instituts IADC (Institute of Anthropology/Interdisciplinary Studies on Human Dignity and Care). Zollner gilt als einer der wichtigsten Berater des Papstes zum Thema Missbrauch in der Kirche.

Im Austausch mit P. Zollner konnten die Fragen bearbeitet werden, was Aufarbeitung meint, wozu und wem Aufarbeitung dient sowie welches die ihre Grenzen sind. Ängste und Widerstände seien im Zusammenhang mit Aufarbeitung normal, so Zollner. Im Gespräch wurden die Bedeutung und die Folgen der Aufarbeitung aufgezeigt. Pater Zollner: „Ebenso wichtig wie eine Studie ist der Prozess, der damit einhergeht: Wie lernen wir, über Missbrauch zu sprechen und über das, was damit an Schmerz, Scham, Schuld und Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft verbunden ist?“

Bei der Weiterbildungsveranstaltung wurde unterstrichen, dass Prävention ohne Aufarbeitung weder den Betroffenen Gerechtigkeit verschaffe und Gefahr laufe, den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen vor Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt nicht fundiert voranzutreiben. Aufarbeitung erkunde die systemischen Voraussetzungen, die Missbrauch ermöglichen und decken, ohne dass für Betroffene, Täter und Gemeinden Verantwortung übernommen wurde. Diese Erkenntnisse ermöglichen Lernprozesse, die zu einem radikalen Umdenken und zu strukturellen Veränderungen führen. Für den Beauftragte der Diözese, Gottfried Ugolini, ergeben sich daraus „verbindliche Konsequenzen für die Präventionsarbeit heute und morgen. Das gilt sowohl für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen als auch für ein kompetentes Erkennen, sofortiges Eingreifen und standardisiertes Vorgehen im Falle eines Verdachtes oder eines Vorfalls von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt durch kirchliche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende.“

Ergebnis der Weiterbildung ist ein Konsens, konkrete Schritte der Aufarbeitung in Zusammenarbeit mit unabhängigen Einrichtungen und unter Einbeziehung von Betroffenen in die Wege zu leiten. Noch im März findet ein Treffen des Fachbeirates mit Bischof Muser und Generalvikar Eugen Runggaldier statt, um das Vorgehen im Detail abzusprechen und weitere Entscheidungen zu treffen. Pater Zollner: „Der Weg ist lang und wird von vielen Widerständen begleitet. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig kritisch begleiten und ermutigen. Das sind wir den Betroffenen schuldig, aber auch den Kindern von heute und morgen.“ Gottfried Ugolini bewertet die Weiterbildung „als einen wichtigen Schritt in Richtung Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche Südtirols“.

Von: mk

Bezirk: Bozen