Von: APA/dpa
Als Wim Wenders zum ersten Mal die Augen öffnete, war die Welt voller Trümmer. Wenige Tage zuvor waren zwei Atombomben auf Japan abgeworfen worden. In seiner Heimat Düsseldorf war der Krieg zwar schon zu Ende, die Stadt aber in weiten Teilen zerstört. Vielleicht fing dort dieser Blick für das Große im Kleinen – und für besondere Orte – an. Am Donnerstag (14. August) wird der deutsche Regisseur von Weltruhm 80 Jahre alt.
Der kleine Wim fand die Ruinen, in denen andere nur den Krieg erkannten, jedenfalls toll. “Als Zwei- und Dreijähriger war ich in jedem Kellerloch und auf jeder Trümmerhalde”, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Er war ein kleiner Junge, er kannte auch nichts anderes. “Das waren für mich Abenteuerspielplätze. Wir Kinder durften sie zwar nicht betreten – aber sind trotzdem reingeklettert”, sagt er. “Als ich dann allmählich verstand, dass es woanders schöner war, war das erstmal ein Schock.”
Heute gilt Wim Wenders als ein Spezialist für Filme, in denen Orte eine bedeutungsvolle Rolle einnehmen. Man muss die Filme dafür nicht einmal gesehen haben, es reicht, die Titel zu lesen – etwa “Paris, Texas” oder “Der Himmel über Berlin”. Orte sind ihm wichtig. Im Podcast “Hotel Matze” sagte er den lustigen Satz: “Damit beginnt mein kreatives Leben: Nach Neuss, wo man nicht hinkommt, trotzdem hinkommen.” Neuss, nicht unbedingt Nabel der Kunstwelt, liegt auf der gegenüberliegenden Rheinseite Düsseldorfs.
Eine Art Lichtgestalt
Wie weit Wenders gekommen ist, lässt sich aktuell in Bonn sehen. Die Bundeskunsthalle widmet ihm zum Geburtstag eine großformatige Ausstellung, die ihn nicht nur als Filmemacher, sondern als eine Art Lichtgestalt adelt.
Manchem Künstler wird eine derartige Aufarbeitung erst nach Lebzeiten zuteil. Wenders ist aber noch voll im Geschäft – 2026 könnte sein nächster Film in die Kinos kommen, ein Dokumentarfilm in 3D über den Architekten Peter Zumthor. Im vergangenen Jahr war er abermals für einen Oscar nominiert (mit “Perfect Days”). Kürzlich erschien der Kurzfilm “Schlüssel der Freiheit”, den er für das Auswärtige Amt drehte.
Die Mutter hoffte auf einen “richtigen” Beruf
Eigentlich wollte er Maler werden. Wenders kommt 1945 in Düsseldorf zur Welt, 1949 zieht die Familie erst nach Boppard, dann nach Oberhausen. Die ersten Bilder, die er sieht, sind Kunstdrucke von Vincent van Gogh und Camille Corot. Bald zeichnet er selbst. In der Bonner Ausstellung ist eine Kinder-Zeichnung von ihm zu sehen, auf der ein Ritter mit einem Drachen kämpft. Wer sie dereinst aufgehoben hat, weiß er selbst nicht. Seine Mutter hat er nicht im Verdacht.
“Sie hat eher dazu geneigt, gnadenlos alles zu entsorgen, was sie fand”, sagt er. Die Eltern seien anfangs gar nicht begeistert von den künstlerischen Ambitionen gewesen. “Meine Mutter hat noch lange insgeheim gehofft, dass aus mir doch mal noch ‘was Richtiges’ werden würde”, sagt Wenders.
Anfangs sah es – aus Sicht der Mutter – auch gar nicht schlecht aus. Wenders studiert Medizin und Philosophie. 1966 bricht er das aber ab und geht nach Paris, um Maler zu werden. Der wichtigste Ort für ihn dort wird die Cinémathèque française – ein Filminstitut, in dem ab 14 Uhr bis in die Nacht Filmklassiker laufen. Angeblich sieht Wenders mehr als 1000 Filme in einem Jahr. Heute würde man wohl Binge Watching dazu sagen.
Filme mit Fernweh und Tiefgang
Der Film wird schließlich seine Kunstform. Ab 1967 gehört er zum ersten Jahrgang der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München. Mit der Verfilmung von Peter Handkes Roman “Die Angst des Tormanns beim Elfmeter” (1972) wird er zum Aushängeschild des “Neuen Deutschen Films”. Das melancholische “Paris, Texas” (1984) gilt bald als Meisterwerk und gewinnt die Goldene Palme in Cannes. “Der Himmel über Berlin” (1987) ist eine ikonische Meditation über die damals noch geteilte Stadt.
Wenn es ein Genre gibt, mit dem man ihn bis heute in Verbindung bringt, dann sicherlich das Roadmovie – im Reisen kommen die Menschen bei Wilhelm Ernst Wenders, so sein bürgerlicher Name, oft zu sich. Auch bei ihm selbst greift dieser Mechanismus. Das Weggehen und Kennenlernen von anderen Orten sei für ihn das größte Thema geworden, schon als Kind, aber dann noch mehr als Heranwachsender, sagt er. “‘Woanders zu sein’, das wurde mein Thema”, sagt er. “Und das habe ich dann auch über das Filmemachen als Thema behalten.”
Drehbuch? Lieber ohne
Das Reise-Prinzip zieht sich bei Wenders durch, selbst beim Umgang mit Drehbüchern. Auch da fährt er am liebsten auf Sicht. “Die meisten Drehbücher habe ich vom ersten Tag des Drehs an nicht mehr angeguckt. Ich musste sie auch nicht mehr angucken”, sagt er. “Nach Drehbuch zu drehen, ist eher ein Reproduzieren als ein Produzieren. Viele Filme sind deswegen nur Fließbandarbeit. Und das macht mir keinen Spaß.”
Man müsse schlicht nicht wissen, wie es am nächsten Tag weitergehe, sagt Wenders. “Vielen Leuten macht diese Vorstellung Angst, mir aber nicht.” Ihn habe im Gegenteil immer das Gefühl befreit, dass es ins Offene gehe.
Bewegung ist für ihn essenziell. Vielleicht auch deshalb wirft er die Stirn in Falten, wenn man ihn nach neueren Kommunikationsmitteln fragt. “Ich finde es äußerst wichtig, dass man sich als Jugendlicher Dingen aussetzt. Im Internet kann ich mich auch aussetzen, aber das ist eine völlig andere Form, das ist virtuell und nicht tatsächlich”, sagt Wenders. “Man kann durch das Internet auch überall hinreisen, ohne wirklich dort zu sein”, sagt er. “Das ist für mich eine Horrorvorstellung.” Dann lieber Abenteuerspielplatz.
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