Von: luk
Bozen – Der Schulbeginn wird von vielen mit Spannung und Sorge erwartet. Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller sorgt sich um das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen: „Schule dient nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch der Entwicklung der Persönlichkeit – sie muss erneuert werden.“
Es wird nicht mehr lange dauern, bis Tausende von Südtiroler Schülerinnen und Schülern wieder zur Schule gehen. “Der Schulbeginn ist auf Montag, den 7. September 2020, angesetzt, und wir sehen diesem Datum mit größerer Unruhe entgegen als sonst: Die Schülerinnen und Schüler aller Schulstufen unseres Landes sind nämlich seit dem 5. März zu Hause und haben daher das Schuljahr 2019/2020 im Fernunterricht abgeschlossen.” Für den Beginn des Unterrichts seien noch viele Details zu klären, und die Kinder- und Jugendanwaltschaft möchte einige Punkte hervorheben, die ihr besonders am Herzen liegen. „Die Zeit der Isolation und des Fernunterrichts hat dazu geführt, dass wir noch besser verstehen, wie grundlegend die Schule ist. Ich spreche nicht von der Vermittlung von Wissen und Information, sondern von der Entwicklung der Persönlichkeit und des Gemeinschaftssinnes, von der Schule als Ort des Wachsens“, sagt Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller. „Das Recht auf Bildung wird ebenso wie das Recht auf Gesundheit nicht nur von unserer Verfassung, sondern auch von der Kinderrechtskonvention geschützt. Es kann allerdings Situationen geben, wie die aktuelle, wo diese scheinbar in Konflikt zueinanderstehen und ein Gleichgewicht gefunden werden muss. Bei einer Krankheit mit möglichen tödlichen Folgen, ist es klar, dass in einer ersten Phase das Recht auf Gesundheit ein anderes Gewicht hat als das Recht auf Bildung. Nun gilt es aber diese beiden Rechte wieder in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen,“ so Höller weiter.
Gerade die aktuelle Situation könne eine gute Gelegenheit sein, die Schule zu erneuern und einige Aspekte zu revolutionieren, so die Kinder- und Jugendanwältin. „Die Schule, wie wir sie kennen, muss revolutioniert werden. Haben Sie jemals ein Foto eines Krankenhauses aus den frühen 1900erer Jahren neben einer Klinik aus den 2000erer Jahren gesehen? Oder eine Fabrik aus dem letzten Jahrhundert und eine Fabrik von heute? Dies sind Orte, die wirkliche Revolutionen erlebt haben, die umgewandelt wurden, um den heutigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn wir ein Foto eines Klassenzimmers aus dem letzten Jahrhundert mit dem eines Klassenzimmers aus dem Jahr 2020 vergleichen, sehen wir keine großen Veränderungen, die wir erwarten würden.“ Und Höller weiter: „Wir müssen bereit sein, den Wandel anzunehmen, und wir müssen ihn alle gemeinsam annehmen: Gesellschaft, Familien, Schule, Politik.“ Die Schule sei eine Zeit des Zusammentreffens, in der Kinder und Jugendliche sich mit Gleichaltrigen, jüngeren und älteren Jugendlichen sowie Erwachsenen auseinandersetzen müssen. “Wir sollten über eine dynamischere Schule nachdenken, die sich weniger auf Frontalunterricht stützt und in der nicht in Schubladen gedacht und gelernt wird, sondern in der wichtige Fächer und Themen miteinander verknüpft werden und interdisziplinär angegangen werden können. Mädchen und Jungen brauchen auch einen Ort, an dem ihre Bedürfnisse eine Antwort finden können.”
“Im jüngsten WHO-Bericht über das Gesundheitsverhalten in der Europäischen Region wurde der Schwerpunkt auf ein Thema gelegt, vor dem wir die Augen nicht verschließen können. Psychische Probleme bei Jugendlichen haben im Vergleich zu vor vier Jahren zugenommen. Um besser auf die Bedürfnisse von Mädchen und Jungen eingehen zu können, sollte man sich bewusst sein, dass Unterschiede bei Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Status eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung der besten Strategien zu ihrer Bewältigung spielen“, sagt Höller.
Martin Weber vom WHO-Regionalbüro für Europa sprach von Programmen, die mit einer „Gender-Linse“ umgesetzt werden sollen, wobei älteren Mädchen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. „Die Daten belegen, dass vor allem Mädchen nahe dem Erwachsenenalter mit psychischen Störungen konfrontiert sind und sich von ihrer Familie und der Schule weniger unterstützt fühlen“, so die Kinder- und Jugendanwältin. „Was die Schule tun kann, ist, ein positives Umfeld zu schaffen und Dienste wie die Begleitung von Schülerinnen und Schülern durch Psychologen und Schulsozialpädagogen zu stärken. Es wäre wichtig, ihre Sichtbarkeit in der Schule zu verbessern und die Schülerinnen und Schüler für dieses Angebot zu sensibilisieren“, so Höller abschließend.
Team K: “Zum Schulstart viele offene Fragen und keine klaren Antworten”
Am 7. September öffnen die Schulen ihre Tore. “Die Landesräte und die Landesschuldirektoren üben sich in demonstrativer Gelassenheit, Familien, Eltern, Schuldirektoren und Lehrkräfte, Verantwortliche für Schülertransport und Schulausspeisung stehen vor einem Berg an Fragen”, so fasst das Team K die Situation zusammen.
Die Bewegung hat Anfang Mai die Schulverantwortlichen aufgefordert, frühzeitig mit der Planung für den Herbst zu beginnen. „Wurden diese vier Monate produktiv genutzt”, fragt sich Alex Ploner und fügt hinzu: „Wenn Ende August noch nicht klar ist, wie der Schülertransport funktionieren soll und ob Schüler und Schülerinnen vor oder in der Schule warten müssen, dann liegt einiges im Argen. Gleitende Eintrittszeiten reduzieren das ursprüngliche Stundenkontingent. Ich stelle mir die Frage, ob das Virus am Vormittag weniger ansteckend ist, als am Nachmittag. wo kein Unterricht stattfinden darf. Warum muss die Maske auf dem Weg zur Toilette, nicht aber bei der Tafel getragen werden? Ich verstehe nicht, wie Erstklässler, die sich vielleicht ihre Schuhe noch nicht selbst binden können, selbstbestimmt lernen sollen. Ich verstehe auch nicht, dass im Amateursport nach der Schule die Gruppen bunt zusammengewürfelt Fußballspielen dürfen, in den Klassen die Kinder aber hermetisch voneinander abgeriegelt werden.”
Das Team K zeigt sich enttäuscht darüber, dass in den letzten Monaten die Schulverantwortlichen schwer greifbar waren, aber jetzt, zwei Wochen vor Schulbeginn, die Familien sich darauf einstellen müssen, dass einige Schulen im Fernunterrichtsmodus starten werden. “Unterricht zuhause darf und kann den Unterricht an der Schule nicht ersetzen. Wenn die Probleme im Schülertransport und der Mangel an Unterrichtsräumen die Ursache für den Fernunterricht sind, dann sollten in diesen Bereichen um jeden Preis die Kapazitäten gesteigert werden und nicht die Schüler zuhause gelassen werden.”
„Für die Gesellschaft, mit übermäßig belasteten Frauen zu Hause und in den Familien, oft mit dramatischen Existenznöten, muss die Schule der Ort sein, auf den sich Eltern hundertprozentig verlassen können. Ich sehe den Groll, der sich aufgestaut hat beim Thema Fernunterricht. Im Herbst werden wir diese Unterrichtsform nicht mehr als moderne Form der Didaktik schönreden können. Sie wird entlarvt werden als das, als was sie von vielen Familien heute schon empfunden wird, das Abschieben von Bildungs-Verantwortung weg von der Schule und den Lehrern, hin zu den Eltern der Kinder“, so die Team K-Abgeordnete Maria Elisabeth Rieder.
Die Krise habe auch ein Gutes: “Sie bringt die jahrzehntelangen Versäumnisse bei der Anerkennung des Lehrberufes, der professionellen Schulplanung, der zukunftsweisenden Ausrichtung aller Schulen in Inhalt und Didaktik ans Tageslicht. Wir brauchen eine Alternative zu dieser Politik. Wir fordern mit Nachdruck eine radikale Umkehr zu Gunsten eines adäquaten Bildungsangebots und des Rechts auf Bildung unserer Kinder.”