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Ungarn und der Pariser Frieden 1920. Trauma, Mythos und Realität

Donnerstag, 07. November 2019 | 20:47 Uhr

Bozen – Welche Auswirkungen hat der Friedensvertrag von Trianon bis heute auf die ungarische Politik und Gesellschaft? Der bekannte ungarische Zeithistoriker Krisztián Ungváry referiert am 15. November 2019 auf Einladung des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte im Rahmen der Vortragsreihe „Der Pariser Frieden 1919/20“ an der Freien Universität Bozen.

Der Friedensvertrag von Trianon, der am 4. Juni 1920 das historische Ungarn liquidierte, ist in Ungarn auch noch nach hundert Jahren von großer Aktualität. Ungarn wurde mit diesem Frieden auf ein Drittel seines ursprünglichen Territoriums reduziert und verlor mehr als ein Drittel der ungarischen Bevölkerung an die Nachbarstaaten. Ohne Übertreibung kann dieser Friedensvertrag als die größte Katastrophe der ungarischen Geschichte seit dem Zusammenbruch und der Dreiteilung Ungarns nach 1526 bezeichnet werden.

Das Trauma Trianon wurde nach 1920 der wichtigste Bezugspunkt der ungarischen Geschichte. Es erwies sich als fatal, dass gerade im Namen des Liberalismus und der Demokratie ein Frieden statuiert wurde, der die Grundrechte von etwa 3,5 Millionen Ungarn stark beschränkte. Die Nachbarstaaten definierten sich schon infolge ihre Verfassungen als Konstrukte, die den ungarischen Bevölkerungsanteil nicht als staatsbildend anerkannten. Mehrere Hunderttausende wurden vertrieben, die restliche Bevölkerung war einer starken Assimilierung ausgesetzt.

„Trianon” wurde nach 1945 weitgehend tabuisiert. Ungarn erhielt mit dem Pariser Frieden 1947 eine Neuauflage dieses Friedensvertrages. Die sowjetische Kontrolle über die Staaten Osteuropas schloss Grenzstreitigkeiten, Revisionen und Minderheitenrechte völlig aus.

Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems wurden alle Fragen, die mit „Trianon” zusammenhingen, wieder aktuell. Hierbei spielten zwei Faktoren eine besondere Rolle. Erstens schien sich „Trianon” jedes Mal zu wiederholen, wenn die Rechte der Madjaren in den Nachbarstaaten beschnitten wurden – das belegen zahlreiche Beispiele. Gleichzeitig ist „Trianon” aber auch ein beredtes Symbol für die Tendenz zur Viktimisierung der eigenen Nation: Wehleidigkeit, Selbstgerechtigkeit, antidemokratische Züge und die Ablehnung des liberalen Systems sind die Symptome, die aus der tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligung Ungarns resultieren.

Die Realität von Trianon hat sich seit der Integration Ungarns in die europäische Union stark verändert. Obwohl die Assimiliationsbestrebungen der Nachbarländer weiterhin dazu beitragen, dass Trianon ein Thema bleibt, ist die Instrumentalisierung der Thematik immer stärker innenpolitisch bestimmt. Gerade auf die Formen dieser Nutzung und Instrumentalisierung eines historischen Traumas wird der Vortrag am Campus Bozen der unibz eingehen. „Die Fidesz-Regierung pflegt einen ausgesprochenen Opferkult“, so Krisztián Ungváry, „in dem Ungarn als Täter nicht vorkommen.“

 

Krisztián Ungváry hat an der Eötvös Loránd Universität in Budapest Geschichte und Germanistik studiert und war anschließend im Rahmen von Forschungsstipendien in Jena und Freiburg tätig. In den Jahren von 1998-2001 war er Inhaber des Roman-Herzog- Forschungsstipendiums der Humboldt-Stiftung. 2014 wurde ihm der „Akademische Preis“ der Ungarischen Akademie der Wissenschaften für die Monographie „Bilanz des Horthy-Systems. Diskriminierung, Sozialpolitik und Antisemitismus in Ungarn 1920-1944“ verliehen. Seit 2015 ist er an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest tätig. Derzeit ist er Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin.

Sein Vortrag mit dem Titel Ungarn und Trianon 1920. Trauma – Mythos – Realität findet am Freitag 15.11.2019, ab 17.30 Uhr am Campus Bozen der Freien Universität Bozen, Universitätsplatz 1, im Hörsaal F0.03 statt.

 

Von: bba

Bezirk: Bozen